Als Şenay Altıntaş 2012 anfing, unter den Mitgliedern ihrer türkisch-islamischen Gemeinde Spenden für eine Solaranlage zu sammeln, hieß es meistens: Wir haben doch wohl genug andere Probleme?! Sie ließ nicht locker und bekam schließlich das, was sie wollte: Strom vom Dach der Moschee! Das machte damals bundwesweit Schlagzeilen: „Der Öko-Islam kommt!“ oder „die Pionier-Moschee“. Die offene, sunnitisch geprägte Gemeinde der Darmstädter Emir-Sultan-Moschee war eine der ersten mit erneuerbarer Energie. Mittlerweile sind Klima- und Umweltthemen allgegenwärtig – doch in der Gemeinde sind sie trotz der Solarzellen noch nicht zu allen durchgedrungen. Für Şenay Altıntaş jedoch sind Solarpanels nur der Anfang. Für sie muss Umweltschutz viel weiter gehen.
Sie grüßt mit sanftem Händedruck, ihr Blick ist offen. Die 46-Jährige trägt Kopftuch und Rock, Handtasche, Stiefeletten, beide schwarz mit Nieten. Ihr Vorname bedeute „fröhlicher Mond“, sagt sie.
Gott ist der Eigentümer
Altıntaş ist studierte Bauingenieurin, arbeitet als Teilzeitkraft im Büro einer Frankfurter Sanitärfirma und ehrenamtlich für die Moschee. Dort ist sie Teil des Vorstands, hält Vorträge, gibt Islamunterricht für Jugendliche und leitet die Öffentlichkeitsarbeit. Immer wieder begegneten ihr Leute, denen es an Umweltbewusstsein mangelt. „Ich verstehe das gar nicht. Wer wie ich hier aufgewachsen ist, wurde doch mit dem Gedanken an Umweltschutz sozialisiert.“
Ihre Eltern stammen aus der Türkei, Şenay Altıntaş und ihre fünf Geschwister sind in Darmstadt geboren. Es sei auch das religiöse Gewissen, das sie in ihre grünen Projekte treibt. „Im Islam gilt, dass nichts uns selber gehört. Gott ist der Eigentümer. Egal was wir besitzen, wir haben es ihm in einem Zustand zurückzugeben, wie wir es bekommen haben.“ Jugendlichen, die ihren Müll nicht ordentlich entsorgen, sagt sie nur: „Du weißt doch, dass der Prophet das verboten hat.“ Das wirkt. Vor allen Dingen bei überzeugten Muslimen, räumt sie ein.
Planung und Montage der Solaranlage übernahmen 2013 ehemalige Kommilitonen. Sie wollten die Solartechnologie weiterbringen und der Gemeinde helfen, warben bei ortsansässigen Unternehmen, holten die Gemeinde ins Boot – und konnten durch eine große (bio und faire) Spendenparty das noch fehlende Geld eintreiben.Mittlerweile hat sich die Anlage amortisiert. Die Produktion deckt ein Drittel des Strombedarfs. Was tagsüber nicht genutzt wird, speist sie ins Netz.
Von den etwa 1.000 Mitgliedern der Gemeinde kommen rund 150 regelmäßig zum Beten in die Moschee. Der Vorstand besteht aus Männern und Frauen, alt und jung – kein Zufall, dass die Gemeinde von einer selbstbewussten Muslima repräsentiert wird. Man will den Gemeinsinn stärken, auch mit Umweltschutz. So fing man vor einem Jahr an, das Moscheegelände zu bepflanzen. Auslöser waren die „Religiösen Naturschutztage“, die seit 2017 gemeinsam mit dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) durchgeführt werden.
Eine ungewöhnliche Liaison. Sie kam durch die Initiative „Abrahamisches Forum“ zustande: Man will Vertreter der drei großen monotheistischen Religionen, die alle an nur einen Gott glauben – Christentum, Judentum und, Islam –, miteinander vernetzen und damit zu interkultureller Annäherung und Frieden unter den Gläubigen beitragen. Bei einem der Treffen regte Jürgen Micksch, der Geschäftsführer des Forums und Jurymitglied der UN-Dekade für Biologische Vielfalt, an, gemeinsam den Klimaschutz voranzutreiben. Er sah das Potenzial. „Wir als Kirchengemeinden können viele Menschen erreichen und ihr Alltagshandeln beeinflussen“, sagt er.
Şenay Altıntaş führt über das Moscheegelände, das in einem unwirtlichen Gewerbegebiet liegt. Bei unserem ersten Treffen, im Frühling 2013, rankte hier Wein, es gab Vorgartenrasen, ein paar Bäume und orangefarbene Studentenblumen. Diesmal ist Herbst, die Blumen sind vom ersten Frost gezeichnet und die Zweige der Bäume und Sträucher kahl. Doch man kann mehr Pflanzen sehen. Jedes Jahr pflanzten die Beteiligten in jeder der drei Gemeinden einen Baum. „Hier kann man noch viel mehr machen: Sträucher, Blumen, eine Hecke entlang des Zauns“, fand der Mann vom NABU. Die Gemeinde wurde im vergangenen Jahr von den Vereinten Nationen mit dem UN-Dekade-Preis „Biologische Vielfalt“ ausgezeichnet. Şenay Altıntaş sagt, sie liebe Blumen und Tiere, „aber bitte nur draußen“. Sie hat eigentlich keinen grünen Daumen.
Pflanze einen Baum
Bei der Umsetzung des ökologischen Maßnahmenplans hat sie erfahren, wie steinhart der Boden auf der Westseite des Geländes ist. Sie hat selbst zum Spaten gegriffen und Sträucher wie Pfaffenhütchen, Berberitze oder Haselnuss gepflanzt. Auch auf der Ostseite der Moschee hat sie Hand angelegt: „Hier, das sind meine ...“, sagt sie und zeigt auf eine schnurgerade Linie junger Schlehen- und Weißdornbüsche. „Ich hab mit dem Lineal eine Linie gezogen und dann gepflanzt. Also, bei mir muss ja alles seine Ordnung haben.“
Nur die insektenfreundliche Wildblütenwiese fehle noch, sagt sie. „Das habe ich vor dem Winter nicht mehr geschafft.“ Wir gehen weiter, sie hebt eine Glasflasche auf, die im Gras liegt, jemand hat sie über den Zaun geworfen. Eine Dachbegehung wollte der Hausmeister diesmal eigentlich nicht erlauben, dort werde Material aus der Wohnung gelagert, die gerade für den neuen Imam renoviert wird. Dann steigen wir die Treppen doch hinauf aufs Dach der Moschee, wo die Solarmodule in der Sonne blitzen.

Foto: Pat Meise
Şenay Altıntaş räumt einige Styroporplatten beiseite und zeigt die noch unbewohnten Nistkästen zu Füßen der beiden schlanken Minarette. Rechts einer für Turmfalken, links ein weiterer für Fledermäuse. Darüber ragen die weiß gemauerten Türme mit schwarzen Fugen 27 Meter hoch in den blauen Herbsthimmel. Von hier aus kann sie all ihre Ökoprojekte überblicken. Wie kommen die bei den Gemeindemitgliedern an? „Seit der Umgestaltung höre ich immer wieder: ‚Die Rosen! Wie herrlich, und der Baum blüht ja so schön‘ ... Hinterher sind sie immer stolz und glücklich. Aber wenn Arbeit ansteht ...“
Nicht alle sind so grüne Muslime wie sie.Warum sollte es in der religiösen Gemeinde anders sein als im ganzen Land?
Als wir wieder nach unten steigen, führt Altıntaş zur Frauenempore, die über dem Gebetsraum der Männer liegt. „Wir Frauen sind näher bei Gott“, sagt sie augenzwinkernd. Um ihre Gemeinde in Sachen Öko mehr zu sensibilisieren, bittet Şenay Altıntaş auch den Imam um Mithilfe: „Der steht da voll hinter mir und greift dann beim Freitagsgebet solche Themen auf. Dem können sich die Gläubigen nicht entziehen.“ Ihre Version von Fridays for Future.
Weil das wirkt, setzt sie in der Jugendarbeit, die sie in der Moschee betreibt, auch auf „grüne“ Zitate des Propheten. Sie sagt zum Beispiel: „Wenn man einen Baum pflanzt – ist das wie eine fortdauernde Spende. Man kann ja einmal täglich spenden oder einmal im Monat. Aber wenn ein Baum gepflanzt wird – und Mensch und Tier haben einen Nutzen davon – Schatten oder Früchte –, dann ist das eine tägliche Spende.“
Den grün gebundenen Koran hat sie immer zur Hand. Hellblaue Lesezeichen säumen die Seiten, damit sie die passenden Stellen schnell findet. „Du sollst kein Unheil stiften!“ lautet ein Spruch, den sie betont. Oder sie erzählt vom Beginn der Schöpfungsgeschichte. Die muss sie nicht nachschlagen: „Als Allah den Menschen schuf, waren die Engel verwundert: ‚Du willst jemanden auf die Erde setzen, der dort Unheil stiftet und Blut vergießt?‘ Aber er antwortete: ‚Ich weiß, was ihr nicht wisst.‘ “ Sie ziehe daraus Mut.
„Ich weiß, was ihr nicht wisst“, sagt sie, wenn sie beim Familientreffen oder in der Teeküche mal wieder die Einzige ist, die Müll trennt. „Die anderen sagen dann: Ach Şenay – am Ende wird doch eh alles zusammengeschüttet.“ Sie sagt das ganz nüchtern, ihr Blick geht zu der mit Blumenkacheln geschmückten Moscheekuppel: „Steter Tropfen höhlt den Stein. Alle wissen, wenn ich dabei bin, wird der Müll sauber getrennt.“ Oder gar nicht erst verursacht.
Seit diesem Jahr verbannt Şenay Altıntaş Plastik aus ihrem Umfeld, wann immer das geht. Schluss mit Einwegflaschen, Seifenspender, Tüten. Sie hatte das Plakat einer Umweltschutzorganisation gesehen, das mit dem Delfin im Wasser, die Schnauze randvoll mit Plastikmüll. Dieses Bild wühlt sie noch immer auf. Sie nutze im Alltag kaum Internet oder Fernsehen, sehe kaum solche Bilder. „Auf einmal fühlte ich mit den Fischen und Delfinen. Ich hatte das Gefühl, selbst unter Wasser zu sein – und nach oben zu schauen, wo der Müll das Licht verdeckt. Die sind ja begraben unter all diesem Zeug. Und das Schlimmste: Da könnten auch Dinge dabei sein, die ich mal benutzt habe.“
Sie sei spät dran mit ihrer Reaktion, das Plakat sehe man schon monatelang überall, machten sie sich in der Moschee lustig. Als dann noch die Umweltschützer von NourEnergy (ihre ehemaligen Studienkollegen) anregten, man könnte den Fastenmonat Ramadan, der dieses Jahr im Frühsommer stattgefunden hat, plastikfrei gestalten, war sie sofort dabei.
Beim nächsten Vorstandstreffen fragte sie nach dem Wegwerfgeschirr und erfuhr, dass es 900 Euro kostete und bestellt war. „900 Euro?! Für die Tonne?! Wir haben doch genug Geschirr – und eine Industriespülmaschine“, sagte sie. Es gab keine Gegenstimme. Vor allem musste die Köchin mit ins Boot: „Wir haben ja 30 Tage lang jeden Tag 100 bis 150 Gäste, am Wochenende sogar 200 ... Was für ein Berg Plastikmüll wäre das gewesen. Jeden Tag! Das haben wir eingespart.“
Als sie für den plastikfreien Ramadan eintrat, wollte sie auch einen Veggie-Day einführen. Şenay Altıntaş rollt mit den Augen: „Das hätte ich wohl besser nicht gesagt. Uiuiui! Die Frauen wären ja einverstanden gewesen, aber die Männer! Die haben heftig protestiert.“
Was heißt für sie halāl? Was ist erlaubt? „Ich erzähle den Leuten von Videos, die ich gesehen habe“, sagt Şenay Altıntaş, „und ich frage sie: Glaubt ihr wirklich, der Prophet Mohammed würde Fleisch von diesen Tieren essen? So wie sie gequält und transportiert wurden? Wäre das für ihn halāl? Nein!“ Als Zehnjährige hat Şenay Altıntaş mal die Schächtung eines Lamms beobachtet. Seitdem isst sie kein Fleisch mehr.
Banner, Paradies, Dschihad
Die Farbe Grün ist für Muslime eng mit ihrem Glauben verknüpft – in vielerlei Hinsicht. Es gibt eine Reihe von oft zitierten „grünen“ Versen, die Gläubige anweisen, Balance und Schönheit der Schöpfung zu erhalten. Viele Schriftzüge, Banner, Flaggen sind grün. Der Prophet Mohammed war stets in Grün gekleidet – es soll seine Lieblingsfarbe gewesen sein.
Als jedoch islamistische Dschihadisten mit grünen Stirnbändern Anschläge verübten und für die Errichtung eines Gottesstaates mordeten – stand die Farbe mit weltweitem Entsetzen über Islamisten in Zusammenhang. Extremismus hat mit dem Leben, das die meisten Muslime führen, nichts zu tun. Im Gegenteil. Nach dem Koran sind Muslime eine Gesellschaft der Mitte – und dazu verpflichtet, ein nachhaltiges Leben zu führen. Symbolisch steht die Farbe Grün weltweit für Natur, Leben und Hoffnung, vor allem in den heißen Wüstenstaaten. Das Paradies, das Gläubige erwartet, die nach den Regeln des Islam gelebt haben, wird im Koran als Verheißung beschrieben: „Saftig grüne Gärten mit dunklem Blattwerk.“ Diejenigen, die dorthin gelangen: „ruhen auf grünen Kissen und schönen Teppichen. Sie sitzen behaglich angelehnt auf grün bezogenen Lagern.“ Neben Blau (symbolisch für Wasser) ist Grün die meist verwendete Farbe bei der Gestaltung von Moscheen.
Vor allem englischsprachige muslimische Autoren hoffen angesichts der Klimakrise auf einen „Öko-Dschihad“, eine globale Umweltbewegung, die ihre Ziele streng mit muslimischen Glaubenssätzen rechtfertigt.
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