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Mindestlohn Auch Praktikanten sollen ab 2015 den gesetzlichen Mindestlohn erhalten. Die Unternehmer empören sich, doch eine Veränderung des Systems ist lange überfällig.

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Gerade die Werbebranche, Bilderbuchbeispiel für die Ausbeutung junger Arbeitskräfte und fast schon Synonym für schlechtbezahlte Praktika, sieht im geplanten Mindestlohngesetz, das im Entwurf des Koalitionsvertrages der neuen Bundesregierung enthalten ist, „nicht leistbare“ Forderungen auf sich zukommen. Es geht darum, ob der einheitliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde auch für Praktikanten und Auszubildene gelten sollte. Eine entsprechende Ausschlussklausel, die genau dies verhindert, war bis zu der letzten Version im Vertrag enthalten - nun fehlt sie und die deutschen Unternehmer fangen an zu jammern.

Laut dem Branchentitel „Werben und Verkaufen“ differenziert der Finanzvorstand der Werbeagentur Jung-von-Matt, Ulrich Pallas, zwischen der Ausbeutung junger Arbeitskräfte und „echter Praktika“, die auf Grund ihres Ausbildungscharakters auch mit Investitionen für das Unternehmen verbunden sind. Derart von Praktika müsse man vom Mindestlohngesetz ausschließen. Auch die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) sieht bei Praktikanten einen erhöhten Aufwand für die Unternehmen. „Wenn zu diesem Aufwand dann noch ein Mindestlohn kommt, obwohl es bei Praktika an einer Arbeitsleistung wie bei einem Beschäftigungsverhältnis fehlt, werden Praktika für Arbeitgeber zu teuer und unattraktiv“, vermeldet die BDA.

Bei diesen Worten entstehen im Kopf des gemeinen Satirikers Bilder von weinenden Kindern, denen man das Spielzeug weggenommen hat. Man ist kurz davor eine große Dose Mitleid für die armen deutschen Unternehmer zu spendieren, um ihnen dann ihr Spielzeug (den Praktikanten) wiederzugeben - es sind doch nur Kinder.

Die Aufregung ist in der Tat verständlich, rüttelt ein Mindestlohn für ausgebildete Praktikanten (es geht ja nicht etwa um Schüler, die in die Berufswelt schnuppern wollen, sondern um fertig studierte oder ausgebildete Arbeitskräfte) doch letztlich auch an den Säulen, auf denen satte Gewinne und teilweise ganze Geschäftsmodelle aufgebaut sind. Dass das den Vorständen nicht gefällt bedarf keiner weiteren Erklärung.

Besonders in dem Statement der BDA spiegelt sich jedoch keinesfalls die Realität wider, denn von einer fehlenden Arbeitsleistung kann in den meisten Fällen keine Rede sein. Die Regel besagt eher, dass Praktikanten eigenständig und oft auch eigenverantwortlich ganz normale 40-Stunden-Wochen oder mehr arbeiten. Unter dem Deckmantel der nötigen Ausbildungsinvestition, die das Unternehmen zusätzlich tragen muss, wird dann gar nicht oder schlecht bezahlt. Diese Praktik entzieht sich letztlich jeder sozialen Logik. Sicherlich muss ein Praktikant zunächst eingearbeitet werden, doch die Darstellung der BDA vermittelt das Bild, es handle sich bei dem Praktikum um eine Art Schulung bei der gelehrt und nicht gearbeitet wird.

Auf die Problematik, dass Absolventen dennoch keine andere Möglichkeit neben unbezahlten Praktika sehen, um in die Berufswelt einsteigen zu können, wurde in der Vergangenheit schon oft hingewiesen. Auch deshalb wäre der geplante Mindestlohn nun ein Schritt in die richtige Richtung, wenn er auch mittelfristig mit möglichen Problemen behaftet ist.

So sprechen sich selbst manche, die von schlechtbezahlten Praktika direkt betroffen sind, dieser Tage gegen die geplante Mindestlohnregelung aus. Grund hierfür ist vermutlich die Angst, das Angebot an Praktika könne schrumpfen und der Berufseinstieg könne so noch weiter erschwert werden. In der Tat wird es weniger Praktika geben, wenn die Unternehmen sich diese entweder nicht mehr leisten können oder nicht mehr leisten wollen. Doch das ist langfristig richtig, da das ganze System, welches im Kern unsozial ist, auf diesem Wege nachhaltig gestört wird. Eine Vollzeitkraft als billigen Praktikanten einzustellen darf einfach keine Methode sein. Dies wünschen sich im Übrigen auch die Gewerkschaften. Florian Haggenmiller, der Bundesjugendsekretär der DGB, spricht sich gegen einen Mindestlohn für ausgebildete Praktikanten aus, da ein Absolvent gar keine Praktika mehr machen sollte. Die Frage des Mindestlohns stelle sich daher gar nicht.

Es ist fraglich, ob der Gesetzesentwurf überhaupt in dieser Form bestehen bleibt, in der wir ihn heute diskutieren. Möglich und denkbar wäre leider auch, dass die Unternehmer ihren Willen bekommen und alles beim Alten bleibt. Wünschenswert wäre das für Niemanden, denn es ist an der Zeit das System, also namentlich das Geschäft mit den Praktikanten, zu verändern. Auch wenn diese Art von systemischer Veränderung oft mit Problemen einhergeht, wird der Nutzen langfristig überwiegen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

T Capus

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