Sie sind zuhause nicht willkommen

Gastbeitrag Viele rumänische Wanderarbeiter verloren wegen Corona Job und Bleibe. Sie kehrten hektisch in ihre Heimat zurück, schildert Szabolcs Sepsi vom DGB-Projekt Faire Mobilität
Alle Rumänen, die zurückkehren, müssen eine zweiwöchige Quarantäne einhalten
Alle Rumänen, die zurückkehren, müssen eine zweiwöchige Quarantäne einhalten

Foto: Andrei Pungovschi/AFP/Getty Images

Rumänien blickte bereits gebannt auf die Entwicklung der Coronakrise in Europa, als es im Land selbst noch so gut wie keine Fälle gab. Am 10. März – damals gab es landesweit erst 30 Erkrankte – schlossen die Schulen, Kontaktverbote und Ausgangsbeschränkungen traten in Kraft. Seit Mittwoch, dem 25. März (900 Fälle), gibt es strenge Ausgangssperren, das Militär überwacht die Straßen. Corona beherrscht Telefonate und Skype-Gespräche mit verängstigten Freunden und Verwandten. Denn das Gesundheitssystem ist für die Krise nicht gerüstet und an die offiziellen Zahlen glaubt keiner. Schuld daran sollen laut öffentlicher Meinung, Presse und vorherrschender Stimmung in den sozialen Medien die Wanderarbeiter sein.

,Bleibt, wo ihr seid‘

In den letzten Wochen strömten laut Corona-Task-Force der Regierung Hunderttausende Auslandsrumänen ins Land zurück, ohne bei der Einreise getestet zu werden: aus Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien, wo die größte Diaspora lebt. Willkommen geheißen wurden sie diesmal nicht. Staatspräsident Klaus Johannis forderte die „lieben Mitbürger aus der Diaspora“ in einer offiziellen Ansprache auf, doch bitte lieber dort zu bleiben, wo sie sind. Das Fernsehen zeigte Rückkehrer, die vor laufenden Kameras Bußgelder bekamen, weil die sich nicht an die verpflichtende zweiwöchige Quarantäne gehalten hätten. In den Nachbarländern ist die Situation ähnlich: In Ungarn wurde ein Fall bekannt, wo die Polizei eine wütende Menschenmenge auflösen musste. Diese versammelte sich spontan vor dem Wohnhaus eines aus Deutschland zurückgekehrten und wegen eines Infektionsverdachts unter Quarantäne stehenden Kellners.

In Deutschland sind seit Mitte März die Schulen geschlossen und das öffentliche Leben eingeschränkt. Vor zwei Wochen kamen die ersten Anfragen zum Thema Corona in den Beratungsstellen unseres DGB-Projektes „Faire Mobilität“ an, seitdem sind es sehr, sehr viele geworden. Das ist nicht selbstverständlich, denn wir beraten ausschließlich zum Arbeitsrecht. Zu uns kommen meist prekär beschäftigte Wanderarbeiter, überwiegend aus Mittel- und Osteuropa.

Wie die Erzieherin, die in einer Kita als Leiharbeiterin eingesetzt wird. Ihre fest angestellten Kolleginnen, die ohnehin besser verdienen, wurden unter Lohnfortzahlung freigestellt. Sie selbst bekommt Kurzarbeitergeld, 600 Euro pro Monat. Theoretisch könnte sie „aufstocken“. In der Praxis war das Jobcenter seit Tagen nicht erreichbar.

Oder die gesamte Belegschaft einer Küche, der der Chef nahegelegt hat, die eigene, fristlose Kündigung zu unterzeichnen. Ansonsten, drohte er, könne es „sehr lange dauern“, bis die letzten zwei noch ausstehenden Monatsgehälter überwiesen würden. Der Klageweg stehe natürlich jedem offen, aber auf einige Monate Wartezeit müsste man sich da schon einstellen. Die Einschüchterung wirkte: Alle Beschäftigten unterzeichneten die Eigenkündigung. Die Familien zu Hause warten auf das Geld, eine mehrmonatige Wartezeit ist da nicht drin.

Im Schlachthof

In sehr vielen Fällen wurde uns Ähnliches berichtet. Die Arbeitgeber von migrantischen Beschäftigten aus Mittel-Ost-Europa sind häufig gleichzeitig ihre Vermieter. Wer seinen Job verliert, verliert so fast automatisch seine Bleibe. Viele Betroffenen setzten sich ins Auto, um so schnell wie möglichnach Osten in ihre Heimatländer zu kommen. Viele hatten Angst, dass die Grenzen bald geschlossen würden und sie in Deutschland bleiben müssen, ohne Geld und ohne Wohnung.

An die Aufforderung, unbedingt drinnen und zuhause zu bleiben, hielten sich viele offenbar eher nicht. Aber kann man sich überhaupt für Aufforderungen wie „#staythefuckhome“ begeistern, wenn man aufgrund der aktuellen Situation plötzlich weder einen Job noch eine Bleibe hat? Oder aber wenn man im Schlachthof wegen der gestiegenen Fleischnachfrage gerade unzählige Überstunden kloppt und das „home“ ohnehin eine überbelegte Massenunterkunft mit Mehrbettzimmern und schlechten Sanitärbedingungen ist?

Corona reiste in der großen Rückreisewelle nach Osten dank EU-Personenfreizügigkeit mit. Diese Grundfreiheit steht allen EU-Bürgern zu. Die Route des Virus verbindet aber ganz unterschiedliche Welten: Die teuersten Skiorte Europas gelten heute als die Infektionsherde am Anfang der Krise, wohlhabende Urlauber brachten die Krankheit aus Ischgl nach Norwegen, Frankreich oder Deutschland. Tagelöhner und Gelegenheitsjobber schleppten es in einer zweiten Welle in ihre osteuropäischen Heimatländer. Dort trifft es auf eine marode Gesundheitsinfrastruktur, der es massiv an Personal fehlt, weil dieses nach Westeuropa ausgewandert ist.

Rumänien hat immerhin früh Quarantänemaßnahmen eingeführt. Wenn Ärzte schon fehlen, sind stattdessen Soldaten auf den Straßen präsent. Nun kann man nur noch die Daumen drücken, dass die Ausgangssperre wirkt. Das Gesundheitssystem wäre sehr schnell überfordert. Und auf europäische Solidarität kann man in dieser Krise ohnehin nicht zählen.

Szabolcs Sepsi ist Berater beim Projekt Faire Mobilität des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

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