Herren der Felder

Entfremdung Trotz aller Bürgerproteste genehmigt die EU-Kommission die Fusion von Bayer und Monsanto
Ausgabe 13/2018
Eine gefährliche Mischung
Eine gefährliche Mischung

Foto: Emmanuel Dunand/AFP/Getty Images

Wenn sich Europa-Feinde eine Strategie überlegen würden, wie man Europäer von Europa entfremden könnte, könnte die so aussehen: Man suche sich ein Thema, das vielen Bürgern am Herzen liegt, und kündige dazu eine Entscheidung an. Man nehme Petitionen entgegen, verzögere die Entscheidung, beobachte, wie sich das Engagement der Bürger steigert – und verkünde schließlich das exakte Gegenteil dessen, wofür sich die Menschen über Jahre eingesetzt haben. Frustrations-Generator könnte man das nennen, oder Entfremdungs-Beschleuniger. Wer den Umgang der Europäischen Kommission mit Glyphosat, Insektengiften und der Bayer-Monsanto-Fusion verfolgt hat, könnte meinen, die Entscheider in Brüssel hätten sich von solchen finsteren Gedanken inspirieren lassen.

Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat die umstrittene Fusion prüfen lassen, Auflagen für Bayer verhängt und entschieden: Das passt schon so. Fusioniert mal. Die anderen Global Player, Dow Chemical und DuPont, Syngenta und ChemChina, haben sich schließlich auch zu Superkonzernen zusammengeschlossen. Wenn die US-Behörden zustimmen, darf der deutsche Agrarchemiekonzern Bayer den amerikanischen Agrarchemiekonzern Monsanto kaufen. Für schlappe 62 Milliarden Dollar.

Die Kommissarin hat gesagt: Wir haben über eine Million Seiten gelesen und entschieden: Wenn Bayer bestimmte Unternehmensteile an BASF verkauft, ist der Wettbewerb auf dem Pestizid- und Saatgutmarkt gesichert. Auf dem europäischen Markt könnten die Landwirte dann zwischen Glyphosat von Bayer-Monsanto und Glufosinat, jetzt von Bayer, dann von BASF, wählen. Beides Totalherbizide, also Alles-was-wächst-Vernichter, beides Ackerchemikalien, beides gefährliche Stoffe.

Ist das Wettbewerb?

Ist das Wettbewerb? Befördert es die Suche nach Innovation, wenn drei oder vier Superkonzerne den Weltmarkt bestimmen, die alle dem gleichen System folgen: Chemie auf den Acker? Wäre Wettbewerb nicht das Konkurrieren vieler unterschiedlicher Anbieter mit vielen unterschiedlichen Ansätzen? Die neuen Superkonzerne verfügen über Millionen-Etats für Marketing, Forschung, Fortbildung in ihrem Sinne – und für Lobbyismus. Kein Feudalherr des Mittelalters hatte eine so ungeheure Machtfülle wie diese Konzerne, sagt Jean Ziegler, der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für das Menschenrecht auf Nahrung. Ist das demokratisch? Ist das freie Marktwirtschaft? Oder hat sich die EU-Kommission eher von strategischen Überlegungen leiten lassen? Wenn Bayer Monsanto kauft, dann hätte der weltgrößte Pestizid- und Saatgutkonzern seinen Sitz auf europäischem Boden. Die EU-Bürger haben mehr als eine Million Petitionen, Einwände, Briefe und Postkarten an die Kommission geschickt. Das hat Vestager gesagt. Und dass sich viele der Fusionskritiker nicht um den Wettbewerb sorgten, sondern um die Art der Landwirtschaft, für die Bayer und Monsanto stehen, um unsere Ernährung und um die Umwelt. Das aber seien Fragen, sagte Vestager, die sich darum drehten, wie wir in Zukunft leben wollten. Und dafür sei sie nicht zuständig.

Wenn drei global agierende Konzerne dabei sind, den weltweiten Saatgut- und Pestizidmarkt untereinander aufzuteilen, wenn sie sich damit zu den Herren über Felder und Teller aufschwingen, die kontrollieren können, was wir zu essen bekommen, dann gibt es keine politischen Einspruchs- oder Gestaltungsmöglichkeiten außer der wettbewerbsrechtlichen Frage, ob sich vielleicht irgendwelche Märkte überlappen. Nur das war es, was die Kommissarin zu prüfen hatte, mehr nicht. In den letzten Jahrzehnten sind vor unseren Augen gigantische IT-Konzerne mit marktbeherrschender Stellung entstanden, Google, Amazon, Facebook. Jetzt hat der Wettlauf um eine solche Marktdominanz bei der Digitalisierung der Landwirtschaft begonnen. Auch darum geht es bei der Fusion von Bayer und Monsanto: Daten, die Drohnen und mit Sensoren ausgestattete Landmaschinen von den Äckern dieser Welt zusammentragen. Wer diese Daten besitzt, wird ziemlich gut berechnen können, welche Erträge kommende Ernten bringen. Und er wird mit diesem Wissen an den Börsen der Welt spekulieren können. Das geht weit über den alten Monsanto-Traum, die Ernährung der Welt vom Acker bis zum Teller zu kontrollieren, hinaus. Und es ist sehr weit entfernt von dem, was die EU-Bürger von der Kommission gefordert hatten.

Im Widerstand gegen den Moloch Baysanto haben sich europäische Bürgerinnen und Bürger, Verbände und Organisationen zu neuen Bündnissen zusammengeschlossen. Dazu gehört die Initiative „Konzernmacht begrenzen“, 28 Organisationen, die sich um Umwelt, Landwirtschaft, Pharma, Finanzen, Netz- und Entwicklungspolitik kümmern. Sie sind es, die das große Ganze im Blick behalten, das die EU-Kommission aus den Augen verloren hat.

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