Rassismus ist nicht gleich Xenophobie!

Rassismus Das Mantra der passiven "Angst vor dem Fremden" verharmlost den aktiven Charakter von Rassismus und wäscht die bewusst fremdenfeindliche Haltung von Rassisten rein

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Eingebetteter MedieninhaltJeder Weiße, der schon mal mit einem Rucksack auf dem Rücken und einem Lonely Planet unterm Arm in Richtung Asien oder Afrika aufgebrochen ist, hat bestimmt schon mal erfahren, wieviel Freundlichkeit, Güte, Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft einem insbesondere in ländlichen Gebieten abseits des Massentourismus entgegengebracht wird: spielende Kinder lächeln einen an oder laufen einem aufgeregt hinterher, der Dorfvorsteher lädt einen nach Hause zum Abendessen ein, in Überlandzügen fangen Einheimische Gespräche mit einem an, man wird spontan und sporadisch zum Tee eingeladen. Klingt zu schön um wahr zu sein, aber jeder Backpacker - ob auf den Philippinen oder in Indien, in Ghana oder auf Sansibar - hat mindestens eine dieser Erfahrungen gemacht. Kurz: Weiße sind Spektakel in nichtweißen Ländern, und man wäre ein verdammter Lügner, wenn man leugnen würde, diese Fremdbeweihräucherung nicht in vollen Zügen zu genießen.

Nun stellt sich die Frage: wäre es umgekehrt auch so? Würde ein thailändischer Backpacker, der nach seinem High School Abschluss Europa erkunden möchte und in der Sächsischen Schweiz von Dorf zu Dorf tuckert (vorausgesetzt er hat das Glück ein Visum zu bekommen, denn anders als für uns Deutsche, welche die thailändischen Behörden visafrei ins Land des Lächeln einreisen lassen, ist die deutsche Visavergabe für Thailänder ein regelrechter Spießrutenlauf ), genauso herzlich empfangen werden? Würden weiße Kinder einem westafrikanischen Touristen neugierig hinterherlaufen, würde der örtliche Bürgermeister den indischen Reisenden auf ein Bier bei sich zu Hause einladen, würde irgendein Sachse mit ihm am Bahnhof ein zwangloses Gespräch anfangen wollen? Ich denke jeder würde auf diese Fragen mit Nein antworten, und wer nicht ganz blöd ist und Selbstkritik kann, kennt auch den Grund dafür: Rassismus. Denn ein viel glaubwürdigeres Bild ist es, dass der ausländische Reisende hierzulande von misstrauischen oder gar feindlichen Blicken begleitet wird, nie das Innere einer landestypischen Behausung zu Gesicht bekommt, weil niemand ihn zu sich einladen wird und er abends in einer Kneipe von besoffenen Dorfnazis angepöbelt wird, nur weil er schwarz ist oder asiatisch ausschaut. Man kann das mit der individualistischen Kultur wegerklären, die den Westen ausmacht, oder ehrlicher sein und den Rassismus zwischen den Zeilen westlicher Psyche herauslesen.

Was ist also Rassismus? In den öffentlichen Debatten in Europa wird er in einem Atemzug mit Xenophobie und Überfremdungsängsten gleichgesetzt: ein fataler Fehler, weil diese Gleichsetzung unlogisch ist. Xenophobie übersetzt bedeutet bekanntlich die "Angst vor dem Fremden", Rassismus, oder Fremdenfeindlichkeit, wird in der öffentlichen Debatte, die naturgemäß stets eine unwissenschaftliche ist, damit sie auch ja jeder versteht, meist mit Xenophobie gleichgesetzt: ergo ist Rassismus dieser Logik folgend die Angst vor dem Fremden. Aber nirgendwo wird deutlich, wo und wie die Brücke zwischen Angst und Feindlichkeit geschlagen wird. Weil es nämlich keine gibt, was die Gleichsetzung von Rassismus und Xenophobie somit ad absurdum fürhrt. Denn wer Angst hat, verkriecht sich, oder fängt an zu zittern, aber geht nicht auf die Straße, um lautstark gegen Ausländer zu hetzen, zündet keine Flüchtlingsheime an, schlägt keine Migranten halbtot. Somit fußt Rassismus nicht auf Angst, sondern ist eine politische Haltung. Sie ist historisch entstanden im Europa der Aufklärung mit der Entstehung von Nationalstaaten, die das Konstrukt der Rasse aus politischer Motivation heraus kreiert und somit Rassismus erst möglich gemacht haben.

Dies bedeutet nicht, dass er nicht andernorts salonfähig geworden ist: schließlich ist das nationalstaatliche Konzept mit seinen dazugehörigen systemimmanenten Dichotomien zwischen Inländern und Ausländern heute ein globales: die aktuellen fremdenfeindlichen Übergriffe in Südafrika sind ein patentes Beispiel dafür, daß a) Rassismus, auch wenn er eine weiße Erfindung ist, mittlerweile universell ist, und b) Rassismus keine involuntäre Heimsuchung ist, keine Pathologie, wie die Sozialwissenschaftlerin und Rassismusforscherin Alana Lentin in ihrem 2008 erschienen Buch "Racism - A Beginner's Guide" schreibt, sondern eine bewusste und aktive politische Haltung. Die männlichen Mobs aus den Townships haben Angst vor ihrer eigenen chancenlosen Zukunft, nicht vor der Bedrohlichkeit mozambikanischer Wirtschaftsflüchtlinge und pakistanischer Ladenbetreiber, schließlich sind diese keine Vampire, Geister oder Goleme. Deswegen sind die Angriffe gegen sie bewusst entschiedene Akte der Hasskriminalität, und somit durch nichts zu rechtfertigen. Ängste, ob begründet oder diffus, sind ernstzunehmen: diese aber als Grund für Rassismus und "hate-crimes" herhalten zu lassen, spricht Menschen ihre Eigenverantwortung ab und versucht, ihr Gewissen reinzuwaschen. So wie hierzulande der Holocaust stets den Nazis in die Gestapostiefel geschoben wird, statt einzugestehen, daß es nicht die Nazis, sondern der ganz gewöhnliche Deutsche war, der ihn willig vollstreckt hat (bei der WM ist man gerne deutsch, aber Weltkrieg und Massenvernichtung lagert man gerne aus der nationalen Identität aus).

Es ist schon pervers, wie hierzulande Rassismus durch Angst relativiert, ja entschuldigt wird: alle haben Verständnis für die Angst von Rassisten, Überfremdungsangst wird als legitim erachtet, ausgelöst durch Fremde, die Einheimischen Angst machen: nach dieser leider hegemonialen Lesart sind die Angsthabenden Opfer und die Angstmachenden Täter. Aber was ist mit meiner Überfremdungsangst als Dunkelhäutiger in einem mehrheitlich weißen Land? Warum bin ich Täter, bloß weil meine Hautfarbe dunkel und mein Nachname muslimisch ist, und warum sind gerade die Menschen Opfer, die meine Hautfarbe und meine Religion hassen, gegen sie wählen und/oder gegen sie Gewalt ausüben? Die Zahl fremdenfeindlich motivierter Strafttaten hat seit Genese des unsäglich dummen Pegidahaufens drastisch zugenommen, und wir sollen Verständnis für diese Taten haben, weil sie angeblich aus Angst begangen wurden? Rostock-Lichterhagen, Mölln, Solingen, die NSU-Morde: sie geschahen nicht aus Angst vor dem Fremden, sondern aus Abscheu vor diesem: Molotov-Cocktails fliegen nicht von alleine, genauso wenig wie Pistolenkugeln ("Guns don't kill people, people kill people" lautet ein amerikanischer Allgemeinplatz) Und wenn ein lichterloh brennendes Flüchtlingsheim von johlenden und klatschenden Ossis mit schlechten Frisuren umzingelt ist, kann man nicht mehr wirklich von Angst sprechen. Es erfordert ziemlichen Mut, schwere Straftaten zu begehen und den Tod von Menschen bewusst in Kauf zu nehmen. Von Angst kann also keine Rede sein.

Warum wird das Kind dann nicht beim Namen genannt, wird so etwas Schwerwiegendes wie Rassismus so eklatant verharmlost? Aus Ignoranz? Aus Kalkül? Wenn aus Letzterem dann weshalb? Ganz einfach: es ist natürlich unangenehmer, sich einzugestehen, dass man ein Arschloch ist, als zuzugeben, dass man Angst hat. Angst macht einen zum Opfer, sucht die Schuld bei anderen, erwirkt Mitleid. Ein Arschloch ist stets ein Täter, und mit Tätern hat man nur selten Mitleid. Und so perpetuiert unsere Gesellschaft das Mantra der "Angst vor dem Fremden", weil sie sonst in den Spiegel schauen müsste und statt einer harmlosen Memme, der vermeintliches Unrecht geschieht, ein gefährliches Arschloch zu Gesicht bekommen würde, der anderen Unrecht antut. Und niemand möchte ein Arschloch sein. Politik, Medien und Gesellschaft sollten daher aufhören, diese Arschlöcher in Schutz zu nehmen.

Will Deutschland ein wahrhaftig pluralistisches und daher zukunftsfähiges Land sein, dann muss in der öffentlichen Rassismusdebatte hierzulande endlich Schluss sein mit diesem fatalen Orwellschen Newspeak, der Begriffe verdreht, Kontexte klittert und menschenfeindlche Meinungen und Lebenseinstellungen relativiert. Es ist anno 2015 in einer durchglobalisierten Welt wie der heutigen längst an der Zeit, eindeutigen Tatsachen ins Auge zu schauen: Rassismus ist nicht Xenophobie, Fremdenfeindlichkeit ist kein Angstzustand. Rassismus IST Fremdenfeindlichkeit, und somit eine aktive Haltung. Und zwar eine ziemlich asoziale. Ob in Sachsen oder in Südafrika. Denn wie heißt es so schön: Rassisten sind Arschlöcher. Überall.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Timo Al-Farooq

Freier Journalist aus Berlin in London・IG: @talrooq

Timo Al-Farooq

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