Unsere Apokalypseblindheit

Klimawandel Wir sind unseren eigenen Schöpfungen nicht gewachsen. Bleibt nur Resignation?
Ausgabe 38/2017
Man könnte ein Schild aufhängen
Man könnte ein Schild aufhängen

Foto: Chromorange/Imago

Für unseren Umgang mit Klimawandel, Ressourcenknappheit und Artensterben gab es schon ein Wort, als wir von diesen Gefahren noch gar nichts ahnten: Apokalypseblindheit.

So hat der Philosoph Günther Anders, Jahrgang 1902, unsere Unfähigkeit bezeichnet, sich die Folgen menschlichen Tuns auszumalen und angemessen darauf zu reagieren. Er schrieb über die atomare Bedrohung, über die Fähigkeit, Bomben zu bauen, die die Erde als Ganzes auslöschen können. Darüber, dass wir das Ungeheuerliche zwar irgendwie verstehen, aber nicht wirklich erfassen, was es bedeutet – für die ganze Menschheit, für das Leben auf der Erde, wie wir es kennen. Wir sind apokalypseblind, schrieb Anders, blind für die Ungeheuerlichkeit der Gefahr, die wir selbst erschaffen haben. Wir sind unseren eigenen Schöpfungen nicht gewachsen.

Der Konflikt zwischen den USA und Nordkorea erinnert gerade daran, dass die atomare Gefahr nicht gebannt ist. Gleichzeitig haben wir uns in weitere globale Bedrohungen manövriert, auf die wir ebenso unfähig reagieren. Nicht nur wir Wähler sind apokalypseblind, auch die Parteien im Wahlkampf sind es. Natürlich kommen in jedem Programm ein bisschen Klimawandel und Umwelt vor – doch nicht einmal bei den Grünen in der Deutlichkeit und Radikalität, die Wissenschaftler fordern, die wir bräuchten, um Katastrophen zu verhindern.

Forscher, die Veränderungen der globalen Stoffkreisläufe in den Blick nehmen, sind sich einig, dass sofort gehandelt werden muss. Dass wir unsere Art, zu wirtschaften und zu konsumieren, auf der Stelle verändern müssen, um die extremen Folgen des Klimawandels noch halbwegs abzuwenden. Der Historiker Philipp Blom hat am Beispiel der Kleinen Eiszeit in der Frühen Neuzeit gezeigt, welche extremen Verwerfungen schon kleine Klimaveränderungen auslösen können. Und mit welchen grauenvollen sozialen Folgen: 30 Jahre Krieg und ausgelöschte Landstriche.

Wir sind gewarnt. Die Frage, wie wir in Zukunft mit den natürlichen Ressourcen der Erde umgehen, ist die zentrale Zukunftsfrage für alle, die noch ein bisschen auf der Welt leben wollen. Und für alle, die Kinder, Enkel oder Nichten und Neffen haben, sowieso. Damit ist die ökologische Frage die soziale Frage der Zukunft. Nicht-Handeln wird in den nächsten Jahrzehnten Millionen von Menschen auf der Welt aus ihrer Heimat vertreiben. Noch viel mehr Menschen als heute werden auf der Flucht sein.

Was können wir also tun, um unsere Apokalypseblindheit zu überwinden? Fest steht, dass wir viel mehr brauchen als ein bisschen Klimaschutz. Wir brauchen politische Wenden in beinahe allen Politikbereichen: eine Abkehr von der naiven dominanten Idee des ewigen Wirtschaftswachstums, eine Agrar-, eine Chemie-, eine Verkehrswende, das Ende der Kohle sowieso, und das sehr schnell.

Ganz gleich, wie die Wahl am Sonntag ausgeht: Es ist keine Konstellation in Sicht, die einen solchen grundsätzlichen Wechsel in Angriff nehmen wird. Zu stark sind die Beharrungskräfte und der Einfluss der Mächtigen, die daran verdienen, dass alles weitergeht wie bisher.

Nicht zu wählen ist keine Alternative – Resignation wäre noch schlimmer als Apokalypseblindheit. Am Sonntag den größtmöglichen Klimaschutz zu wählen, ist nur ein erster Schritt, diese Blindheit zu überwinden. Dann müssen wir selbst ran: Jeder, der angesichts der globalen Krisen fühlen kann, was Günther Anders meint mit dem großen, gefährlichen Wort Apokalypseblindheit, muss mehr tun als grün wählen. Er muss handeln. Aufklären. Sich einmischen. Vorbild sein.

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