Es lebe das Berliner Clubsterben!

Berliner Clubkultur Hannes Schrader feiert im Tagesspiegel die Schließung eines Neuköllner Technoclubs. Auch ich sage “Good Riddance!“ und ergänze mit folgender Replik

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(White) Privilege + Narzissmus + Hedonismus + Siedlerkolonialismus = Technofeieropfer: Danke an Hannes Schrader für das Erkennen und Problematisieren dieser eigentlich simplen mathematischen Gleichung in seinem (im sonst so meinungskonsensliebenden Leitkulturmedium Berliner Tagesspiegel erschienenen) bissig-ironischen Beitrag „Viel Gebimmel um die Clubkultur: Warum Berlin ohne seine Clubs besser dran wäre“ (https://m.tagesspiegel.de/berlin/viel-gebimmel-um-die-clubkultur-warum-berlin-ohne-seine-clubs-besser-dran-waere/25448252.html).

Es ist eine wunderbar schonungslose Abrechnung mit der Verlogenheit und gesellschaftlichen Abdingbarkeit der organisierten Berliner „Feierszene“ und ihrer daueronanierenden, dem Partydrogentod geweihten Gefolgsleute. Der Kreuzberger Street Artist und mein ehemaliger Kommilitone Sozi36 nannte diese Spezies postdemokratischer Modezombies mal auf einem seiner im Kiez herumstehenden besprühten Straßenmüllmatrazenleinwänder treffend „Elektroaffen.“

Diese Spezies, die wir PoCs, die mit Public Enemy und Pac großgeworden sind (so nennen wir 2Pac, liebe Almans), schon in den 90ern „Technoten“ tauften (ein Portmanteau aus „Techno“ und „Idiot“, falls es die verstrahlten Herr-, Frau- und Allesdazwischenschaften nicht gerafft haben), ist stellvertretend für das „Neue Berlin“, welches der Schöneberger Rapper Alpa Gun in seinem gleichnamigen Track so gekonnt lamentiert hat. Und für einen korrespondierenden urbanen Zeitgeist, in dem Postdemokratie, pathologische Selbstliebe und die Implementierung einer rücksichtslosen Vogel-Strauß-Politik im eigenen Leben die deontologische Leitkultur und Handlungsmaxime eines signifikanten Teils der Hauptstadtbevölkerung darstellt.

Es ist eine Bevölkerungsgruppe, die drei Tage lang in den Technotempeln der Hauptstadt sorgenfrei durchtanzt, während vom benachbarten Frankreich über den Nahen Osten bis nach Hong Kong und von da aus nach Südamerika so viele Gesellschaften sich gleichzeitig in gewaltsamem Aufruhr befinden wie schon lange nicht mehr. Aber was sind schon die Welt und ihre Sorgen gegen die Akustik im Berghain. Oder gegen das Ambiente im Kater Blau, der seinen Namen öfter ändert als P. Diddy.

Und was sind diese sich-den-Finger-in-den-Popo-steckenden Clubgänger eigentlich für Menschen, deren Prioritätensetzung so verquer ist, dass sie bei einer GEMA-Gebührenerhöhung in Massen auf die Straße strömen und sich urplötzlich wieder an ihr verfassungsrechtlich verbrieftes Demonstrationsrecht erinnern, der unmenschliche Krieg im Jemen, der bereits 100,000 Leben gekostet hat, sie aber nicht mal vor die Wohnungstür bringt, geschweige denn auf die Straße?

Und was ist das für eine Stadtpolitik, die dieser fatalen Pseudopolitisiertheit nicht nur nicht einen Riegel vorschiebt, sondern vor der Techno-Lobby in Form der Berliner Clubcomission e.V. auch noch den Kotau macht, wenn sie die Stadt auf die bacchanalen Wünsche der Ersteren zurechtzimmert?

„Die Berliner Clubs haben erheblich zu der Entwicklung und dem Ansehen der Stadt beigetragen, und das nicht nur in kultureller, sondern auch in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht“, so ein Sprecher dieses Hedonismuskombinats, das gegen das Berliner „Clubsterben“ kämpft (dass es überhaupt einen solch klitternden Begriff gibt, der dem Naturschutz entwendet ist und eine Bedrohungskulisse zeichnen soll, die sich in die Nähe rückt von wirklich existenzbedrohenden Phänomenen wie dem Bienen- oder Waldsterben ist an Perfidie nicht zu überbieten).

Solche O-Töne sind nicht nur Feieropfersprech-Umschreibungen für das G-Wort (Gentrifizierung), sondern auch ein unbeabsichtigtes Eingeständnis, dass man zu dieser destruktiven Entwicklung selbst beigetragen hat und am Ausverkauf der Stadt Mitschuld trägt.

Daher folgender korrektiver Lösungsgegenvorschlag an dieser Stelle: Ob Berghain oder Sisypfui, Golden Gate oder Griessmühle und wie diese Selbstbefriedigungsgulags alle heißen: reißt sie endlich alle ab. Baut bezahlbare Wohnungen an ihrer Stelle, gebt gleichzeitig die brachliegende und maßlos überbewertete Selbtsbeweihrächerungsfreizeitfläche für Zugezogene und Touristen, besser bekannt als das Tempelhofer Feld, für den städtischen Wohnungsbau frei (oder eröffnet den Flughafen wieder, dann muß man nicht immer bis nach Tegel oder Schönefeld rauseiern) und verbietet Airbnb.

Und die einzige Party die dann noch gemacht werden darf, ist die, welche die Berliner Rapper von K.I.Z. schon vor Jahren auf ihrem Album „Sexismus gegen Rechts“ besungen haben: nämlich die auf Euren Gräbern, Ihr Ihr-wisst-schon-was-für-söhne.

Vielleicht wird Berlin dann wieder die HipHop-Stadt, die sie noch bis Anfang der Nuller Jahre mal war: als die Clubs noch „Icon“ und „Kurvenstar“ hießen und im Tresor, der in den goldenen 90ern noch in der Leipziger Straße war, auch regelmäßig Rapkonzerte stattfanden. Bis die laborgezüchteten, elektroversifften Berghainis aus dem Ostgut flohen, wie der angeblich beste Club der Welt damals hieß, und sich ausbreiteten wie die Beulenpest und zusammen mit dem CO2-emissionsintensiven Easyjetset aus Tobias Rapps Milieustudie „Lost and Sound“ fleißig die Unbewohnbarkeit des gesamten Bereiches innerhalb des S-Bahnrings vorantrieben.

Und das natürlich in Kooperation mit der korrupten und unfähigen Berliner Politik, die einen absurden Zustand mitverantwortet hat, in dem, wie Schrader es beschreibt, Gentrifizierer A (der Clubbetreiber) Gentrifizierer B (den Immobilieninvestor) zum Buhmann machen kann und Ersterer sich auch noch zum Opfer stilisieren darf, das gesamtgesellschaftliche Solidarität verdient.

Also nicht vergessen, liebe wirklich von Verdrängungsdruck betroffene Berliner, auf der nächsten Anti-Gentrifizierungsdemo mitlaufenden Opportunisten wie dem Technovolk und den von Schrader angesprochenen „WG-Küchen-Weißen“ ruhig in ihre verlogenen, mietpreiserhöhenden Studierendenopfervisagen zu spucken (Anmerkung: auch Beleidigungen können PC sein). Metaphorisch natürlich.

Denn wenn es für Antifaschisten in Ordnung geht, dies auf Rechts zu tun, wie das Berliner HipHop-Projekt „Spuck auf Rechts“ suggeriert, dann geht es auch sicher in Ordnung, die vom Radar hegemonialer Gentrifizierungskritik unerkannt gebliebenen Mitläufer zu outen und ihnen zu erkennen zu geben, was man so hält von ihrer bourgeoisen Hybris und selbstgenügsamen Opferrollenschauspielerei, ihrem performativem Antirassismus und verdrängungsverursachenden Unschuldsgehabe. Allesamt Synergien, die Rechts mitbeflügeln wie kein anderer.

Wie hat das eine andere HipHop-Gruppe, die nordrhein-westfälische Antilopen Gang, so treffend in ihrem „Fick die Uni“ zusammengefasst: „1933 wärt Ihr alle Nazis gewesen.“ Dass ich bei diesem Satz sowohl an die vor dem Aus stehenden Neuköllner Griessmühlenbetreiber als auch ihre masturbierende Tanzkundschaft denken muss, ist bestimmt keine zufällige Assoziation.

Mit der Schließung einer weiteren (White-)Privilege-Hipster-Lokalität in einem historisch „migrantischen“ Safe Space wie Neukölln kommen wir Berliner mit Mihi unserem kollektivem Endziel wieder ein Stück näher: nämlich uns unser an weiße Siedlerkolonialisten aus München oder Madrid, Augsburg oder Amiland verloren gegangenes Territorium und die damit verwobene gesellschaftliche Teilhabe und Diskurshoheit wiederzuholen und dann endlich wieder unsere Ruhe zu haben.

Und das ganz ohne Waterboarding, wie in der ersten Staffel von „4 Blocks“, als der englischsprechende Barbetreiber am eigenen Leib und unmissverständlichst zu spüren bekommen hat, wer in seinem Wahlkiez immer noch das Sagen hat (ich bin mir sicher, Mr Jens Kellner-sollen-deutsch-sprechen-Spahn hätte an dieser grandiosen Szene seine helle Freude).

Der Kannibalismus des kapitalistischen Marktes regelt das schon für uns. Wir sitzen dann solange in unseren Shisha-Bars und Shawarmabuden und schauen genüsslich zu, wie „guter“ und „böser“ Investor sich gegenseitig selbst abschaffen. Und als positive Begleiterscheinung auch die Feieropfer gleich mit.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Timo Al-Farooq

Freier Journalist aus Berlin in London・IG: @talrooq

Timo Al-Farooq

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