Zornige Bauern

Biodiversität Die Bundesumweltministerin hat ihren Bericht zum Zustand der Natur vorgestellt. Um das Artensterben zu verringern, braucht sie die Landwirte als Partner, nicht als Gegner
Die konventionelle Landwirtschaft tut der Natur nicht gut. Doch bei aller Kritik sollte man die Landwirtinnen und Landwirte nicht in die Arme der Leugner und Hetzer treiben, sondern sie als Vorreiter für das große Projekte der Transformation gewinnen
Die konventionelle Landwirtschaft tut der Natur nicht gut. Doch bei aller Kritik sollte man die Landwirtinnen und Landwirte nicht in die Arme der Leugner und Hetzer treiben, sondern sie als Vorreiter für das große Projekte der Transformation gewinnen

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Strohfeuer in Berlin anzünden und mit Gülle ablöschen: In den Sozialen Medien kocht der Zorn der Landwirte und Landwirtinnen hoch. Während die Lautstarken von Flammen in Berlin fantasieren, gestehen andere in herzzerreißender Offenheit ihre Ohnmacht ein: „Wir haben keine Fremdarbeiter, wir beuten uns selber aus. Liebe Tierschützer, kommt in mein Haus, dort seht ihr müde und kaputte Menschen, vier Generationen. Ich kann nicht mehr.“ Was ist passiert?

Gestern hat die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) den neuen Bericht zum Zustand der Natur in Deutschland vorgestellt und „neben positiven Entwicklungen in Wäldern und ersten Lichtblicken in Dörfern und Städten“ den Zustand in den Agrarlandschaften beklagt. Dort gehe es der Natur „besorgniserregend schlecht“. Auf vielen Wiesen und Weiden werde so viel gedüngt und so oft gemäht, dass sie für die Natur immer wertloser werden, sagte Schulze. Eine Trendwende sei dringend nötig. Erste Schritte dagegen seien das neue Düngerecht und das Aktionsprogramm Insektenschutz, ein Insektenschutzgesetz werde folgen, kündigte die Ministerin an. Daran gibt es wissenschaftlich nichts zu rütteln: Die viel zu hohen Stickstoffeinträge – aus der Landwirtschaft, aber auch aus Verkehr, Industrie und privaten Haushalten – gefährden die biologische Vielfalt in vielen Ökosystemen. Die bunt blühenden Kalkmagerrasen vertragen zu viel Dünger genauso wenig wie Teiche, Bäche und Flüsse. Ökologen würden vermutlich anmahnen, dass die ersten Schritte des Ministeriums wirklich nur erste Schritte sein dürfen, wenn der dramatische Schwund der Arten auch nur verlangsamt werden soll.

Wo die Kiebitze brüten

Laut Weltbiodiversitätsrat IPBES sind eine Million Arten in den nächsten Jahren vom Aussterben bedroht, hier wie im Rest der Welt – das erfordert viel mehr als eine Änderung des Düngerechts.

Warum dann empören sich die Landwirte über den „Müll“ aus Berlin, der „das Fass zum Überlaufen“ gebracht habe? Warum drohen sie der Ministerin, sie „werde sich noch Jahre erinnern“ an das, was jetzt auf sie zu komme? Ein Video wird in den sozialen Medien dort besonders oft geteilt, es spricht ein Landwirt auf seinem Feld irgendwo in Nordfriesland, der das Artensterben schlicht und einfach leugnet. „90 Prozent Artenrückgang – wo denn?“, fragt er. „Hier auf dieser Fläche hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht, hier brüten die Kiebitze.“ Austernfischer, Rehwild, Fasan, Schwalben, Fledermäuse alles da.

Die Ornithologinnen und Entomologinnen kennen diese Argumente und zucken traurig mit den Schultern: Shifting Baseline nennen sie dieses Phänomen. Es besagt, dass jeder den Zustand der Natur für normal hält, den er als Berufsanfänger kennengelernt hat, egal ob Forscher, Fischer oder Landwirt. Deshalb hält der Landwirt die Vögel draußen auf der Halbinsel Eiderstedt, wo er seine Felder beackert, für normale Bestände und glaubt nicht an den Rückgang – weil er es nicht so viel anders kennt.

Und tatsächlich sind viele der gefährdete Kiebitze auf konventionell bewirtschaftetes Ackerland ausgewichen, weil ihr natürlicher Lebensraum, die Moorheiden, verschwunden sind, und weil die Wiesen, auf die sie nach der Trockenlegung der Moore ausgewichen sind, wegen der guten Düngung viel zu früh zu hoch und dicht bewachsen sind. Das Gras steht so früh so hoch, dass die Kiebitze dort keine Insekten jagen können. Deshalb sind viele Kiebitze zum Brüten auf Rübenäcker ausgewichen - wobei die konventionell bewirtschafteten und gespritzten für ihre Nester sogar sicherer sein können, weil sie weniger oft befahren werden als manche Bio-Äcker, die mit Striegeln und Hacken bearbeitet werden. Allein: Diese Brutplätze reichen nicht, um die Kiebitze zu retten. In den letzten vierzig Jahren sind ihre Bestände um über 90 Prozent zurückgegangen. Und je mehr Insekten sterben, desto knapper wird ihr Futter.

Leerstelle: Agrarökologie

Die Welle des Zorns und der Verzweiflung in der Landwirtschaft über den Zustandsbericht der Natur zeigt zweierlei: Erstens, die landwirtschaftliche Ausbildung muss dringend um diese komplexen ökosystemaren Zusammenhänge erweitert werden. Viel zu lange sind Landwirtinnen in Betriebsführung und Ertragssteigerung bestens geschult worden, aber nicht in Naturführung und Biodiversitätssteigerung. Das macht sie anfällig für die unterkomplexen Angebote der Pflanzenschutzmittelindustrie – Ackerchemie gegen Schädlinge – statt Widerstandsfähigkeit durch Vielfalt zu fördern, durch weite Fruchtfolgen, Nützlinge und vielfältige Landschaftsstrukturen. Immer wieder erzählen Landwirte, wie an den Berufsschulen über den Ökolandbau gelacht wird, wie Strukturwandel und Weltmarktorientierung als alternativlos dargestellt werden. Wer so ausgebildet wird und dabei nichts über planetare Grenzen und Agrarökologie erfährt, der kann nicht sehen, dass ein brütender Kiebitz nicht ausreicht, um die Bestände zu retten.

Umweltgerechtigkeit sieht anders aus

Aber – zweitens und wichtiger – die Forderung, die Zusammenhänge zu erkennen, muss nicht nur für Landwirtinnen gelten, sondern erst recht für Politikerinnen: Der Verlust der biologischen Vielfalt ist eine Folge unseres ressourcenverzehrenden Wirtschaftssystems und unseres konsumlastigen Lebensstils. Die Landwirtschaft ist ein Teil davon. Mitverantwortlich, aber lange nicht alleine verantwortlich. Genau das muss auch so benannt werden. Man kann nicht über den schlechten Zustand der Natur reden, ohne die tödliche Bodenversiegelung zu kritisieren. Insekten sterben auf Äckern, aber auch auf Parkplätzen, in Steingärten und in Shopping Malls. Wenn wir die Natur – uns inklusive – retten wollen, dann müssen wir uns alle ändern. Dann dürfen wir nicht den Transformationsdruck auf eine Berufsgruppe abwälzen, die ohnehin unter größtem ökonomischen Druck steht und in der viele Betriebe um die nackte Existenz kämpfen. Umweltgerechtigkeit sieht anders aus.

Es wäre gefährlich, den Zorn der Landwirte zu unterschätzen und sie in die Arme der Leugner und Hetzer zu treiben. Es wäre sinnvoller, die Landwirtschaft als Vorreiterin zu gewinnen für das große Projekte der Transformation. Wie sagt der Landwirt vor seinem Feld mit den Kiebitzen am Ende seines Videos, fast flehentlich? Frau Schulze, besuchen Sie uns!

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