Absturz statt Höhenflug

VERLUST DES GRÜNEN CHARISMAS Die Linken müssen aufhören, ihrer Dezimierung durch falsche Schuldzuweisungen ergeben zuzuschauen

Joschka Fischer wird nicht müde zu betonen, die Stimmverluste der Grünen hätten schon vor der Bundesregierungsbeteiligung angefangen. Das stimmt zwar, aber die tatsächlichen Wahl-Desaster der Grünen begannen mit der Hessen-Wahl und setzen sich seither ohne Unterbrechung fort. Jeglicher Erklärungsversuch, diese Niederlagen aus dem Zusammenhang mit der Regierungsbeteiligung herauszulösen, ist lächerlich.

Die Bilder gleichen sich bei rot und grün: Schröder hat seinen innerparteilichen Machtkampf gewonnen und - indem er mit Lafontaine die Hälfte des SPD-Wahlversprechens "Innovation und soziale Gerechtigkeit" gehen ließ - die quantitativ notwendige Unterstützung in der Bevölkerung für sein Regierungsprojekt verloren. Die Realos um Fischer gewinnen seit der Regierungsbeteiligung erstmals deutlich bei Bundesdelegiertenkonferenzen - und die Partei verliert seitdem jede Wahl.

Die umworbene neue Mitte reicht nicht aus, eine Regierung jenseits von CDU und FDP zu tragen. Schröders Ignoranz gegenüber dieser Tatsache mag sich noch aus der vagen Option einer großen Koalition erklären. Wie aber lässt sich die Ignoranz der Grünen erklären? Beim rechten Flügel der Grünen scheint sie einem Sieg der Emotion über die Vernunft geschuldet zu sein: einer übersteigerten Selbst- und Fischer-Verliebtheit, dazu der Lust, den innerparteilichen Triumph über die Linken auszukosten. Der linke Flügel dagegen scheint in einer Art Paralyse befangen.

Fischer mag zeitweilig zum beliebtesten deutschen Politiker geworden sein - solange er das nicht wegen, sondern (provozierend-kokettierend) trotz Grüner Programmatik ist, hat davon weder die Partei noch der Grüne Fischer etwas, sondern lediglich der Außenminister, das Amt, dessen Attraktivität bei zukünftigen Postenverteilungen weiter steigen wird. Tatsache bleibt, daß die angestammten Grünen-WählerInnen den in der Regierungsbeteiligung vorgeführten "Realismus" der Grünen nicht wollen und daß sich auch neue Wählerschichten mit dieser Politik nicht erschließen lassen. Warum aber wird angesichts dieser Faktenlage der linke Flügel der Grünen immer schwächer? Quantitativ lässt sich da vieles aufzählen: Der linke "Frontmann" Trittin wurde so lange öffentlich als Buhmann der Koalition gegeißelt, bis er gefügig war; andere Linke im Bundestag wurden mit Kabinetts- und Fraktionsdisziplin mundtot gemacht, bis eine wirkliche Linke so marginalisiert war, dass sie als "Häuflein der letzten sieben Aufrechten" verspottet werden konnte; der linke Unter- und Mittelbau der Partei verlor seit der Kosovo-Entscheidung Hunderte von Aktiven durch Austritt und Rückzug. Das alles aber ist nur der äußerliche Vollzug einer inneren Schwäche der Linken. Die seit der Regierungsbeteiligung extrem gesteigerte Spannung zwischen dem eigenen Politikansatz und dem Beharrungsvermögen der System-Beziehungen in der bundesdeutschen marktwirtschaftlich bebrillten Wirklichkeit läßt die Linke die Ohnmacht der Politik selbstverständlich deutlicher empfinden als die Rechte.

"Passe dich dem System an, wenn du Macht haben willst - oder versage" ist die Botschaft der neuen Macher im Land. Verknüpft mit der Behauptung, die Grüne Partei verschwände in der politischen Bedeutungslosigkeit, wenn sie angesichts der Regierungsoption die "bequeme" Opposition vorzöge, wurde diese Botschaft zum Hebel, mit dem es gelang, bei der Bundesdelegiertenkonferenz zur Kriegsbeteiligung im Kosovo und - wenn auch noch weniger ausgeprägt - schon bei der Entscheidung über den Koalitionsvertrag aus der jeweils ablehnenden Seite der Basis einen entscheidenden Teil herauszubrechen.

Die Geschichte der Domestizierung der Grünen Basis reicht jedoch zurück bis in die Zeit der fallenden Umfragewerte nach dem berühmten "Fünf Mark fürs Benzin"-Beschluss von Magdeburg. Das sei die Quittung für die linke Radikalität des Wahlprogramms, hieß es damals - völlig negierend, dass die ökologische Steuerreform einschließlich der Zahl 5 kein Projekt linker Grüner war, sondern gerade der rechten, die für ökologische Belange nicht mehr wie die Linken vorrangig auf Ordnungsrecht, sondern auf marktwirtschaftlich funktionierende steuerliche Anreize setzen wollten. Der nach Magdeburg von rechten Spitzenfunktionären in der Partei als Strategie durchgesetzte Kotau vor der Öffentlichkeit "Wir haben einen Fehler gemacht" sollte gleichzeitig die Basis disziplinieren und ihr fürderhin den Hang zur Radikalität austreiben. Seither führen über sämtliche Wahlniederlagen hinweg in einer seltsamen Symbiose gemeinsamer Ursachenverdrängung linker und rechter Grüner die rechten Misserfolge zur innerparteilichen Niederlage der Linken.

"Kämpfe gegen das System - oder resigniere" ist die Wahl, die die Linke in der Partei Bündnis 90/Die Grünen hat. System meint sowohl das kapitalorientierte politische System der Bundesrepublik, in dem wider alle Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit ökonomische Ziele weit vor ökologischen und sozialen Zielen rangieren, wie auch das System der Machtorientiertheit und des Personenkults, das sich in der Grünen Partei zunehmend verdichtet. Eine Grüne Linke, die sich nicht mehr traut, Mechanismen des Kapitalismus zu hinterfragen, resigniert ebenso wie eine Grüne Linke, die akzeptiert, dass parteiintern demokratische Instrumente zur Beschränkung der Macht und ihrer Verführungen demontiert werden. Die Grünen verlieren, so sie sich von ihren sogenannten Realpolitikern weiterhin den Weg in die sogenannte Normalität weisen lassen, nicht nur ihren alternativen Politikansatz und damit ihr Charisma, sondern auch ihre demokratische Vorbildlichkeit, die sie in Parteistrukturen wie der Trennung von Amt und Mandat und der Frauenquote sowie ihren basisdemokratischen Entscheidungsprozessen bisher weitgehend praktiziert haben.

Wollen die linken Grünen ihr politisches Projekt noch retten, dann müssen sie jetzt anfangen zu kämpfen. Es kommt nicht darauf an, jeden dieser Kämpfe zu gewinnen - es kommt darauf an, der Parteibasis und der gesellschaftlichen Basis der Grünen wieder einen eigenständigen linken Flügel zu bieten und für Mehrheiten jenseits einer der Grünen unwürdigen, paralysierenden Disziplin zu werben. Dazu bedarf es keiner zur Schau gestellten Geschlossenheit der seit dem Kosovo-Sonderparteitag zersplitterten Grünen Linken, aber einer tragfähigen kommunizierbaren Grundübereinstimmung eines neudefinierten linken Flügels, der nicht bereit ist, sich jeder Ausgestaltung von Regierungspolitik zu unterwerfen und die daraus erfolgende Erosion der Partei hinzunehmen. Und wenn es sich denn bewahrheitet, dass sich dieses Land nicht - zumindest nicht mit Schröder - gegen die Kräfte des Marktes regieren läßt, dann muss der linke Grüne Flügel selbstbewusst genug sein, den unverzüglichen Ausstieg aus dieser Koalition zu fordern.

Wenn die Machtbeteiligung der Grünen auf Bundesebene nicht dazu führt, dass spürbare gesellschaftliche Veränderungen im Sinne Grüner sozial-ökologischer Erneuerung auf den Weg gebracht werden, dann ist diese Regierungsbeteiligung nicht nur sinnlos, sondern destruktiv. Sie hat bereits negative Auswirkungen auf eines der höchsten Güter unserer Gesellschaft: der Wahrnehmung des Rechts der demokratischen Willensbildung. Die wirklich fatale Bedeutung des Rückzugs ehemaliger Grünen-, ebenso wie SPD-WählerInnen aus der Wahlbeteiligung ist nicht die damit einhergehende von dieser relativ unverschuldete Wiedererstarkung der CDU, sondern die enttäuschte Abkehr vom Parlamentarismus, die diese Bevölkerungsgruppen mit ihrem Verzicht auf ihr, für sie offensichtlich wertlos gewordenes, Wahlrecht demonstrieren

Der Austritt aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen - von allzu vielen langjährigen Mitgliedern inzwischen als persönliche Konsequenz praktiziert - ist, solange er jeweils individuell vollzogen wird, die schlechtere Lösung. Wenn der Kampf um den Grünen Inhalt der Regierungspartei Bündnis 90/Die Grünen allerdings unwiderruflich verloren ist, dann sollte der neuformierte linke Flügel die (Nicht-Mehr-)Grünen so geschlossen wie möglich verlassen und seine politische Aktivität gebündelt an anderer Stelle einbringen.

Sylvia Kotting-Uhl war vier Jahr im baden-württembergischen Landesvorstand von Bündnis90/Die Grünen. Nach dem Kosovo-Beschluss ihres Landesverbandes hat sie sich aus dieser Ebene der Partei zurückgezogen. Sie ist selbständige Kunsterzieherin und jetzt aktiv bei BasisGrün.


Bisherige Beiträge:


Ausgabe 43: Parlamentarier
Ausgabe 43: Schön, wenn Kapitalparteien "erschöpft" wären
Ausgabe 44: Locker bleiben!
Ausgabe 46: Des Parteiengesetzes streichen Bündnis 90/Die Grünen
Ausgabe 47: Des Parteiengesetzes streichen Bündnis 90/Die Grünen
Ausgabe 48: Fraktionszwang
Ausgabe 48: Fraktionszwang und Geschlossenheit

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