Die Masse macht’s?

Landwirtschaft Der Milchbauer und seine Kuh stehen vor dem Burn-out. Zeit für eine Agrarpolitik, die auf Qualität und Regionalität setzt statt auf Quantität und globalen Wettbewerb
Ausgabe 21/2016
In der deutschen Agrarpolitik muss ein Umdenken einsetzen
In der deutschen Agrarpolitik muss ein Umdenken einsetzen

Foto: Luhr/McPhoto/Imago

Welch tolle Idee: Die deutschen Landwirte sollen für den Export produzieren. Zu Weltmarktpreisen. Sie sollen die Globalisierung als Wachstumschance nutzen. Fleisch und Milchpulver aus Deutschland sind schließlich weltweit gefragt. Und die Weltbevölkerung wird schon bald auf neun Milliarden Menschen wachsen. Das wird ein Riesengeschäft!

Das ist das gemeinsame Leitbild von Bundesregierung, Agrobusiness und Bauernverband. Auch die europäische Agrarpolitik ist diesem Bild gefolgt und hat die Märkte liberalisiert. Statt Mengenbegrenzungen und Preisstützen gilt nun: freier Markt für freie Bauern. Das neue Leitbild schien so überzeugend, dass zehntausende Landwirte ein Vermögen in ihre Betriebe investiert haben. Um noch mehr Tiere in noch kürzerer Zeit noch fetter zu machen. Um noch mehr Milch aus noch mehr Kühen herauszupressen. Um die Hochleistungslandwirtschaft noch effizienter zu machen. Viele Betriebe haben sich verschuldet, um mithalten zu können im Rennen um die billigste Massenproduktion.

Ökologisch und tierethisch ist das ein ziemlich fragwürdiges Modell: Milch und Fleisch werden nach Asien exportiert, die Gülle wird auf den Feldern gelassen, wo sie heute das Grundwasser so stark belastet, dass Deutschland von der EU verklagt wird. Trotzdem: Die Investoren sind keine Tierquäler mit bösen Absichten, sondern stolze Bauernkinder, die ihre oft jahrhundertealten Höfe fit machen wollen für die Zukunft. Sie haben darauf vertraut, dass es stimmt, was sie an Landwirtschaftsschulen gelernt haben: Die Masse macht’s. Im globalen Wettbewerb besteht nur, wer immer mehr und immer günstiger produziert.

Leider ist der Plan nicht aufgegangen, die Chinesen bauen selbst riesige Milchfabriken und der russische Markt ist seit dem Embargo für Fleischexporte verloren gegangen. Seit die EU die Milchquote abgeschafft hat, sind die Erzeugerpreise für Milch weit unter die Produktionskosten gesunken. Etwa 40 Cent kostet es, einen Liter Milch herzustellen, rund 20 Cent bekommen die Landwirte zur Zeit – ein entwürdigender Preis für die hart arbeitenden Milchbauern und für ihre Kühe, die bis zur Erschöpfung Milch produzieren, ein Vielfaches dessen, was sie bräuchten, um ihr eigenes Kalb zu ernähren. Beide stehen vor dem Burn-out: der Milchbauer und seine Kuh.

Deshalb ist es gut, dass Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt zum Milchgipfel geladen hat, um den existenziell gefährdeten Höfen zu helfen. Aber es ist ziemlich merkwürdig, dass er weder die Agrarminister der Länder dabeihaben will, noch den Bundesverband deutscher Milchviehhalter. Der schlägt nämlich vor, den Wachstumswahn zu bremsen und die Milchmenge in Krisenzeiten freiwillig zu begrenzen, europaweit und in Absprache mit den anderen europäischen Verbänden. Davon aber will der Minister nichts wissen.

Es scheint, als werde dieser Milchgipfel eine ziemlich heuchlerische Angelegenheit: Das Ziel sei die Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft, meldet das Agrarministerium. Doch ein Schreiben aus demselben Haus spricht eine andere Sprache: Mit einer freiwilligen Mengenbegrenzung könne keine „effiziente Ressourcenallokation“ stattfinden und der Strukturwandel werde gehemmt. Ja, was denn nun? Sollen die bäuerlichen Betriebe gerettet werden oder will das Ministerium den Umbau zu riesigen Agrarfabriken fördern?

Rettung für die Milchbauern bietet nur eine Politik, die Qualität und Regionalität fördert an Stelle von Quantität und globalem Wettbewerb.

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