„Es könnte „wieder ein sehr schwieriges Jahr für die deutsche Landwirtschaft werden“, sagt der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied – „wenn es weiter so trocken bleibt.“ Es droht das dritte Dürrejahr in Folge, und das inmitten der Corona-Krise, die die globalen Agrarmärkte durcheinanderbringt.
Wegen der Pandemie mussten einige Schlachthöfe in den USA und Kanada schließen, deshalb haben Landwirte in Amerika begonnen, schlachtreife Schweine selbst zu töten – und zu vernichten. In der durchgetakteten industriellen Tiermast ist kein Platz für Tiere vorgesehen, die längst beim Schlachter sein sollten. Bis zu 200.000 Mastschweine könnten allein in Minnesota in den nächsten Wochen verbrannt oder vergraben werden, berichtet das Fachmagazin agrarheute. In Deutschland ist ein Schlachthof des Vion-Konzerns im Bad Bramstedt, Schleswig-Holstein, wegen Corona-Fällen geschlossen worden. Ansonsten wird zwar weiter geschlachtet, doch die Schweinemäster arbeiten längst im Krisenmodus: Laut Interessengemeinschaft der Schweinehalter ISN sind die Erzeugerpreise durch die Corona-Krise „abgestürzt“. Auch für die ohnehin gebeutelten Milchbauern ziehen Gewitterwolken auf: Der Preis am Spotmarkt ist auf katastrophale 20,5 Cent für einen Liter gesunken – es kostet etwa das Doppelte, einen Liter zu produzieren.
Doch während die globalen Agrarmärkte ihre Rohstofflieferanten zu zermalmen drohen, berichten Direktlieferanten und Hofläden von Umsatzsteigerungen. Der Hofladen der ökologisch bewirtschafteten Hessischen Staatsdomäne Frankenhausen verzeichnete knapp 70 Prozent mehr Umsatz. Auf dem Meyerhof Belm bei Osnabrück „lief die Getreidemühle zu Beginn der Krise von morgens bis abends“, weil die Kunden fünf Mal so viel Biomehl verlangten: „Auch bei unseren Eiern und den hausgemachten Nudeln war die Nachfrage höher als sonst an Weihnachten“, erzählt Bio-Landwirt Anton Schreiber. „Inzwischen ist der Rausch vorbei, aber unser Umsatz ist noch immer höher als zu Beginn der Krise.“ Auch beim Bio-Hof Dannwisch vor den Toren Hamburg, einer der ältesten Biohöfe in Schleswig-Holstein, seien die Umsätze „sprunghaft gestiegen“, so Geschäftsführer Thomas Scharmer: „Wir haben 100 Prozent mehr Umsatz, das kam völlig unerwartet. Für den Lieferservice gab es so viele Anfragen, dass wir einen Aufnahmestopp machen mussten. Zurzeit arbeiten wir die Warteliste ab.“ Dazu hat der Hof neue Mitarbeiter eingestellt sowie eine Früh- und Spätschicht eingeführt, um alle Lieferkisten mit Rohmilch, Käse und Eiern vom Hof packen zu können. „Wir wollen aber keinen Hype“, so Scharmer, „sondern ein langfristiges Wachstum.“ Er hofft, dass „die Wertigkeit von regionalen Lebensmitteln langfristig steigt. Und dass die Leute verstehen, dass Globalisierung nicht alles ist.“
Getreidepreise brechen ein
Auch im ostfriesischen Aurich kaufen mehr Konsumenten direkt beim Bauern, etwa in der Milchtankstelle der Familie Haßbargen, die neben der Weidemilch vom eigenen Hof Eier, Kartoffeln und Grillfleisch von anderen Höfen im Angebot hat. „Wahnsinn, was da weggegangen ist“, erzählt Landwirt Udo Haßbargen, der mit nur 25 Jahren für hundert Kühe und ihre Kälber verantwortlich ist. Der Absatz habe sich verdoppelt, und es gebe viele neue Kunden. Das freut den Landwirt, und auch dass der Verkehr so stark zurückgegangen ist, dass er viel schneller mit dem Schlepper zu seinen Äckern und Weiden kommt. Sorgen macht Haßbargen die Frühjahrsdürre, die selbst in Ostfriesland die Felder so ausgetrocknet hat, dass es beim Ackern gestaubt hat. „Unsere Kühe sind jetzt seit sechs Wochen draußen, und schon auf der dritten Weide; selbst die ist schon fast abgefressen. Es ist so lange so trocken gewesen, dass das Gras einfach nicht gewachsen ist. Das wird uns später fehlen.“
Ebenso gefährlich sind die Warnungen vor der heraufziehenden Milchpreiskrise. Noch bekommt der Hof 34 Cent pro Liter und einen 1-Cent-Zuschlag dafür, dass seine Kühe auf die Weide dürfen und komplett gentechnikfrei gefüttert werden. „Es ist ein mulmiges Gefühl, wenn man an die schlechten Jahre denkt“, sagt Haßbargen. 2008/2009 und 2015/2016 waren die Milchpreise so miserabel, dass viele Landwirte Kredite aufnehmen mussten, um das Futter für ihre Tiere bezahlen zu können. Viele haben wie Haßbargen zuletzt Ställe modernisiert oder in neue Technik investiert. So müssen viele Höfe gleich mehrere Kredite tilgen – die Liquiditätsdarlehen und die für Investitionen. Ob sie zurückgezahlt werden können, hängt von guten Preisen für die Milch ab. Das macht die drohenden Preisstürze am Milchmarkt für viele Betriebe zu einer Überlebensfrage. Haßbargen ist aktiv in der neuen Protestbewegung der Landwirte, er ist Vorsitzender des Vereins „LandSchafftVerbindung Ostfriesland“. Den Winter über hat er Protestaktionen organisiert. Jetzt nutzt er die Zeit, um Verbänden und Politikern Ideen vorzulegen: Statt wie sonst bei Preiskrisen die überschüssigen Produkte teuer einzulagern, schlägt er ein Kurzarbeitergeld für Kühe vor – als Ausgleich, wenn die Landwirte ihre Milchmenge reduzieren und damit die Preise stabil halten.
Auch die Preise für Getreide sind in der Corona-Zeit eingebrochen. „Die Weltmarktpreise sind ja immer volatil, doch die Preisschwankungen zurzeit sind völlig unberechenbar“, sagt die Landwirtin Anna Luetgebrune, die 420 Hektar Ackerland in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen bewirtschaftet, konventionell, aber mit breiter Fruchtfolge. Raps, Zuckerrüben, Ackerbohnen, Weizen, Gerste und Dinkel wachsen auf ihren Feldern. „Die Preisstürze betreffen mich noch nicht“, erklärt sie. Die Vorjahresernte sei schon verkauft, und was jetzt auf den Feldern wächst, lässt sie durch den Landhandel an der Börse über Termingeschäfte absichern – das bringt sie in eine bessere Position als die Landwirte, die frische, verderbliche Ware wie Milch oder Gemüse produzieren.
Auch für Luetgebrune bringt die Corona-Zeit überraschende Veränderungen: „Meine Mitarbeiter wissen ihre Arbeitsstelle sehr zu schätzen, weil sie nicht durch Schutzmaßnahmen betroffen waren. Wir waren an der frischen Luft, haben die freie Fahrt auf den leeren Straßen genossen und hatten das Gefühl, wir müssen den Laden schmeißen und bekommen dafür sogar Anerkennung.“ Sei sie in den letzten Jahren auf den Feldwegen öfter angesprochen worden, wenn sie nachts oder mit der Spritze unterwegs gewesen sei, so erfahre sie nun im Angesicht der Trockenheit viel Anteilnahme von Freunden, Bekannten und Spaziergängern auf den Feldwegen: Als sie Ackerbohnen gesät habe, sei ein Anwohnerin zum Feld gekommen und habe ihr gesagt, wie toll sie es fände, dass sie für die Versorgung mit Lebensmitteln sorge. „So habe ich das noch nicht erlebt“, sagt Luetgebrune. Weil der Lockdown viele Leute auf die Feldwege und in die Naturschutzgebiete treibt, kommt sie öfter ins Gespräch – über das, was auf den Äckern wächst – und wie es angebaut wird.
Landwirtschaft ist systemrelevant, das macht die Krise allen deutlich, die es vergessen hatten. Die neue Wertschätzung ist ein guter Ausgangspunkt für die Debatte all der offenen Fragen in der Landwirtschaft, vom Tierwohl zur Düngeverordnung, von der Agrarchemie zur Biodiversität. Bei allen Gesprächen in Hofläden und am Ackerrand dürfte klar werden: Zur Lösung braucht es faire Preise und eine faire Vermarktung.
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