Spiel mit dem Risiko

Ernährungswende Nicht Dioxin ist das Problem. Die ökologische Landwirtschaft birgt andere Gefahren, die durch Künasts Politik ignoriert werden

Glückliche Hühner und gesunde Eier - von dieser Bauernhofromantik konnte der überzeugte Biokäufer bislang nicht genug bekommen. Nun aber hat sich das artgerecht behandelte Geflügel als undankbar erwiesen und für einen erneuten Bioskandal gesorgt. Obwohl der jüngste Medienwirbel um das Dioxin in Freilandeiern Erinnerungen an nitrofenhaltige Bioprodukte wecken mag, wirkt er im Vergleich zum damaligen Trommelfeuer eher verhalten. Schließlich besteht kein Anlass zur Panik, zumal wir das krebserregende Dioxin, das vor allem bis Anfang der neunziger Jahre durch Müllverbrennung entstand, über alle möglichen tierischen und pflanzlichen Lebensmittel zu uns nehmen - auch über konventionell erzeugte. Deshalb bedeuten erhöhte Gehalte des Stoffes in Bioeiern zumindest keine akute Gesundheitsgefahr.

Selbst wenn sich der Schaden auf den ersten Blick in Grenzen hält: Durch seine Tragweite schlägt der aktuelle Vorfall den Nitrofenskandal um Längen. Denn während es sich in der Vergangenheit um Schlamperei handelte, zeugen die neuen Giftfunde von einem grundsätzlichen Fehler im System "Klasse statt Masse", das nachdrücklich vom Verbraucherschutzministerium propagiert wird. Bereits seit ihrem Amtsantritt hat Renate Künast dem Verbraucher eingebläut, dass die ökologische Landwirtschaft, anders als die "Agrarfabriken", gesunde und sichere Lebensmittel hervorbringt. Daraufhin kaufte sich dieser mit natürlichen Bioprodukten von der Angst vor vermeintlich toxischen Industrieerzeugnissen frei.

Die Verbraucherministerin hat nie in Erwägung gezogen, dass auch die von ihr geförderte ökologische Landwirtschaft Risiken mit sich bringen könnte. Dioxinbelastete Eier dürften da nur ein erster Vorgeschmack auf künftige Skandale sein, denn die Freilandhaltung setzt Tiere nicht nur einer Vielzahl von Umweltgiften aus, sondern bringt auch eine erhöhte hygienische Belastung mit sich: Wenn Hühner und Schweine vermehrt in Kontakt mit ihren Fäkalien und Wildtieren wie Nagern oder Vögeln kommen, infizieren sie sich wesentlich häufiger mit Bakterien und Parasiten, was den Einsatz von Arzneimitteln und das Seuchenrisiko erhöht. Aus diesem Grund warnten erst kürzlich Mitarbeiter der Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen der Tiere in Riems vor Geflügelpestausbrüchen in deutschen Freilandhaltungen und vor neuen auch für den Menschen höchst gefährlichen Erregern. Nicht minder problematisch ist der biologische Einsatz von Mist und Gülle auf den Feldern, da mit dem Naturdünger neben tierischen Fäkalkeimen auch ausgeschiedene Medikamenten-Rückstände auf dem Gemüse landen. Insbesondere der Verzehr von rohem Biogemüse geht daher viel eher mit einer Gefahr als mit einem Nutzen für die Gesundheit einher.

Vor diesem Hintergrund ist es beunruhigend, wenn die Risiken der ökologischen Landwirtschaft auch im Nachfolgemodell der Agrarwende ausgeblendet bleiben. Bereits im Sommer 2005 soll das dreijährige Forschungsvorhaben Ernährungswende abgeschlossen sein und künftig dem Verbraucher den Weg zu einer nachhaltigen Ernährung weisen. Das ehrgeizige Projekt wird von fünf Umweltinstituten vorangetrieben und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert. Wie nahtlos die Ernährungswende mit der Künastschen Politik verwoben ist, zeigt sich nicht zuletzt am aktuellen Strategiepapier des projektleitenden Öko-Instituts. Das Fazit der Experten lautet: "Das Risikopotenzial bei einer Ernährung aus rein ökologischem Anbau nimmt im Gegensatz zum konventionellen Anbau um etwa die Hälfte ab." Dieses "Forschungsergebnis" verwundert kaum, denn die Autoren waren darauf bedacht, potenzielle Gefahren wie gentechnisch veränderte Organismen und hormonell wirksame Substanzen zu Risiken ersten Ranges zu machen, indem sie erklärten, dass deren "Wahrscheinlichkeit des Auftretens ungewiss" sei und daher "unter Vorsorgegesichtspunkten" angenommen werden müsse, "dass sie hoch sein kann". Höchst reale Risiken des Lebensmittelkonsums hingegen, wie etwa Vergiftungen durch Bakterien oder Pilzgifte, verwiesen sie auf die hinteren Plätzen der Gefahrenskala. Mit anderen Worten: Vage Risiken sind laut Öko-Institut gefährlicher als die tatsächlichen. Unter diesen Voraussetzungen erscheint dann auch Biokost sicherer als konventionell hergestellte Lebensmittel.

Wäre es den Pionieren der Ernährungswende tatsächlich um die Risikoeinschätzung neuer Züchtungstechniken gegangen, so hätten sie beispielsweise die Mutationszüchtung wesentlich höher einstufen müssen als gentechnische Verfahren. Immerhin hat die jahrzehntelange radioaktive Bestrahlung von Saatgut inzwischen mindestens 1.800 neue Pflanzensorten hervorgebracht, die allerdings - im Gegensatz zu gentechnischen Produkten - noch nie auf ihre Sicherheit untersucht, sondern einfach freigesetzt wurden. Dass die Umweltexperten diesen Klassiker der Pflanzenzüchtung ignorieren, dürfte einen naheliegenden Grund haben: Nicht nur die konventionelle Landwirtschaft greift auf bestrahltes Saatgut zurück, sondern stillschweigend auch der Ökolandbau.

Bei den hormonell wirksamen Substanzen, die im Rahmen der Ernährungswende ebenfalls als besonders gefährlich eingestuft werden, handelt es sich um Industriechemikalien. In der Tat sind etwa Weichmacher aus PVC in Lebensmitteln alles andere als gesund. Wenn es aber so wichtig ist, die Gefahr dieser so genannten Xenohormone hervorzuheben: Warum spielt dann das Risiko, das von den natürlichen Hormonen in unserer Nahrung ausgeht, bloß eine untergeordnete Rolle? Etwa deshalb, weil diese "Naturstoffe" sind und gerade in jenen gesunden pflanzlichen Lebensmitteln stecken, die im Bioladen als Verkaufsschlager gelten? So enthält beispielsweise die Sojabohne äußerst hohe Mengen an Phytoöstrogenen, die im Tierversuch zu unfruchtbaren männlichen Nachkommen führen und nachweislich die Zykluslänge der Frau verändern können.

Ob unsere Lebensmittel nun aus konventioneller, biologischer oder gentechnischer Landwirtschaft stammen: Um ihre Sicherheit zu garantieren, sind stets Transparenz und Kontrollen nötig. Eine Risikoforschung ist dabei nur dann hilfreich, wenn sie alle Produktionsformen gleichermaßen auf den Prüfstand stellt und sie anschließend nach ihren Vor- und Nachteilen beurteilt. Selbst wenn die Probleme des konventionellen Anbaus wie zum Beispiel Pestizidrückstände besser bekannt sind als die einer ebenfalls auf Masse ausgelegten Bioproduktion, darf das nicht dazu führen, dass diese einen Freibrief erhält, bloß weil sie uns mit "natürlichen" Lebensmitteln beglückt. Eine Verbraucherschutzpolitik, die sich einer solchen Ideologie verschrieben hat und wissenschaftliche Erkenntnisse bewusst ignoriert, wird uns nicht schützen, sondern immer wieder gefährden.


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