Die Grüne Gentechnik hat es in die Top Ten der europäischen Umweltsorgen geschafft. Wie eine aktuelle Umfrage der Europäischen Kommission ergab, schätzen die EU-Bürger den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen als genauso riskant ein wie die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen oder den Verlust der Artenvielfalt. Damit scheint die langjährige Botschaft von Umweltschützern, wonach künstliche Produkte aus dem Genlabor Mensch und Umwelt gefährden, endgültig beim Verbraucher angekommen zu sein.
Mutierte Saat
Doch welcher verunsicherte Konsument ist sich schon bewusst, dass er auch ohne Gentechnik jede Menge künstlich erzeugte Pflanzen verzehrt - sogar dann, wenn diese aus biologischem Anbau stammen? Schließlich verzeichnet die moderne Pflanzenzüchtung nicht erst seit dem Einzug der Molekularbiologie enorme Leistungssprünge. Zu den wichtigsten Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zählt eine Technologie, die direkt von der Atomindustrie profitiert: die Mutationszüchtung. Sie kam bereits 1964 in Gang, als sich die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) und die Welternährungsorganisation (FAO) zusammenschlossen, um die Sektion "Nukleartechnik in Ernährung und Landwirtschaft" zu gründen. Die Projekte dieser stolzen Allianz werden von mehr als 600 Instituten und Laboratorien rund um den Globus in die Tat umgesetzt. Ihre Erzeugnisse essen wir täglich - ganz ohne Bedenken.
Die Mutationszüchtung basiert auf dem Zufallsprinzip: Um Kulturpflanzen zu neuen vorteilhaften Eigenschaften wie Krankheitsresistenz oder Mehrertrag zu verhelfen, bestrahlt man das Saatgut einfach mit einer satten Dosis Radioaktivität. Das hat eine Schädigung des Erbgutes zur Folge und birgt die Aussicht, unter zahlreichen manipulierten Gewächsen auf ein paar wenige zu stoßen, die nützliche Eigenschaften aufweisen. Die so erzeugten Mutanten sind folglich nichts anderes als auf unkontrollierte Weise genveränderte Pflanzen. Munter bestrahlt wurde und wird die gesamte Palette unserer wichtigsten pflanzlichen Nahrungslieferanten: nahezu sämtliche Getreidearten, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Marktreife erlangten unter anderem mutierter Reis, Weizen, Gerste, Hafer, Soja, Mais und Raps sowie Zuckerrüben, Kartoffeln, Erdnüsse, Bohnen, Tomaten, Äpfel, Birnen, Aprikosen, Kirschen, Pfirsiche, Zitronen, Orangen, Papayas, Grapefruits, Oliven und Pfefferminze.
Und so kommt es, dass heute auch mehr als die Hälfte der in Europa angebauten Gerste künstliche Gene in ihrem Erbgut trägt. Allein in Deutschland wurden im Laufe der Jahre mehr als 44 neue Gerstensorten mit Hilfe von Mutationen erzeugt. Ein Erfolgsprodukt ist die Sorte Trumpf, die bereits 1975 den größten Teil des Gersteanbaus in der ehemaligen DDR ausmachte. In Italien hingegen dominieren Hartweizen-Mutanten die Anbaufläche. Eine wichtige Rolle spielt die radioaktiv beeinflusste Züchtung insbesondere bei Obstbäumen, da sich diese vegetativ vermehren und somit nicht gekreuzt werden können. Neue Apfelvarietäten entstanden unter anderem in Frankreich, Österreich und Kanada.
Alles in allem brachte die Mutationszüchtung bislang weltweit über 2.300 neue Pflanzensorten hervor. Obwohl es in der offiziellen Liste der IAEA/FAO kaum eine exotische Nutzpflanze gibt, deren Erbgut nicht radioaktiv verändert wurde, stand bei den Manipulationsbemühungen das Grundnahrungsmittel Getreide im Vordergrund - allen voran Reis, Weizen und Gerste. Die tatsächliche Zahl neuer Mutanten dürfte jedoch weit höher liegen als dokumentiert. Schließlich ist kein Züchter angehalten, seine Experimente bei der IAEA zu melden. Nicht nur der Ostblock hat es vermieden, die westliche Atomenergiebehörde über seine wissenschaftlichen Aktivitäten zu informieren, auch im Westen fehlen entsprechende Aufzeichnungen. Deshalb ist nicht mehr genau nachvollziehbar, welche unserer heute genutzten Sorten künstliche Gene enthalten. Diese Tatsache macht insbesondere der Biobranche zu schaffen. Da sie einerseits von der Angst vor der Gentechnik lebt, andererseits aber seit jeher auf Hybridsaatgut zurückgreift, das vermutlich vielfach aus radioaktiv mutierten Pflanzen hervorging, wächst der Druck, eine klare Regelung zu finden.
Anders als Molekularbiologen, die gezielt einzelne und bekannte Gene in das Pflanzengenom übertragen, beschießen Mutationszüchter dieses gewissermaßen blind mit radioaktiver Strahlung und hoffen auf den Zufall einer sinnvollen Mutation. Was bei dem vergleichsweise groben Verfahren am Erbgut passiert, weiß bislang niemand so genau. Immerhin haben IAEA und FAO inzwischen das fünfjährige Forschungsprojekt "Effekte mutagener Mittel auf die DNA-Sequenz von Pflanzen" angestoßen. Erklärtes Ziel ist es, die Mechanismen von Mutationen zu erkunden sowie die Art und Häufigkeit der ausgelösten Veränderungen am Erbgut in Abhängigkeit vom angewandten Mittel zu erörtern. Mit anderen Worten: Nach über 40 Jahren heftiger Manipulation der DNA unserer wichtigsten Kulturpflanzen beginnen sich die Mutationszüchter zu fragen, was sie eigentlich genau tun.
Sicherheitsforschung unerlässlich
Seit dem Triumphzug der Gentechnik wird die Züchtung mittels Radioaktivität auch in der Fachpresse nur noch selten thematisiert. Dabei bleibt die Methode, selbst wenn sie nicht so effektiv ist wie die Gentechnik, nach wie vor attraktiv - vor allem, weil mit ihr keine Abgaben für Patente oder Lizenzen verbunden sind. Dass die neuen, durch Bestrahlung gewonnenen Sorten ohne Sicherheitsauflagen angebaut und verkauft werden dürfen, macht die Technik äußerst kostengünstig. Außerdem steht sie in der Öffentlichkeit schlichtweg nicht zur Debatte.
Warum die radioaktive Manipulation von Pflanzen, bei der nicht nur einzelne Gene, sondern komplette Genome umgekrempelt werden, von den Kritikern der Grünen Gentechnik ignoriert wird, ist allerdings schon erstaunlich. Schließlich gelten die angenommenen Risiken der Gentechnik für die Mutationszüchtung mindestens ebenso, gleichgültig, ob es sich um die unvorhersehbaren Nebeneffekte bei der Genmanipulation handelt, um die mögliche Auskreuzung künstlicher Gene auf andere Pflanzen oder darum, dass die einmal freigesetzten Gene nicht mehr rückholbar sind.
Jede Manipulation von landwirtschaftlichen Erzeugnissen ist mit Risiken verbunden, das gilt für die klassische Kreuzung ebenso wie für die künstliche Mutation und die Gentechnik. Panikmache ist so wenig angebracht wie die Beteuerung, die Gentechnik-Folgen sicher im Griff zu haben. Dagegen gilt es, die befürchteten Risiken gegen den erhofften Nutzen abzuwägen. Dazu bedarf es einer begleitenden Sicherheitsforschung - nicht nur bei der Gentechnik, sondern auch bei anderen Verfahren.
IAEA/FAO-Sektion "Nukleartechnik in Ernährung und Landwirtschaft" unter
http://www-naweb.iaea.org/na/nafaweb.html
"Mutant Varieties Database" unter
http://www-infocris.iaea.org/MVD/
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