Nur ein Verbot löst nichts

Glyphosat Der Streit um das Totalherbizid geht in die nächste Runde. Das nächste Kampffeld ist schon eröffnet
Ausgabe 44/2017
Zum Wohlsein?
Zum Wohlsein?

Illustration: Susann Massute für der Freitag

Der Streit um die Wiederzulassung von Glyphosat hängt in der Endlosschleife: Die EU-Kommission hat die Entscheidung, ob das umstrittene Totalherbizid wieder zugelassen wird oder nicht, zum x-ten Mal vertagt und auf November verschoben, nachdem absehbar war, dass sich unter den Mitgliedsländern keine Mehrheit finden würde. Zuvor hatte Frankreich angekündigt, den umstrittenen Unkrautvernichter im Alleingang zu verbieten, und das EU-Parlament hatte eine Resolution verabschiedet, Glyphosat bis spätestens in fünf Jahren zu verbieten. Eine Anhörung im Parlament hatte sämtliche Zweifel an der Unabhängigkeit der prüfenden Bundes- und EU-Behörden bestärkt, und die französische Zeitung Le Monde hat detailreich nachgewiesen, wie der Glyphosat-Erfinder Monsanto selbstverfasste Studien unter dem Namen scheinbar unabhängiger Wissenschaftler veröffentlichen ließ. Währenddessen blockierten französische Landwirte die Straßen von Paris, weil sie durch ein Glyphosat-Verbot Wettbewerbsnachteile befürchten. Medien in Deutschland wiederum warnten vor Glyphosat-Rückständen im Speiseeis und Bier. Verbraucherschützer warnen vor dem möglichen Gift, während die Agrarbranche abwiegelt: Die Konzentration sei viel zu gering, um gefährlich zu werden.

Gierig, verblendet, hysterisch

Wie kann es sein, dass es seit Jahren unmöglich erscheint, wissenschaftlich die einfache Frage zu beantworten, ob Glyphosat nun gefährlich ist oder nicht? Und was bedeutet diese Unklarheit für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Behörden und Politik? Wenn Agrarchemiekonzerne einen neuen Wirkstoff entwickeln, müssen sie ihn zur Zulassung der EU vorlegen. Die entscheidet dann, welches Mitgliedsland den Stoff prüfen und bewerten soll. Im Fall von Glyphosat war das Deutschland – obwohl die EU damit einen Interessenkonflikt ignoriert hat, weil mehrere deutsche Unternehmen am Verkauf glyphosathaltiger Mittel verdienen.

Das beauftragte EU-Land unternimmt aber keine eigenen Versuche, sondern wertet nur aus, was an wissenschaftlichen Studien vorliegt. Und genau hier liegt das Grundproblem: Die Hersteller, die naturgemäß ein großes Interesse an der Zulassung haben, investieren viele Mittel in eigene Versuchsreihen, während unabhängige Wissenschaftler viel zu wenig Geld zur Verfügung haben, um umfangreich und über Jahre hinweg die Auswirkungen von Produkten wie Glyphosat zu untersuchen. Vor allem bei der Beurteilung des Krebsrisikos ist das problematisch. Denn es gibt keinen einfachen Test, mit dem sich ein solches Risiko einfach nachweisen ließe.Die wissenschaftlichen Standards verlangen lange Versuchsreihen, für die Abertausende von Labortieren ihr Leben lassen müssen, und führen zu komplizierten Datensätzen. Und über deren Interpretation streiten die Experten. Welche Tiere sind an Krebs gestorben? Sind sie verendet, weil die Dosis zu hoch war? Und was genau hat den Krebs ausgelöst?

Das zu beurteilen, ist kompliziert genug und für externe Wissenschaftler nahezu unmöglich, weil nicht alle Studien veröffentlicht werden, sondern als geistiges Eigentum der Hersteller unter Verschluss gehalten werden dürfen. Dennoch hat etwa das Pestizid-Aktionsnetzwerk PAN die Bewertungen studiert und auf zahlreiche Auswertungsfehler hingewiesen. Inzwischen sind in den USA auch interne E-Mails an die Öffentlichkeit gelangt, die offenbaren, dass Monsanto-Mitarbeiter als Ghostwriter vermeintlich unabhängige Studien verfasst haben. Andererseits ist aber auch der prominente Glyphosat-Gegner Christopher Portier in die Kritik geraten, weil er Beraterhonorare von Anwaltskanzleien bekommen hat, die Glyphosat-Opfer vertreten.

Diese Mischung aus Intransparenz und Betrug in Zeiten von Fake News und Verschwörungstheorien ist also wunderbar geeignet, um auf beiden Seiten Vorurteile zu schüren über geldgierige Konzerne, die die Welt vergiften, hysterische Verbraucher und ideologisch verblendete Umweltschützer. Viele Landwirte halten Glyphosat-Gegner für emotional geleitet und unwissenschaftlich argumentierend, weil viele Studien zeigten, dass Glyphosat ein relativ harmloses Mittel sei. Und damit haben sie sogar Recht, denn es gibt noch giftigere Ackerchemikalien, Glufosinat etwa, das Bayer unter dem Namen „Basta“ vertreibt und das in Deutschland nicht mehr zugelassen ist. Viele Umweltschützer wiederum halten die Agrarbranche für verblendet, weil sie sich auf die Argumente der Industrie eingelassen haben, statt sich auf ihre bewährten ackerbaulichen Prinzipien zu verlassen. Wer viele verschiedene Feldfrüchte anbaut und Beikräuter mit Pflug oder Grubber mechanisch bekämpft, der kann gut ohne Chemie auskommen. Das zeigt der ökologische Landbau.

Das Julius-Kühn-Institut, eine Forschungseinrichtung des Bundes, hat untersucht, was ein Glyphosat-Verbot für die Landwirtschaft in Deutschland bedeuten würde. Viele Landwirte besprühen ihre Ackerflächen vor einer neuen Aussaat mit Glyphosat, um alle unerwünschten Pflanzen und Kräuter abzutöten. Stattdessen könnten sie ihre Äcker mechanisch bearbeiten. Das sei „nicht in jedem Fall teurer“, so das Julius-Kühn-Institut, und könne sogar zu wirtschaftlich besseren Ergebnissen führen. Bei ungünstigen Bedingungen jedoch kann der Verzicht auf Glyphosat zu deutlich höheren Kosten führen.

Viele konventionelle Landwirte sind deshalb gegen ein Verbot und weil auch die traditionelle Bearbeitung mit Pflug und Grubber Boden und Wasser schaden kann. Zum Beispiel, wenn der Boden wie in diesem Herbst durch viel Niederschlag aufgeweicht und nass ist und trotzdem bearbeitet werden muss. Ein Beispiel sind abgeerntete Rapsfelder, auf denen ausgefallene Rapskörner keimen und wachsen. Dieser unerwünschte Aufwuchs muss weg, bevor der Weizen fürs kommende Jahr gesät werden kann. Ist der Herbst so nass wie in diesem Jahr, halten viele Landwirte Glyphosat für schonender als Pflügen oder Grubbern, was den Boden weit aufreißen würde. Dabei kann Stickstoff mineralisieren und ins Grundwasser gelangen.

Während die Öffentlichkeit die Auseinandersetzung um Glyphosat aufmerksam verfolgt, entsteht in dessen Schatten ein neues Konfliktfeld: Die EU hat Deutschland damit beauftragt, den Wirkstoff Glufosinat, „Basta“, neu zu bewerten. Das ist überraschend, denn bislang war Schweden Berichterstatter für diesen Wirkstoff, und bislang war es in der EU auch üblich, die zuständigen Länder nicht zu wechseln. Die schwedischen Behörden aber hatten Glufosinat als gesundheitsgefährdend eingestuft. Nun sollen die deutschen Behörden ran – obwohl es ein deutscher Hersteller ist, der großes Interesse an der Wiederzulassung hat.

Erste Runde für Glufosinat

Falls Glufosinat nun für ebenso unbedenklich erklärt werden würde wie zuvor Glyphosat, könnte schlimmstenfalls ein umstrittener Stoff durch einen noch gefährlicheren ersetzt werden. Genau das aber darf nicht passieren. Ein Verbot von Glyphosat allein macht die Landwirtschaft nicht besser. Das Verbot müsste vielmehr der Auftakt sein für eine ökologischere und vielfältiger wirtschaftende Landwirtschaft, die den Dauereinsatz von Chemikalien überflüssig macht. Denn je größer die Pflanzenvielfalt auf den Feldern, desto geringer wird der Druck durch Schädlinge. Das ist aber keine Aufgabe, die man allein den Landwirten auferlegen könnte.

Für sie ist es derzeit oft zu risikoreich, etwas anderes als die Standardwaren Mais, Raps und Weizen zu vermarkten. Regionale Vermarktung und Verarbeitung von vielfältigeren Getreidesorten und Hülsenfrüchten zu fairen Preisen wäre ein guter Weg, um die Landwirtschaft aus der Abhängigkeit vom dauerhaften Chemieeinsatz zu befreien.

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