Aufgepeppter Nährwert

Novel Food Tücken der nächsten Gentech-Generation

Das erfolgversprechende Geschäft mit Functional Foods treibt seltsame Blüten. Vertreter der Lebensmittelindustrie konnten dem Verbraucher glaubhaft vermitteln, ihre Produkte wären nicht nur ungefährlich, sondern sogar gesünder als herkömmliche Lebensmittel - und das, obwohl weder das Eine noch das Andere wissenschaftlich erwiesen ist. Mit vagen Gesundheitsversprechen ebneten die Food-Designer selbst den Weg für neue Gentech-Lebensmittel: Die Arbeit an transgenen Pflanzen der nächsten, diesmal "gesunden" Generation läuft auf Hochtouren - sowohl was die Forschungs- als auch die Testphase angeht. So wurden beispielsweise in Deutschland im Jahre 2000 hauptsächlich Gentech-Pflanzen freigesetzt, deren Inhaltsstoffe verändert waren. Ihre Anzahl lag höher als solche gentechnisch veränderte Organismen (GVO), die auf eine Herbizidtoleranz hin bearbeitet wurden. Auf europäischer Ebene zeichnet sich ein ähnliches Bild ab: Zwar werden bislang in der Hälfte aller Fälle herbizidresistente Gentech-Pflanzen freigesetzt - dennoch erobern GVO der nächsten Generation einen immer größeren Bereich auf den Testfeldern für sich.

Einen wichtigen Angriffspunkt für die Schöpfer der neuartigen Lebensmittel bietet der Nährwert der Pflanzen, den sie quantitativ und qualitativ aufzuwerten versuchen. So sollen im Rahmen eines bis zum Jahre 2004 angesetzten EU-Projektes, koordiniert vom niederländischen Centre for Human NutriGenomics, diverse essentielle Aminosäuren in Kartoffel-, Erbsen- und Maispflanzen erhöht werden. Das Ziel eines anderen Projektes ist es, Ölsaaten so zu verändern, dass diese vorwiegend langkettige und ungesättigte Fettsäuren bilden, welche ebenfalls als essentiell für die menschliche Ernährung angesehen werden. Auch am Kohlenhydratstoffwechsel vieler Pflanzen wird herumgebastelt, etwa an der Stärkezusammensetzung von Kartoffeln. Die manipulierten Pflanzen sollen ein komplexeres Kohlenhydrat bilden, das den Ballaststoffen ähnelt und damit zur Prophylaxe von Dickdarmkrebs beitragen könnte.

Die Eingriffe in den Eiweiß-, Fett und Kohlenhydratstoffwechsel von Pflanzen haben es jedoch in sich: Da diese fein abgestimmten und komplexen Eigenschaften von sehr vielen Gen-Produkten kontrolliert werden und einem biochemischen Fließgleichgewicht unterliegen, sind sie nur schwer zu manipulieren. Die Gesetze der Natur gilt es auch zu überwinden, wenn Pflanzen dazu angeregt werden sollen, vermehrt sogenannte sekundäre Inhaltsstoffe zu bilden - also vorwiegend antioxidative Wirkstoffe wie etwa Vitamine.

Ein Paradebeispiel für misslungene Manipulationsversuche gibt die Tomate ab, obwohl sie ein relativ kleines Genom besitzt und von Gentechnikern als idealer Modell-Organismus angesehen wird. Bei dem Versuch, das antioxidative Potenzial der Frucht zu erhöhen, stellten sich bislang mehr als zweifelhafte Erfolge ein. Als Wissenschaftler den Carotinoid-Biosyntheseweg der Tomate gentechnisch anstoßen wollten, erzeugten sie als Nebeneffekt einen Pflanzenhormon-Mangel. In der Folge zeigten die transgenen Pflanzen ein unerwartet geringes Wachstum und bildeten kaum Früchte. Andere Versuche konzentrierten sich auf die Synthese von Lycopin. Die Substanz sorgt nicht nur dafür, dass die Tomate rot ist, sondern gilt ähnlich den Vitaminen als wichtiges Antioxidanz im menschlichen Organismus und kann daher - in richtiger Dosierung - die Bildung von Krebs verhindern. Das Produkt eines in die Pflanzenzellen eingefügten Bakterien-Gens sollte den letzten Schritt der Lycopin-Biosynthese beschleunigen.

Doch die gentechnisch veränderten Tomaten bildeten bei weitem weniger begehrtes Lycopin als gewöhnlich - allem Anschein nach hatte man die natürlichen Regelmechanismen des Lycopin-Stoffwechsels unterschätzt, die für eine gleichbleibende Konzentration des Stoffes in den Pflanzenzellen sorgen. Der lang ersehnte Durchbruch gelang eher zufällig: Im Rahmen eines Experimentes, bei dem diverse pflanzliche Reifungshormone quantitativ manipuliert wurden, fand man in den transgenen Tomaten tatsächlich zwei- bis dreifach erhöhte Lycopin-Gehalte. Bis heute jedoch können sich WissenschaftlerInnen dieses Versuchsergebnis nicht erklären.

Weitere Informationen: Bundesgesundheitsblatt 2001 und www.bio-scope.com

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden