Der Mensch im Wahn: Sind wir bald nur eine Fußnote in der Geschichte?
Sachbuch In „Die Unterwerfung. Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur“ macht uns der renommierte Historiker und Philosoph Philipp Blom sanft klar, dass unser Leben anders werden muss
Albert Einstein hat sich zu Bienen nicht geäußert. Trotzdem soll er gesagt haben: „Wenn die Biene von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.“
Weltweit wimmelt es nur so von erfundenen Einstein-Zitaten – keine andere prominente Persönlichkeit wird derart häufig falsch zitiert. Auch Jean-Jacques Rousseau wird seit jeher ein Satz angehängt, der sich in keinem einzigen seiner Werke findet. Es handelt sich dabei um die Losung „Retour à la nature – Zurück zur Natur“.
Vielleicht könnte man diese Aussage nun dem Wiener Historiker und Philosophen Philipp Blom unterschieben, angesichts der knapp 400 Seiten umfassenden Universalgeschichte der Umwelt mit dem Titel Die Unterwerfung, die er aktuell vor
g, die er aktuell vorlegt? Es ließe sich denken, dass Bloms bisweilen poetische Erkundungen der menschlichen Obsession, die Natur zu beherrschen, in einer romantischen Verklärung der Natur enden. Doch mitnichten. Bei allem, was droht, der Philosoph zeigt auf. Und neigt nicht dazu, sich in Illusionen über das Kommende zu verlieren.In seinem Buch Die Welt aus den Angeln (Hanser 2017) erzählte Blom sehr originell die Entstehung der modernen Welt, nämlich über das Wetter und den Klimawandel. Er zeigte auf, welche kulturellen und politischen Folgen die kleine Eiszeit hatte und wie die Menschen versuchten, sich mithilfe von Aufklärung, Wissenschaft und Technik aus der Abhängigkeit von der Natur zu befreien. Jetzt also die Unterwerfung der Natur. Hoffnungsvolle Entwürfe sind von ihm nicht zu erwarten. Andererseits beschwört der Autor auch keinen Nihilismus herauf. Betonnüchtern konstatiert Blom: „Die Geschichte des Menschen wird enden, nicht durch die Lösung aller Probleme und im Ewigen Frieden, in einer Utopie der ultimativen Gerechtigkeit oder sogar in einer dystopischen Herrschaft des Bösen, sondern chaotischer, und aus sehr prosaischen Gründen ohne spektakuläres Finale.“ Man darf ruhig schlucken angesichts solcher Thesen. Und man wird es beim Lesen, gerade wenn man zu narzisstischer Selbstüberhöhung neigt, noch öfter tun. Es gehört zu Bloms Ausführungen ganz wesentlich, und übrigens ohne lästige Samthandschuhe, den Menschen mit seiner eigenen Hybris zu konfrontieren. Um ihn dann, eher elegant als brachial, vom Thron zu stürzen und ihm seinen tatsächlichen Platz zuzuweisen. Der Homo sapiens sei, so sein Fazit, „ein Primat, der sich selbst hoffnungslos überschätzt“. Und in Wirklichkeit „kein besonders wichtiger Organismus“. Nach seinem Aussterben würden, wie einst vor seinem Auftreten auf diesem Planeten, Mikroben regieren. Dass er, der Mensch, trotzdem unbeirrt glaube, alle Kreaturen würden „vor seiner unvergleichlichen Majestät in den Staub fallen“, entbehre gemäß Blom nicht einer gewissen Komik.Man ist geneigt, und dieser Exkurs sei genommen, Prometheus die Schuld zu geben. Indem er – sehr zum Missfallen von Zeus – das Feuer zu den Menschen brachte, ermächtigte er sie, sich den Göttern gleichzustellen. Nicht zuletzt der biblische Appell „Macht euch die Erde untertan“ gab gehörig Auftrieb. Die, mit Sigmund Freud gesprochen, „menschliche Größensucht“ verführte den Homo sapiens alsdann, seine Titanenmacht, mit der er sich selbst ausstattete, in die Maßlosigkeit zu treiben. Theodor W. Adorno und Max Horkheimer beschrieben in der Dialektik der Aufklärung, welche Auswüchse der Wille zur Herrschaft annehmen kann: „Was die Menschen von der Natur lernen wollen, ist, sie anzuwenden, um sie und die Menschen vollends zu beherrschen. Nichts anderes gilt.“Allein: Wann hört das auf? Hört es überhaupt auf? Wer wollte noch Hoffnung haben, angesichts der Tatsache, dass sich der Mensch sogar an den Wolken vergreift, diesen Flüchtigen, eigentlich jedem Besitz Entrinnenden. „Längst wird ihre Entstehung durch die Erderhitzung beschleunigt“, erläutert Blom. Sie würden außerdem beobachtet, klassifiziert, verfolgt, analysiert, chemisch manipuliert – und das nicht nur in China –, dienten als Spekulations- und Kunstobjekte. Die niederländische Künstlerin Noa Jansma präsentiert sich im Internet als Wolken-Verkäuferin. Und erklärt das so: „Nach der Besetzungstheorie von Jean-Jacques Rousseau bemächtige ich mich ihrer, indem ich eine Grenze um sie ziehe, bevor jemand anders das tut.“Noch mal: Wann hört das auf? Die Krux: Unterwerfung ist überall. Blom spricht von einer „Wahnidee“ und ordnet ihr, und wer wollte das leugnen, eine Schlüsselrolle in der Menschheitsgeschichte zu.Allerdings macht sich kaum ein Mensch bewusst, wie sehr er, und das sehr grundsätzlich, in die Idee der Unterwerfung verstrickt ist: „Sie ist längst Teil des Gewebes geworden, in dem unsere Gesellschaften denken und handeln.“ Wieder ein harter Schlag. Blom scheint es mit der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann zu halten: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ In der Art und Weise, wie er vorgeht, mit immensem sprachlichen Geschick, beweist er sich als wahrer Konfrontationskünstler. Da er nie in die Hysterie und Anklage von Klimaaktivisten abrutscht, ermöglicht er ganz selbstverständlich den Zugang zu einer Selbstreflexion, in die jene zwingen wollen, und die als unverzichtbar für kommendes Handeln gelten darf.Jüngstes Öko-GerichtEs muss die Sprache eine andere werden. Kein Moralismus. Kein Populismus. Keine absolutistischen Forderungen, die nach radikaler Unterwerfung – sic – verlangen. Denn: Wollen wir so miteinander leben? Als stünden wir permanent vor dem Jüngsten Öko-Gericht? Besonnenheit scheint angesichts permanenter Bedrohungsszenarien die Haltung der Stunde zu sein. Adorno und Horkheimer appellierten, sich mit der Natur zu versöhnen. Und Blom fragt: Kann die Unterwerfung, auch des eigenen Selbst, abgelöst werden durch eine andere Idee vom guten Leben?Placeholder infobox-1
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