Längerfristig betrachtet hatte der Beschluss des Münsteraner PDS-Parteitages im Jahr 2000, wie Wolfgang Gehrcke mit Recht einräumt, eine "überwiegend positive Wirkung". Er war nötig, um die friedenspolitischen Leitlinien der Partei in außergewöhnlicher Zeit zu schärfen. SPD und Grüne hatten den Aggressionskrieg gegen Jugoslawien mitgetragen. Der Zeitgeist jonglierte mit dem Unwort der "humanitären Intervention". Hierzu war ein deutliches "Nicht mit uns" geboten. Bekräftigt wurde, dass die PDS Krieg als Mittel von Politik unmissverständlich ablehnt - und die Gesellschaft sich darauf verlassen kann. Zu dieser Maxime gibt es keinen Dissens.
Nicht hinnehmbar ist jedoch, wenn ein Antikriegskurs gleichsam als ideologische Keule dient, um komplizierte Fragen abzublocken, wie die von Torsten Wöhlert nach den völker- und verfassungsrechtlichen Grundlagen des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan im Rahmen der ISAF-Mission und seiner politischen Bewertung. Auch frage ich mich, wer eigentlich vorbeugend diszipliniert werden soll. Bricht sich die Linkspartei denn einen Zacken aus der Krone, wenn sie sagt, wie es ist? Der ISAF-Einsatz der Bundeswehr mit UN-Mandat ist völkerrechtsgemäß, aber als Nachsorge einer Aggression höchst umstritten und aufgrund der Struck-Vorgabe, wonach Deutschlands Interessen am Hindukusch verteidigt werden sollen, politisch inakzeptabel.
Ganz schlimm wird es, wenn Wolfgang Gehrcke überdies noch formuliert, "besser einen deutschen Militäreinsatz mit nicht ganz so guten Argumenten abzulehnen, als mit scheinbar differenzierten Argumenten dazu beizutragen, dass Gewalt und Krieg wieder zum Mittel der Politik werden". Das ist wahrlich starker Tobak. Der Autor hat offenbar sein flugs zum non-paper erklärtes Diskussionspapier "Außenpolitische Positionsbestimmung nach dem Kosovo-Krieg" vom September 1999 vergessen, das eine deutsche Beteiligung an UN-Einsätzen "grundsätzlich" befürwortet, weil hierzulande "das nötige know how und die Kapazitäten vorhanden sind". Vor allem diese Position war es doch, die in der PDS eine Debatte auslöste und zum bekannten Ergebnis von Münster beitrug.
Es stimmt, Politik ist auf Kompromisse angewiesen. Aber Wolfgang Gehrcke meint, Kriterium ihrer Bewertung sollte sein, "ob sie Bewegungen für gesellschaftliche Veränderungen bestärken oder schwächen". Wahrlich ein hehres Ziel, aber doch wohl bei weitem nicht der alleinige Maßstab! Sind etwa Beförderung des gesellschaftlichen Fortschritts oder konkrete Verbesserungen im Alltagsleben oder Schritte in Richtung mehr Demokratie und Bürgerrechte für die Linke keine Kriterien?
Und außerdem: Kompromisse setzen immer voraus, mit anderen, die unsere Überzeugungen nicht teilen, im Gespräch zu sein und - ohne sich selbst zu verleugnen - die Meinung des anderen zumindest zu respektieren. Nur so kann man Politik entwickeln, die für die Linkspartei neue Optionen und Wirkungsmöglichkeiten eröffnet. Das ist in den Kommunen oder in den Ländern selbstverständlich. Nur für Europa gelten offenbar andere "Gesetze". Davon zeugt die Ablehnung der EU-Verfassung durch die PDS. Sicher gibt es neben den wirtschaftsliberalen Leitsätzen auch sicherheitspolitisch gute Gründe, sich hier zu verweigern. Stichworte dafür sind der Verzicht auf EU-Abrüstungsinitiativen oder die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur "Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten", die auch ich entschieden ablehne, weil sie militärische Machtentfaltung befördern und zivile Konfliktlösungen behindern. Dass aber ein Nein der PDS zur EU-Verfassung derart diffus und dogmatisch - nämlich ohne schlüssige Alternative - daher kommt, erklärt sich offenbar daraus, dass die Außen- und Sicherheitspolitik der EU in der Tat bereits zu einem "Refugium der Kompromisslosigkeit" geworden ist. So wurde weder das in der Verfassung verankerte Friedensgebot zur Kenntnis genommen noch die ausdrückliche Bindung der EU an das Völkerrecht und die UN-Charta, die Angriffs- wie Präventivkriege verbieten. Alles - gewiss nicht zu überschätzende - Berufungsgrundlagen für künftige friedenspolitische Initiativen. Geleugnet wurde, dass sich die EU einen erweiterten Sicherheitsbegriff zu Eigen macht. Auch die Orientierung der Verfassung auf zivile Konfliktregelung, auf die Verpflichtung der EU zur Kooperation mit der OSZE und den Aufbau eines diplomatischen Dienstes wurden ignoriert oder klein geredet.
Sollte sich in der Linkspartei.PDS ein Denken durchsetzen, das schwierige Fragen verbietet und der Realitätsverweigerung Vorschub leistet, käme das einem Rückzug in die Vergangenheit gleich. Man liefe Gefahr, in der komplizierten Welt von heute politikunfähig zu werden - und das ausgerechnet auf außen- und friedenspolitischem Gebiet, wo angesichts all der Lügen und platten Propagandaschlachten der Herrschenden gerade das differenzierende Argument notwendiger denn je erscheint und für Bürgerinnen und Bürger letztendlich auch am überzeugendsten ist. Wir müssen begreifen, dass ein geeintes friedliches Europa nie zustande kommt, wenn wir unsere eigenen Vorstellungen zum alleinigen Maß aller Dinge erheben.
Die Autorin ist Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und Abgeordnete der linkssozialistischen Fraktion.
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