Wird Fliegen das neue Rauchen?

Klimakrise Warum wir klimafreundliches Verhalten fördern sollten. Aber nicht mit gut gemeinten Appellen, sondern mit konkreten Maßnahmen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es geht auch beides
Es geht auch beides

Foto: „Y a-t-il un pilote dans l'avion?“/imago images/Prod.DB

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer wird von der Bildzeitung zitiert, er warne davor, "Flugscham" zu fördern. Wenn man anders nicht vernünftig an sein Wunschziel komme, sei es in Ordnung, einen Flieger zu nehmen. Das Bemerkenswerte daran ist: Scheuer sagt damit indirekt, dass man das Fliegen zu vermeiden versuchen solle, wenn es eine andere "vernünftige" Reisemöglichkeit gibt. Das Wort "vernünftig" lässt zwar Spielraum für Interpretationen. Interessant ist aber trotzdem, wie sehr die Klimaschutzbewegung die Politik bereits geprägt hat. Sogar Scheuer, der bisher als Bremser beim Umweltschutz in Erscheinung getreten ist, findet Flüge nicht mehr in jedem Fall OK.

Im Gegensatz zu Scheuer bin der Meinung, dass man "Flugscham" fördern kann und sollte. Wobei mir das Wort nicht gefällt. Es klingt zu sehr nach "ein schlechtes Gefühl haben, aber trotzdem fliegen". Letzteres bringt natürlich niemandem etwas. Vom Schämen alleine wird das Klima schließlich nicht besser. Sprechen wir deshalb lieber davon, eine kritische Einstellung zum Fliegen zu ermöglichen.

Wie das gehen könnte, möchte ich am Beispiel einer Verhaltenweise zeigen, deren Ablehnung die Politik in den letzten Jahren beherzt gefördert hat. Die Rede ist vom Rauchen. Warnhinweise und Schockbilder auf Zigarettenpackungen sind nur die letzte Eskalationsstufe. Schon lange vorher gab es Werbeverbote, Steuererhöhungen und Rauchverbote in Gaststätten. Die Zahl der männlichen Raucher ist laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 42% im Jahr 1982 auf 25% im Jahr 2014 gesunken. Bei den Frauen sieht es ähnlich aus. Haben die politischen Maßnahmen also gewirkt? Um wirklich sicher zu wissen, wie sich das Rauchverhalten in Deutschland ohne die Regulierung entwickelt hätte, bräuchte man eine "Kontrollgruppe", also ein zweites, identisches Deutschland, in dem keine Gesetze gegen das Rauchen erlassen worden wären. In der Praxis lässt sich also nicht mit Sicherheit sagen, wie stark der Einfluss der Gesetzgebung war, und welchen Anteil andere Einflüsse, zum Beispiel eine zunehmende gesellschaftliche Ächtung des Rauchens und bessere Aufklärung über die gesundheitlichen Risiken, hatten. Gab es Verlierer? Die Tabakindustrie hat es gut weggesteckt. Ihr Gewinn pro Zigarette ist durch höhere Preise in den letzten Jahren gestiegen. Dadurch wurden Verluste durch einen geringeren Absatz von Zigaretten wett gemacht. Echte Verlierer sind dagegen Süchtige mit wenig Geld, denen das Aufhören mit dem Rauchen nicht gelingt, zum Beispiel wegen einer psychischen Erkrankung. Über diese Gruppe hört man allerdings wenig. Die Vorteile der hohen Zigarettenpreise überwiegen, das ist anscheinend gesellschaftlicher Konsens. Dass ein Politiker etwa gefordert hätte, den Süchtigen mit einer "Raucher-Pauschale" unter die Arme zu greifen, ist mir noch nicht zu Ohren gekommen.

Rauchen, so könnte man eigentlich meinen, ist Privatsache. Folgen hat es hauptsächlich für den Einzelnen, der zum Beispiel sein Risiko für Lungenkrebs erhöht. Folgen für die Gesellschaft, etwa höhere Krankheitskosten und Schäden durch Passivrauchen, sind vorhanden, aber nicht gravierender als bei anderen Verhaltensweisen, die nicht so intensiv bekämpft werden. Extremsportler können die Krankenkasse beispielsweise ebenfalls mehr kosten als andere Mitglieder. Und Autofahrer sowie Holzofenbesitzer blasen Feinstaub in die Luft, der wie das Passivrauchen gesundheitsschädigend ist. Trotzdem wird die das Rauchen einschränkende Gesetzgebung inzwischen weitgehend akzeptiert und führt kaum noch zu Diskussionen.

CO2-Emissionen haben wesentlich stärkere Auswirkungen als das Rauchen, zumal die schlimmsten Folgen noch vor uns liegen. Allerdings sind sie weniger greifbar. Dass ein Dürresommer Millionenschäden in der Landwirtschaft verursacht, wäre in einem intakten Weltklima zwar unwahrscheinlicher, aber durchaus möglich gewesen. Könnte der politische Umgang mit dem Rauchen dennoch ein Vorbild für den Umgang mit CO2-Emissionen sein? Wie könnte dies konkret aussehen?

Für besonders klimaschädliche Verhaltenweisen, zum Beispiel Flugreisen oder Kreuzfahrten, könnte ein Werbeverbot erlassen werden. Bei der Buchung könnte außerdem auf die Klimaschädlichkeit hingewiesen und der konkret anfallende CO2-Ausstoß angezeigt werden. Sogar Schockbilder und Warnhinweise auf Flugtickets sind denkbar:

"Dieser Flug fördert den Klimawandel. Der Klimawandel könnte zu Dürren und Nahrungsmittelknappheit führen und so in Zukunft Ihr Leben, das Leben Ihrer Kinder und Enkel negativ beeinflussen."

Für den täglichen Einkauf wäre es wenig praktikabel, wenn auf jedem Produkt die verursachten CO2-Emissionen abgelesen und verglichen werden müssten. Hier käme eher eine "Klima-Ampel" in Frage, beispielsweise mit "rot" für tierische Produkte, "gelb" für exotische Früchte, die länger transportiert wurden, und "grün" für regionales, saisonales Gemüse.

Eine solche Sichtbarkeit klimaschädlichen Verhaltens im Alltag hätte den Vorteil, dass wir Verbraucher transparente und überschaubare Entscheidungsmöglichkeiten hätten. Bisher fordern Politiker oft einerseits, die persönliche Freiheit dürfe nicht eingeschränkt werden. (In diesem Zusammenhang werden z. B. die Grünen als Verbotspartei beschimpft). Andererseits argumentieren sie, den Verbrauchern dürfe nicht die Verantwortung für den Klimaschutz in die Schuhe geschoben werden. Nimmt man beides zusammen, bleiben Verbraucher übrig, die frei sind, sich für klimaschädliches Verhalten zu entscheiden, und dafür auch nicht verantwortlich gemacht werden dürfen. Diese Verbraucher fühlen sich aber gleichzeitig durch die Klimakrise bedroht und haben das dumpfe Gefühl, dass das alles nicht richtig ist und nicht ewig so weitergehen kann. Das macht ängstlich und hilflos. Schöner ist es, selbst einen kleinen Beitrag leisten zu können. Gleichzeitig würde die Politik durch klare Signale gegen besonders klimaschädlichen Konsum an Ernsthaftigkeit gewinnen. Bisher ruft die Politk uns zu, dass wir auf nichts verzichten müssen, uns den Urlaub mit dem Billigflieger gönnen dürfen. Wir werden behandelt wie Kinder, die auf dem sinkenden Schiff von ihren Eltern mit einem besonders schönen Spielzeug abgelenkt werden, damit sie keine Angst bekommen. Ich würde mir eine Bundeskanzlerin wünschen, die sagt: "Die Erderwärmung ist eine ernste Bedrohung, auch für uns in Deutschland, und nicht nur für kommende Generationen, sondern schon für die jetzt lebenden Menschen. Leider haben wir nur wenig Einfluss darauf, wie in anderen Ländern damit umgegangen wird. Aber wir können hier in Deutschland alles tun, um unsere CO2-Emissionen zu vermindern."

Politiker wie Christian Lindner von der FDP argumentieren, Verzicht sei sinnlos, weil uns auf diesem Weg niemand folgen werde, China und die USA würden weiter CO2 in die Luft blasen. Es brauche deshalb technische Lösungen bzw. Lösungen, bei denen technisch nicht vermeidbare Emissionen kompensiert würden.

Aus meiner Sicht sind technische Lösungen Verboten selbstverständlich vorzuziehen, sofern es solche Lösungen gibt. Aktuell sieht es aber so aus, als werde emissionsfrei erzeugte Energie eine knappe Ressource bleiben. Und die technische CO2-Gewinnung aus der Luft ist der natürlichen Speicherung mittels Baum noch unterlegen. Weltweiter Schutz und Aufforstung von Wäldern könnten hilfreich sein, sind aber politisch bisher nicht durchsetzbar. Wenn in dieser Situation z. B. der Flugverkehr weiter wächst, besteht die Gefahr, dass Einsparungen in anderen Bereichen durch dieses Wachstum aufgefressen werden.

Aktuell wird von der Politik vor allem die CO2-Bepreisung als Instrument gegen den Klimawandel diskutiert. Eine solche Verteuerung klimaschädlichen Verhaltens ist nötig und Steuererhöhungen waren auch beim Rauchen eines der Instrumente, um es unattraktiver zu machen. Reicht das nicht? Warum braucht es zusätzlich Werbeverbote und Warnhinweise? Gerade Menschen mit einem höheren Einkommen werden sich von einer Verteuerung nicht abschrecken lassen. Es könnte sogar ein Gefühl entstehen, dass das eigene Verhalten wegen des höheren Preises nicht mehr so schlimm ist. Schließlich zahlt man für die Klimaschädlichkeit. Außerdem besteht die Chance, das klare politische Signale wie Werbeverbote zu einem allgemeinen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung führen, wie wir ihn auch beim Rauchen erlebt haben. Das Bewusstsein für dessen gesundheitsschädliche Wirkung ist stark gestiegen. Schließlich fördert ein erschwerter Absatz klimaschädlicher Produkte Anstrengungen für mehr Klimafreundlichkeit. Wenn die Kreuzfahrt klimaneutral wäre, dürfte sie schließlich wieder beworben werden. Indirekt würden so auch technische Lösungen vorangebracht.

Im Gegensatz zum Rauchen machen Kreuzfahrten und Flugreisen nicht süchtig. Dass sie vielen als Inbegriff von Luxus, Genuss und Erholung gelten, ist kein Naturgesetz, sondern ein Ergebnis von Werbung und gesellschaftlichen Erwartungen. Aufenthalte an exotischen Orten sind ein Statussymbol, mit dem man in den sozialen Medien punkten kann. Würden Menschen ihre Freizeit unabhängig von Werbeversprechen stärker danach ausrichten, was sie wirklich erholsam finden, sähe der Urlaub vielfach wahrscheinlich ganz anders aus. Weniger Werbung und mehr Informationen über die tatsächlichen Auswirkungen eines Verhaltens wären ein Gewinn an Entscheidungsfreiheit für den Einzelnen.

Der Absatz von Zigaretten ist übrigens weltweit gesunken. Werbeverbote und Warnhinweise gibt es in vielen Ländern. Die Ablehnung des Rauchens ist eine globale Entwicklung. Das lässt auch für den Klimaschutz hoffen.

Wenn sich die Gesellschaft wandelt, ändern auch viele einzelne Menschen ihre Einstellung. Vielleicht wird dann auch für Andreas Scheuer der Umweltschutz in Zukunft noch wichtiger? Wie heißt es so schön vom Raucher, der zum militanten Nichtraucher wird? Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden