Es ist Zeit für neue Ideen. In den letzten Jahren ist über die Landwirtschaft und ihre Auswirkungen so viel gestritten worden, dass die Fronten völlig verhärtet sind: Tierschützer gegen Massentierhalter, Veganer gegen Fleischesser, Pestizide gegen Pflanzenschutzmittel, konventionelle Landwirte gegen NGOs.
Massentierhaltung und Gift auf dem Acker sind die Kampfbegriffe der Umwelt- und Tierschützer, die bei Landwirten heftige Abwehrreaktionen auslösen. Sie fühlen sich als Tierquäler und Menschenvergifter denunziert – und das von Leuten, die im Supermarkt Milch und Fleisch zu Dumpingpreisen abräumen. So hat die alljährliche „Wir haben es satt“- Großdemonstration von Bauern, Umwelt- und Tierschützern eine Gegenreaktion von zornigen jungen Intensiv-Landwirten hervorgerufen, die sagen: Wir machen euch satt (und jetzt hört mal auf zu meckern)!
Kleine Bäcker geben auf
Was für eine wunderbar verfahrene Situation: Große Teile der konventionellen Landwirtschaft auf der einen und der Umwelt- und Tierschutzbewegung auf der anderen Seite stehen sich verfeindet gegenüber – obwohl beide Seiten die gleichen Interessen haben, nämlich Kulturlandschaft, Bauernhöfe, Artenvielfalt und natürliche Ressourcen zu erhalten. Der Dauerstreit lähmt die Agrar- und Verbraucherpolitik. Vom Stillstand aber profitieren die großen Konzerne, die in aller Ruhe weiter Gewinne durch den Verkauf von Ackerchemikalien und Antibiotika einstreichen.
Das Bundesumweltministerium bringt nun Bewegung in die Debatte. Vor dem Beginn der Internationalen Grünen Woche in Berlin lud die zuständige Ministerin, Barbara Hendricks (SPD), zu einer Agrarkonferenz ein – was das Landwirtschaftsministerium als Übergriff auf eigene Zuständigkeiten hätte verstehen können. Doch Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) zeigte sich kooperativ und erschien als Gastredner. Die deutsche Landwirtschaft müsse umweltverträglicher werden, und die kleinen und mittleren Betriebe bräuchten Hilfe, so Schmidt. Die effiziente deutsche Agrarwirtschaft mit ihren günstigen klimatischen Voraussetzungen stehe in der Verantwortung, einen Beitrag zur Welternährung zu leisten, forderte er – ohne die fatalen Wirkungen zu erwähnen, die Billigexporte der EU auf lokale Märkte im globalen Süden haben. Da ist sie wieder, die Frontstellung: Günstige Massenproduktion für die Weltagrarmärkte oder tierfreundliche, ökologische Bauernhöfe mit regionaler Wertschöpfung? Oder beides?
Wie soll sie also aussehen, die zukunftsfähige Landwirtschaft? Das Bundesumweltministerium hat einen Vorschlag des Agrarwissenschaftlers Peter Feindt von der Humboldt-Universität zu Berlin aufgegriffen, nämlich einen neuen Gesellschaftsvertrag, den Landwirtinnen, Bürgerinnen und alle wichtigen Stakeholder gemeinsam in einem fairen Prozess aushandeln sollen.
Die dringendste Aufgabe: Landwirtschaft darf nicht länger Insekten, Vögel, Boden und Wasser gefährden. Die Wasserwerke schlagen schon länger Alarm, sie fordern weniger dichte Viehbestände, vor allem in den Regionen, wo zu viel Nitrat aus der Gülle ins Grundwasser gelangt. Und ökologischen Landbau in den Wasserschutzgebieten. Der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) fordert Hecken, Büsche und eine abwechslungsreiche Landschaft, die wilden Tieren Schutz und Nahrung bieten. Aber auch die Tiere in den Ställen müssen besser geschützt werden. Und die Landwirte. Die brauchen endlich faire Preise für ihre Arbeit. Zur Zeit müssen sie zusehen, wie ihre Erzeugnisse zu Billigpreisen aufgekauft und verscherbelt werden. Was viele dazu zwingt, noch mehr noch günstiger zu produzieren. Ein Teufelskreis.
Die neue Agrarpolitik müsste aber auch die gesundheitlichen Folgen von Fast Food und Fertigessen in den Blick nehmen. Mediziner haben festgestellt, dass die Lebenserwartung in den Industrieländern nicht länger steigt. Vor allem arme Menschen sterben wieder früher. Und viele leiden an ernährungsbedingten Krankheiten – mitten im Überfluss. Vor allem weniger Gebildete essen sich oft krank, weil sie zu viele verarbeitete Lebensmittel zu sich nehmen, die zu fett, zu süß oder zu salzig sind. Das sei auch betriebswirtschaftlichen Erwägungen geschuldet, kritisierte Peter Tinnemann, Gesundheitswissenschaftler an der Berliner Charité: „Transnationale Lebensmittelkonzerne verdienen mehr, wenn Menschen mehr essen und mehr schlechtes Essen essen. Gleichzeitig verdienen diese Unternehmen auch daran, dass sie Zusatzstoffe und Medikamente für Krankheiten verkaufen, die durch krank machendes Essen verursacht wurden.“
Die Alternative liegt auf der Hand: Die Wertschöpfung sollte nicht den Konzernen überlassen werden, sondern im ländlichen Raum bleiben. Doch dazu müsste, so fordert Slowfood, eben jenes Lebensmittelhandwerk gestärkt werden, das in den letzten Jahren dem Druck der Großkonzerne gewichen ist. Viele handwerklich arbeitende Bäcker und Metzger und kleine Molkereien haben ihre Betriebe aufgegeben – auch weil es öffentliche Fördermittel für den Bau von Megaschlachthöfen und Großproduktionsstätten gab.
Klaus Töpfer, einst CDU-Umweltminister unter Helmut Kohl und Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, stellte klar: Je erfolgreicher die konventionelle Intensivlandwirtschaft arbeitet, desto schlechter ist es für den ländlichen Raum. Denn diese Art von Landwirtschaft produziert mit hohem Kapitaleinsatz (im Durchschnitt eine halbe Million Euro pro Arbeitsplatz) und wenig Arbeitskräften Rohstoffe für eine hochkonzentrierte Ernährungsindustrie. Vor allem für den globalen Süden, wo wenig Kapital vorhanden sei und viele Menschen auf Arbeit in der Landwirtschaft angewiesen seien, könne diese Art zu wirtschaften kein Modell sein.
Im Kleinen klappt es schon
Landwirtschaft, Ernährung, Erzeugerpreise – das alles muss sich ändern, so viel ist klar. Nur wie, das weiß noch keiner: Wie stellt man sicher, dass aus dem Gesellschaftsvertrag mehr resultiert als: „Schön, dass wir geredet haben“? Und wie verhielte sich ein solcher Gesellschaftsvertrag zu Beschlüssen des Bundestags? Wäre dann die bewährte Form der Enquetekommission nicht besser, um alle Experten an einen Tisch zu bringen? Aber Gesellschaft – das soll ja viel mehr sein als Experten! Und wie werden die Verlierer des Prozesses reagieren? Was, wenn wirklich keine Ackerchemikalien mehr gebraucht würden?
Und: Müsste so ein Gesellschaftsvertrag nicht auf europäischer Ebene ausgehandelt werden? Dort also, wo die Agrarpolitik gestaltet wird und viele Milliarden Euro an Fördergeld bislang so verteilt werden, dass es weder den Insekten noch Vögeln noch dem landwirtschaftlichen Mittelstand nutzt? Und wo sich die Lobbyisten der Agrarindustrie die Klinke in die Hand geben?
Solange es an einer Regierung fehlt, die einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess auf den Weg bringen könnte, sind diese Fragen schwer zu beantworten. Dennoch sind die Voraussetzungen gut. Im Kleinen hat sich die Idee längst bewährt: Solidarische Landwirtschaft und Regionalwert AGs sind Mikro-Gesellschaftsverträge zwischen Landwirtinnen und Konsumentinnen auf lokaler Ebene, die sich gemeinsam darauf verständigen, wie auf dem Acker und im Stall gewirtschaftet werden soll, und die gemeinsam dafür aufkommen.
Nur einer findet, dass zukunftsfähige Landwirtschaft im gesellschaftlichen Konsens eine schlechte Sache wäre – vor allem fürs Geschäft: Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbands. „Die zunehmenden Angstkampagnen gegen wissenschaftliche Beurteilungen über die moderne Landwirtschaft und die Leistungen der Bauernfamilien werden dazu führen, dass Deutschland von der Champions League in die Kreisklasse C absteigen wird“, wetterte er auf der Grünen Woche. Einen „neuen Gesellschaftsvertrag“ würden die Bauernfamilien gern beim Wort nehmen, aber nur, wenn ein ehrlicher Umgang und eine andere Diskussionskultur gewährleistet seien.
Wäre er mal zum Kongress des Umweltministeriums gekommen, dort hätte er erleben können, dass Landwirte aus allen Lagern mit dem ehrlichen Diskutieren längst begonnen haben.
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