In defense of Dubai

Multikulturalismus Die GCC-Staaten werden hierzulande oft nur mit Ausbeutung von Gastarbeitern assoziiert. Doch besonders von Dubai können wir in Sachen Toleranz und Pluralismus viel lernen

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Man stelle sich Folgendes vor: Das sachsen-anhaltinische Dörfchen Tröglitz ist in 150 Jahren eine Millionenstadt und Ronny und Jaqueline, Nachfahren jener, die heute Geflüchtetenunterkünfte anzünden, flanieren durch ihre Stadt, und auf den Straßen sind bis auf einige wenige weiße Gesichter ausschließlich Syrer_innen, Afghan_innen, Eritreer_innen und Westafrikaner_innen zu sehen.

Diese utopisch-absurde Vorstellung ist quasi 1:1 die Geschichte des Golfemirats Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten, das sich im Zeitraum von anderthalb Jahrhunderten von einem Fischer- und Perlentaucherdorf am Arsch der Welt zu einer kosmopolitischen Weltstadt gemausert hat, wo heute mit unter 15% der Gesamtbevölkerung "autochtone Dubaianer_innen in "ihrer" Stadt in einer deutlichen numerischen Minderheit sind und das Stadtbild primär von Gastarbeiter_innen aus Indien, den Philippinen, Bangladesch, Pakistan und dem Mashreq dominiert wird (der einzige Unterschied liegt darin, das Dubai schon zu Dorfzeiten Fremden - ob iranische Händler oder gar britische Kolonialherren - nie feindlich gesinnt war, im Gegensatz zu den fremdenfeindlichen Sachsendörfern, wo man_frau lieber inzestuös unter sich bleiben und es somit tatsächlich schaffen, auch anno 2016 von der Moderne und einer globalisierten Welt abgeschnitten zu bleiben). Und das Beste dabei ist: kaum eine_n "autochtone_n Dubaianer_in stört dieser eigene Minderheitenstatus in der "angestammten" Heimat.

Fremd im eigenen Land: ist mir egal!

Solch weltoffene Haltung ist jenem realpolitischen Pragmatismus geschuldet, den die herrschende al-Maktoum Familie, die Dubai seit dessen Abspaltung von Abu Dhabi im Jahre 1833 ununterbrochen regiert, seit den 1960er Jahren als dubaisches Selbstverständnis etabliert hat und somit der Tatsache Anerkennung zollt, dass die schwindelerregende Entwicklung, welche die Stadt in diesem Zeitraum durchlaufen hat, ohne die aberhunderttausende "guest-worker", die jährlich in dieser arabischen "City of Gold" am Persischen Golf ihr Goldgräberglück suchen, nicht möglich gewesen wäre (allein zwischen 1968 und 1975 wuchs die Bevölkerung der Stadt von 56,000 auf 183,00 Menschen an; seit dem ist diese Zahl exponentiell gestiegen und die Bevölkerung heute auf knapp 2,5 Millionen Menschen angewachsen). Und während in Deutschland schon bei marginal prozentualem "Ausländer"anteil pathologische Überfremdungsängste grassieren, ist man im bis zur Unkenntlichkeit überfremdeten Emirat Dubai wesentlich entspannter, da dort im Gegensatz zu Deutschland und Europa die Einsicht vorherrscht, Realpolitik sei eine win-win-Situation für beide Parteien: die Emiratis auf der einen Seite haben vom ausländischen Humankapital, der den Dubai-Boom forciert hat, in Form von Infrastruktur und wirtschaftlicher Diversifizierung weg von den überschauberen Ölvorkommen (im Gegensatz zum Nachbaremirat Abu Dhabi, das über ca. 95 % der gesamten Ölreserven der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) verfügt) hin zu Tourismus, Immobilien und Finance profitiert, die der Stadt langfristig ihren Wohlstand und ökonomische Stabilität sichern wird; die Gastarbeiter_innen aus dem indischen Subkontinenten und den Philippinen auf der anderen Seite nehmen bereitwillig den eingeschränkten rechtlichen Status ihrer Arbeitsverträge im Rahmen des Kafala-Systems in Kauf, da sie am Golf in kurzer Zeit weitaus mehr verdienen können als in ihren Heimatländern, und deren Bruttoinlandsprodukte mittlerweile zu einem beträchtlichen von den weltweiten Rücküberweisungen ihrer im Ausland arbeitenden Staatsbürger_innen lebt (Philippinen 8,5 %, wovon nach den USA das meiste Geld von den OFWs - Overseas Filipino Workers - aus Saudi Arabien und den Emiraten kommt; Bangladesch 8,2 % Pakistan 4,2 %, davon 2/3 aus den sechs GCC-Staaten Saudi Arabien, VAE, Qatar, Bahrain, Oman und Kuwait; Indiens NRIs - Non-Resident Indians tragen mit ihren Rücküberweisungen zu 4% des nationalen BIPs bei).

Auch wenn es eine hierarchische Dichotomie zwischen Einheimischen und Ausländern gibt, die nicht nur rechtlich verankert, sondern auch im Alltag zu sehen ist - die forsche, arrogante Art, mit der manch männlicher Emirati oft philippinischen Kassierer_innen entgegentritt (aufgrund ihrer fast muttersprachlichen Englischkenntnisse gern gesehene Arbeitskräfte im Service- und Verkaufsbereich), oder die schlechte, nicht selten sexualisierte Behandlung indonesischer Nannys durch den Arbeitgeber - begegnen Dubaianer_innen im Großen und Ganzen dem Dauerzustand der temporären Zuwanderung aus aller Welt in ihre Stadt, die heute das Selbstverständnis Dubais ausmacht, mit weltmännischer Offenheit, stolzer Faszination ob der Hypermetamorphose, die die Stadt transformiert hat, sowie einem die ausländischen Gastarbeiter_innen inkludierenden Lokalpatriotismus, auch wenn diese keinerlei langfristige Bleibeperspektive oder gar Aussicht auf Einbürgerung haben. Solch Tiefenentspanntheit seitens der Aufnahmegesellschaft, die ich bei meinem jüngsten Aufenthalt dort vor einer Woche in Ansätzen bemerkte, verdeutlichte mir einmal wieder, das Multikulturalismus (hier sind nicht die konzeptionellen Theorien dessen gemeint, sondern schlichtweg die gesellschaftliche Realität multipler Kulturen innerhalb einer polity) auch zur Verwischung kultureller Grenzen beitragen kann, und sei es auch nur in einer solch banal-alltäglichen Sache wie Essensgewohnheiten, wenn etwa in dem keralanischen Restaurant, wo ich abends bei Masala Dosa dem malayalamsprechenden Stimmengewirr der südindischen Belegschaft und Gäste lauschte, sporadisch auch der ein oder andere Emirati in seiner Nationaltracht aus weißer Kandora und Ghutra auflief, und sich dort statt regionalem Machbous mal genüsslich ein subkontinentales Mutton Curry gönnte, das er vorher in der dubaischen lingua franca Englisch bestellt hatte: Nahrungsaufnahme und Kommunikation zwischen zwei ethnolinguistischen Gruppen in einer postkolonialen Drittsprache als fundamental transkulturelle Akte.

Wer im Glashaus sitzt...

Der Westen hat oft die unverschämte Angewohnheit, Andere für Dinge zu kritisieren, die er selber nicht besser macht: der mangelhafte Brandschutz in bangladeschischen Textilfabriken wird beanstandet, obwohl bei der fahrlässigen Tötung der Näherinnen von Rana Plaza westliche Konsument_innen mit ihrer neoliberalen Geiz-ist-Geil-Mentalität Beihilfe geleistet haben; arabische Golfstaaten werden pauschal beschuldigt, wahhabische Ideologie zu exportieren und für ihre Unterdrückung der Meinungsfreiheit dämonisiert, obwohl der Westen fleißig Rüstung in die Region liefert; die Bekämpfung des IS seitens der Golfstaaten sei zu zaghaft, obwohl der IS weder ein Produkt Saudi Arabiens, noch Katars ist, sondern eine logische Konsequenz westlicher, allen voran US-amerikanischer Außenpolitik. Und last but not least: Stets wird den Golfstaaten die schlechte Behandlung ihrer ausländischen Gastarbeiter_innen vorgeworfen, obwohl in den USA Arbeits(platz)sicherheit und Arbeitnehmerschutz eher Ausnahme als Regel sind und im Arbeitsleben noch heute die "You're hired, you're fired"-Devise gilt.

Besonders das letztere Thema scheint das zentrale Steckenpferd westlicher Kritiker_innen zu sein, wenn es um die arabischen Golfstaaten geht, allen voran das der ideologischen Linken, deren narzisstischer Idealismus nicht selten ihre Sicht für das tatsächlich Machbare trübt und somit ihre Kritik nicht selten über die Stränge schlagen lässt: Die einstige Aussage des attac-Mitgliedes und Bundesministers a.D. Heiner Geißler in einer öffentlich-rechtlichen Talkshow, die Arbeitssituation am Golf sei eine Form der modernen Sklaverei, ist ein solches Beispiel unreflektierter, pauschalisierender Übertreibung: Denn das, was in den arabischen Golfstaaten passiert, ist in keinster Weise mit geschichtlicher Sklaverei, Indentur, Leibeigenschaft oder Zwangsarbeit zu vergleichen, also all jenen Formen organisierter, nichtfreiwilliger Arbeit, die der Begriff "Sklaverei" konnotativ erweckt. Nochmal für alle: Niemand zwingt Menschen aus dem Subkontinenten und den Philippinen an den Golf, sie tun dies zwar aus wirtschaftlicher Überlegung oder gar Not, aber frei von direkter Zwangseinwirkung: Dies ist bei Sklaverei bekanntlich nicht der Fall ist. Und auch wenn in bestimmten Fällen die Pässe vom Arbeitgeber einbehalten werden, konstituiert dies noch lange keine Form von Leibeigenschaft, wie westliche Kritiker_innen oftmals den Eindruck erwecken. Einbehaltung von Löhnen, bei Protest willkürliche Auflösung von Arbeitsverträgen und Abschiebung sind höchst bedauerlich, aber nicht die Norm, und der Westen sollte aufhören, das vielschichtige Kafala-System semantisch lediglich auf die schlechte Behandlung von Gastarbeiter_innen zu reduzieren: im Großen und Ganzen funktioniert das System der Arbeitsmigration an den Golf - besonders nach Dubai - im Rahmen der nationalen Gesetzgebungen, auch wenn sie uns im Westen nicht gefallen mögen, mehrheitlich reibungslos (und Horror-Storys über schlechte Behandlung dieser Arbeitsmigranten_innen gibt es auch aus dem Libanon, Hong Kong, Malaysia und Singapur; sie sind also kein golfarabisches Monopol und daher nicht kulturalistisch zu erklären, sondern haben vielmehr etwas mit der ungleichen Verteilung von Wohlstand zu tun).

Die heterogene Wahrheit über die Arbeits-und Lebensbedingungen am Golf (eine weitere westliche Homogenisierung, schließlich gibt es nicht nur fundamentale Unterschiede zwischen Saudi Arabien und den VAE, sondern auch zwischen den sieben Emiraten der VAE selbst: Das große tolerante Dubai ist nicht das kleine konservative Ras al-Khaima, und das ölreiche Abu Dhabi nicht das vergleichsweise grottenarme Sharjah) liegt daher irgendwo zwischen Franz Beckenbauers "Ich habe noch keinen einzigen Sklaven in Katar gesehen" (als er dort in Vorbereitung auf die WM 2022 herumtourte) und Geißlers "moderne Sklaverei"-Aussage. Und besonders Deutschland und die EU sollten sich hüten, die Einwanderungspolitik anderer Staaten zu kritisieren, während sie selbst kaum legale Wege der Einwanderung ermöglichen und die fatale Festung Europa immer weiter ummauern und umzäunen. Darüber hinaus sollte Deutschlands eigene, alles andere als rühmliche, Gastarbeiter_innengeschichte, als der Aufenthaltsstatus (und dadurch auch das Selbstbestimmungsrecht) türkischer Arbeitsmigrant_innen nicht minder reglementiert wurde als der von den Gastarbeiter_innen heute am Persischen Golf, übereilte Kritiker_innen zur Vorsicht mahnen.

So schön können Leitkulturlosigkeit und Parallelgesellschaften sein

Dubai ist bekanntlich die Stadt der Superlative: luxuriösestes Hotel der Welt (Burj al Arab, sieben Sterne), höchstes Bauwerk der Welt (Burj Khalifa, 828m, Spitze nicht mitgezählt), größtes Einkaufszentrum der Welt nach Gesamtfläche (Dubai Mall): Aber der Superlativ, der bei mir immer wieder den bleibendsten Eindruck hinterlässt, schon jedes Mal bereits bei der Ankunft am Flughafen, ist die gelebte kulturelle Weltoffenheit der Stadt, die der Journalist Jim Krane in seinem populärliterarischen aber dennoch fakten- und erkenntnisreichen "Dubai -The Story of the World's Fastest City" als "one of the world's most cosmopolitan cities, with some two hundred ethnic groups living in a rare atmosphere of tolerance" beschrieben hat. Und es hat etwas so wunderschön Progressives, weil völlig unaufgeregt, wenn die erste Sprache, die man bei Ankunft vernimmt, nicht die "angestammte" ist, sondern eine "fremde", sei es Tagalog, Hindi/Urdu oder Bengali (was mich als Deutschen mit bengalischen Eltern besonders freut). Dabei ist der Multikulturalismus Dubais kein ideologischer kanadischer Prägung, wie er seit Pierre Trudeau zur kanadischen Identität gehört wie Ahornsirup auf Pancakes, sondern ein lapidar-schulterzuckender, der einfach da ist, weil er halt da ist: aus realpolitischen Gründen schlichtweg entstanden, weil die letzten drei regierenden al-Maktoums (Sheikh Rashid, 1958 - 1990; dessen Sohn Sheikh Maktoum, 1990-2006, und seit 2006 Sheikh Mohammed, jüngerer Bruder des Letzteren) erkannt hatten, dass der Schlüssel zu Modernisierung und ökonomischer Entwicklung nicht in Abschottung, sondern in der Öffnung für ausländische Ideen und Menschen ist.

Das besonders Beruhigende an Dubais - wenn auch keineswegs altruistischer - Willkommenskultur: hier gibt es keine einheimische Leitkultur, die den Ausländern aufgezwungen werden soll (nicht wahr Deutschland?) und niemandem wird befohlen, arabisch zu lernen (nicht wahr "Hier-wird-Deutsch-gesprochen!"-Deutschland?). Vielmehr darf jede Ethnie frei von staatlicher Einmischung ihrer Kultur und Religion nachgehen und bei Bedarf "unter sich" bleiben und wohnen, und kein Emirati nimmt Anstoß an dieser parallelisierten Gesellschaftskkonstellation oder an der Tatsache, überall eine Kakophonie aus Fremdsprachen zu vernehmen. Nach New York, London und Toronto widerlegt auch Dubai die europäische und besonders deutsche Angst vor dem nichtvorhandenen kausalen Zusammenhang zwischen Parallelgesellschaften und sozialemUnfrieden. In Dubai spielt Integration keine Rolle, denn sie ist Realität, und zwar einfach dadurch, dass man_frau sich an die nationalen Gesetze halten und das staatliche Selbstverständnis von Pluralismus, also die paritätische Wertigkeit und Daseinsberechtigung von Kulturen, Forderungen nach Integration, wie sie in Deutschland stets unisono zu hören sind, ad absurdum führen. Es bedarf keiner zusätzlichen Schlagdichtotkeule, wie sie Deutschland immer wieder auspackt und Neuankömmlingen damit auf den Kopf haut, die sich angeblich nicht "integrieren" und die deutsche Sprache nicht lernen wollen. Die Voraussetzung für Pluralismus ist die Befreiung der Aufnahmegesellschaft vom eigenen kulturellen Narzissmus: Deutschland und Europa, mit Ausnahme von Großstädten wie London oder Berlin, sind davon noch meilenweit entfernt. Und wie weit staatliche Willkommenskultur gehen kann, verdeutlicht der von Krane beschriebene Fall des Rechtsanwalts und Aktivisten Mohammed al-Roken, der wegen seiner Kritik, die Regierung habe lediglich die Bedürfnisse der ausländischen Bevölkerung im Visier und Emiratis sollten sich nicht fremd im eigenen Land fühlen und die freizügige Kleidung und den hemmungslosen Alkoholkunsum von Ausländern tolerieren müssen, nicht nur seine Stelle verlor, sondern wurden daraufhin ferner seine Zeitungskolumnen und Reden verboten sowie sein Reisepass eingezogen. Auch wenn dies eine unrühmliche Reaktion seitens der emiratischen Regierung sein mag, die ihre Nulltoleranzlinie gegenüber regierungskritischem Aktivismus offenbart (den es in den VAE gegen die herrschenden Sheikhs kaum gibt, nicht weil das föderative Land repressiv ist, sondern weil die Führer als progressiv erachtet werden: besonders Dubais al-Maktoums und Abu Dhabis al-Nahyans sind bei ihren einheimischen Bevölkerungen äußerst beliebt, und für die großen gesellschaftliche Freiheiten und die beneidenswerte ökonomische Teilhabe, die emiratischen Staatsbürger_innen seitens ihres rentenökonomischen Wohlfahrtsstaates zuteil werden, verzichten diese im Gegenzug und ohne Grummeln auf redundante politische Mitbestimmung): mehr Willkommenskultur geht nicht.

Generation Golf

Auch wenn das Gastarbeiter_innensystem am Persischen Golf stark verbesserungswürdig ist, sollten die Errungenschaften dieser transnationalen Arbeitsmigration , die das hegemoniale einseitige Narrativ des Westen stets unerwähnt lässt, doch einmal betont werden: dass eine Stadt wie Dubai ein Lehrstück für das Funktionieren einer multiethnischen und multikulturellen Gesellschaft ist; dass Millionen Menschen aus dem Globalen Süden die Möglichkeit gewährt wird, ökonomisch aufzusteigen oder sich zumindest längerfristig zu stabilisieren und durch ihre "remittances" nicht nur die eigene Familie im Heimatland, sondern auch die Wirtschaft des Heimatlandes selbst auf zentrale Weise unterstützen; dass der Umstand, mit anderen Ethnien und Religionen und Kulturen nebeneinander zu leben, wie es Muslime vom Subkontinenten, katholische Filipinas und Filipinos und nepalesische Hindus in Dubai tun, automatisch zu kultureller "cross-pollination" führt, und somit den interkulturellen Dialog und den Abbau von Vorurteilen auch nach Ablauf der Arbeitsverträge in Form von auf Erkenntnisbereicherung basierende (un-)bewusste Handlungen automatisch fortführen wird. Diese ethnisch und kulturell heterogene Generation Golf, wie sie die transnationale Arbeitsmigration in den GCC-Staaten kreiert hat, ob im ultrakonservativen Saudi-Arabien oder im weltoffenen Dubai, wird langfristig gesehen mehr zur Völkerverständigung beigetragen haben als jeder staatliche, zwischenstaatliche oder zivilgesellschaftliche "top-down-approach", da nirgendwo in solch numerisch großem Maße Menschen aus so vielen verschiedenen Kulturen gemeinsam am ökonomischen Strang ziehen und durch die Intimität des Arbeits-und Alltagslebens dabei lernen, kulturelle Andersartigkeit anzuerkennen, zu akzeptieren, und sogar mimikrihaft zu verinnerlichen (Stichwort Transkulturalität): etwas, das sie womöglich bis dahin in ihren kulturell heterogeneren Heimatländern nie die Chance gehabt haben zu tun. Und das ist das eigentliche Gold, weswegen Dubai meines Erachtens den Namen "City of Gold" verdient. Und jede_r westliche Besucher_in sollte sich dieses Lehrstück einmal anschauen, sei es auch nur auf einem halbtägigen Stopover mit Emirates, bevor es nach Bangkok oder Bali weitergeht: Die Eindrücke, die dort zu gewinnen sind, könnten manch Besucher_in zum Nachdenken ob er eigenen Vorurteile anregen und diese vom Holzweg anachronistischen Leitkulturdenkens abbringen, das auf den Denkfehler eines viel zu eng gefassten und daher - besondes in einer globalisierten Welt - realitätsfernen Kulturbegriffs fußt.

Und was insbesondere das immerfort fremdelnde Riesenbaby Deutschland von dieser Pax Dubaiana lernen kann: Solange es unterschiedliche Kulturen (wenn man überhaupt so monolithisch-statisch von einem solch dynamischen Phänomen wie Kultur sprechen kann) sowie Heterogenität innerhalb von nach außen homogenwirkenden Kulturen gibt, und Regierende das gesellschaftspolitische und ökonomische Potential dieser realen Vielfalt erkennen, wie es die Trudeaus und al-Maktoums dieser Welt getan haben, wird "Multi-Kulti" nie tot sein, sondern wie in London, New York, Toronto oder eben Dubai stets eine erstrebenswerte, lebendige Realität sein. Inshallah!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Timo Al-Farooq

Freier Journalist aus Berlin in London・IG: @talrooq

Timo Al-Farooq

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