Kritiker*innen wollen Zweck nicht verstehen

Mietendeckel Die linke Wohnungssenatorin Lompscher musste für ihren Vorstoß herbe Kritik einstecken. Das Problem: Viele Kritiker*innen verstehen das Konzept des Deckels nicht

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Damit in diesen Wohnungen nicht irgendwann nur noch die „Reichen und Schönen“ wohnen, braucht es den Mietendeckel
Damit in diesen Wohnungen nicht irgendwann nur noch die „Reichen und Schönen“ wohnen, braucht es den Mietendeckel

Foto: Andreas Rentz/Getty Images

Die linke Wohnungssenatorin Katrin Lompscher hat am Sonntag einen Gesetzentwurf für die Einführung eines Mietendeckels in Berlin vorgelegt. Auch wenn es sich hierbei lediglich um einen ersten Entwurf handelt, der noch nicht mit dem restlichen Kabinett abgesprochen ist, sind die geplanten Einschnitte in den Wohnungsmarkt drastisch und bedeuten nicht weniger als eine wohnungspolitische Revolution in Deutschland. So dürften die Kaltmieten zukünftig nicht über knapp acht Euro pro Quadratmeter steigen und bestehende Mieten könnten, wenn sie über dem Deckel liegen, durch das Bezirksamt gesenkt werden.

Die Folgen dieses radikalen und mutigen Vorstoßes waren wie zu erwarten: Ein mediales Dauerfeuer der Marktradikalen brach über Lompscher und die Linke herein. FDP und CDU kündigen schon jetzt an, Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einzulegen. Von der Welt über die Zeit, Spiegel Online bis hin zur scheinbar linken taz übt man massive Kritik an dem Vorstoß. Die Berliner Morgenpost vergriff sich dabei am meisten im Ton und erklärte, die Linke wolle „Berlin anzünden“.

Von diesen neoliberalen Stimmen getrieben, kneift die Berliner SPD, die den Vorschlag für den Mietendeckel erstmals einbrachte, schon mal im vorauseilenden Gehorsam den Schwanz ein und geht auf Distanz zu den Plänen der linken Koalitionspartnerin.

Dabei beruht die prominenteste Kritik am Mietendeckel auf einem Missverständnis, das die Marktradikalen noch zusätzlich verstärken und in der Debatte immer wieder spielen: Ein Mietendeckel schaffe keinen neuen Wohnraum und würde private Investitionen in den Wohnungsmarkt hemmen. Das ist durchaus richtig, es hat aber auch nie jemand das Gegenteil behauptet.

Der Mietendeckel ist nämlich kein Instrument zur Schaffung von neuem Wohnraum, er soll stattdessen in erster Linie die Verdrängung von Mieter*innen aus ihren Kiezen und ihren Milieus verhindern und dadurch Gentrifizierung stoppen.

Das soziale Gefüge einer Stadt gerät aus den Fugen, wenn sich nur noch die „Reichen und Schönen“ das Leben in der Innenstadt leisten können und die Menschen mit geringem Einkommen und Vermögen an den Stadtrand gedrängt werden.

Deshalb irren auch diejenigen Kommentator*innen, die in den letzten Tagen immer wieder betonen, es sei „sozial ungerecht“, wenn die gutverdienenden Mieter*innen am Prenzlauer Berg dieselben Mieten zahlen wie die Menschen in Berlin-Marzahn. Wer so argumentiert hat sich mit der sozialen Segregation deutscher Innenstädte bereits abgefunden. Es ist doch gerade das Ziel des Kampfes gegen Gentrifizierung und damit auch des Mietendeckels für eine soziale Vermischung der Wohnquartiere zu sorgen. Eine Gettoisierung der Innenstädte soll damit verhindert werden. „Wohlstandsgettos“ stellen dabei ein ebenso großes Problem da wie sozial und infrastrukturell abgehängte Stadtteile in den Randbezirken, die sich zum Brennpunkt entwickeln.

Der Mietendeckel ist somit als ein Akt der Notwehr zu verstehen mit dem die gefährliche Entwicklung hin zu Verdrängung und Gettoisierung der Innenstände gestoppt werden soll, zumindest für die nächsten fünf Jahre.

Diese Zeit muss dann genutzt werden um in den kommunalen sozialen Wohnungsbau zu investieren und so die Wohungsnot zu lindern, Leerstand und Zweckentfremdung zu verbieten und eine wirksame Mietpreisbremse einzuführen. So kann der Druck vom Wohnungsmarkt genommen werden.

Langfristig muss es aber darum gehen, Wohnen dem Markt zu entziehen. Große Wohnungsbaugesellschaften müssen daher vergesellschaftet und in andere Formen des demokratischen und gemeinschaftlichen Eigentums überführt und genossenschaftliche oder syndikalistische Wohnprojekte finanziell stark gefördert werden.

Ist das alles verfassungsrechtlich zulässig? Seit letzter Woche wissen wir, dass dem so ist. Das Bundesverfassungsgericht hatte da ein wegweisendes Urteil zur Mietpreisbremse getroffen, welches als wichtige Referenz für spätere Entscheidungen in der Wohnungspolitik dienen wird. So garantiert das Grundgesetz bekanntermaßen ein Recht auf Eigentum. Dieses muss aber auch immer dem Allgemeinwohl dienen und kann deshalb zu Gunsten der Allgemeinheit staatlich eingeschränkt werden. Die Richter*innen in Karlsruhe haben nun entschieden, dass das Recht auf Eigentum umso stärker eingeschränkt werden kann je größer der soziale Bezug des jeweiligen Eigentums ist.

Dieser soziale Bezug sei bei dem Besitz von Wohnraum sehr hoch. Das Bundesverfassungsgericht argumentiert, dass die Bekämpfung von Gentrifizierung und Verdrängung ein hohes öffentliches Gut sei, da diese im öffentlichen Interesse liege. Wenn Maßnahmen, die den Wohnungsmarkt regulieren sollen, dafür sorgen, dass dieses öffentliche Interesse erfüllt wird, dann seien diese verfassungsrechtlich einwandfrei. Die Rechte der Vermieter*innen dürften also eingeschränkt werden.

Unter diesen Aspekten kann der Berliner Senat, sofern er den Mietendeckel schließlich auf den Weg bringt, den angestrebten Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gelassen entgegensehen. Bis dahin wird die Immobilienindustrie allerdings weiterhin ein verbales und mediales Sperrfeuer auf die Berliner Landesregierung abfeuern, um den Mietendeckel doch noch im letzten Moment zu verhindern. Wollen wir hoffen, dass die Beteiligten des rot-rot-grünen Senats hier standhaft bleiben und nicht im medialen Gewitter umkippen. Nicht nur den Mieter*innen in Berlin sei dies gewünscht.

Die Symbolwirkung, die von der Berliner Initiative eines Mietendeckels für die gesamte Bundesrepublik ausgeht, darf nicht unterschätzt werden. Auch in anderen Landesparlamenten, wie zum Beispiel in Hessen, nimmt man sich die Berliner Initiative zum Vorbild und hat eigene parlamentarische Verfahren gestartet. Linksfraktion-Chefin Sahra Wagenknecht hat jüngst angekündigt, einen solchen Mietendeckel auch auf Bundesebene einführen zu wollen. Aus den Berliner Mietprotesten könnte sich also ein echtes Momentum entwickeln, mit einer Strahlkraft quer durch die ganze Republik.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tim Dreyer

Linker aus Hessen. Bloggt zu den Themen Politische Ökonomie, Antifaschismus und hessische Landespolitik

Tim Dreyer

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