Das Begehren will geweckt sein

Eventkritik Geschichtsträchtige Kostümbibliothek, neuartiges Showroom-Areal oder doch lieber das Internet? Eine Tagung erforschte die Räume, in denen Mode in Szene gesetzt wird

„Ich wähle immer geschichtsträchtige oder schräge Orte. Orte, die Bildung transportieren. Gängige Modefotografie vernachlässigt das Erzählen eigener Geschichten und die Geschichte der Räume.“ Der Fotograf Olaf Martens könnte seinen Vortrag mühelos zu einem Tagesseminar ausweiten. Denn jedes seiner Bilder besitzt eine bewegte Geschichte, so wie die orthodoxe Kirche, in deren Turm ein meterhoher Wassertank nun der Ausbildung von russischen Tauchern dient. Um in diesen Räumen grazile Models in Designerroben in Szene setzen zu können, zahlt er oft Bestechungsgelder.

Die Tagung „Die Räume der Mode“, auf der Olaf Martens Einblicke in seine Arbeit gewährt, findet ebenfalls an einem Ort statt, der voller Geschichte und Bildung steckt. Die Literaturwissenschaftsprofessorin Gertrud Lehnert von der Uni Potsdam hat für die dreitägige Zusammenkunft ins Berliner Kulturforum geladen. Neben der Gemäldegalerie und dem Kupferstichkabinett ist mit der Kostümbibliothek, der weltgrößten Fachsammlung zur Kulturgeschichte der Kleidung und Mode, ein Stück kulturelles Gedächtnis hier beheimatet. Lehnert hat diesen Ort, der für ein Zusammentreffen von Modebegeisterten in Berlin zunächst untypisch scheint, bewusst gewählt: „Mode muss an völlig anders besetzte Orte gehen, um auch die Konfrontation zu suchen.“

An der Debatte um die Mercedes-Benz-Fashionweek am Berliner Bebelplatz zeige sich, wie Mode in der öffentlichen Diskussion nach wie vor als oberflächlich und frivol betrachtet würde. Die Bedeutung von Räumen geht für Gertrud Lehnert aber weit über ihre Funktion als Schauplatz hinaus: „Räume nehmen Einfluss auf die jeweilige Mode, die Art und Weise ihrer Aufführung einerseits und ihrer Wahrnehmung andererseits. Sie tragen entscheidend zum Entstehen von Mode bei.“ Aber auch die Bekleidung selbst schaffe im Dialog mit Körpern neue Räume, gestalte atmosphärisch gestimmte Orte und Gefühlsräume.

Gedeckte Kleiderwahl

Ein erstes Zusammenspiel und Aufeinanderwirken von Mode und Raum lässt sich bereits beim Eintreffen der Gäste noch vor der theoretischen Auseinandersetzung beobachten. Als Museumsbesucher getarnt sammeln sich etwa 150 Frauen und eine Handvoll Männer im Tagungsraum. Anders als bei jedem anderen Zusammentreffen von Modebegeisterten in Berlin, bewirbt sich hier niemand um das auffälligste Outfit des Tages. Zurückhaltende Farbwahl, klare Schnitte und selbstbewusster roter Lippenstift unterstreichen die universitäre Atmosphäre. Alle Aufmerksamkeit gilt den Worten der Referenten. Vielleicht spielt neben der akademischen Ausrichtung der Veranstaltung auch der nüchterne Blick auf Berlin als Modestadt eine Rolle bei der gedeckten Kleiderwahl.

Die Referenten verweisen nur selten auf deutsche Modeschöpfer, immer auf Paris. „Berlin bewirbt sich darum, sich eine Modestadt nennen zu dürfen“, sagt Gabriele Mentges, Professorin für Kulturgeschichte der Bekleidung an der Universität Dortmund. Raik Hölzel kommentiert dies so: „Berlin ist die angesagteste Stadt der Welt, aber die Gutverdienenden und die Touristen finden die Mode in den Seitenstraßen von Mitte nicht. In Berlin wird mit Mode kein Umsatz gemacht.“ Der Musikmanager experimentiert mit Pop-up-Stores und hat sich mit seinem ersten Modegeschäft aus Berlin-Mitte herausgewagt und im Forum Steglitz niedergelassen. Während über Berlins modische Bedeutung keine Einigkeit hergestellt werden kann, sind die Teilnehmer sich einer Sache sicher: die Bedeutung des Internets für die Modewelt.

Bewerbung von Kunden

Die virtuellen Räume, in denen Mode dargestellt, diskutiert und auch verkauft wird, sind zentrales Thema einer Podiumsdiskussion. Die typische Konfliktlinie mit der Netzwelt, wie etwa im Journalismus oder in der Musikindustrie, pflegt die Modebranche nicht. Akademiker, Händler und Designer sehen Live-Übertragungen von Modenschauen, Online-Shops und Modeblogs als wichtige Ergänzung zu den traditionellen Orten der Bekleidungsschau. Die Journalistin Susanne Beckmann und der Designer Gregor Clemens sprechen den Bloggern sogar Einfluss auf den Gestaltungsprozess von Kollektionen zu. Auf den Online-Dialog mit Kunden hat David von Rosen-von Hoewel sein Geschäftskonzept aufgebaut. Er vertreibt sein Label „von Rosen“ ausschließlich über die Website. Zugänglich ist der Webshop nur nach einem „Bewerbungsschreiben“ des zukünftigen Kunden. Von Rosen möchte die Menschen kennenlernen, die seine Sachen tragen. Dafür bietet er persönliche Beratung und stickt ein Monogramm des Käufers auf dessen Kleidungsstücke.

Stefan Sihler, der im Berliner Osthafen ein Showroom-Areal geschaffen hat, vermisst bei dieser Art des Einkaufs hingegen „das echte Erlebnis“. Von Rosens Kunden würden sicherlich widersprechen, Bloggerin Julia Knolle tut dies ebenfalls: „Was im Netz stattfindet, ist immer alles echt. Die Ideen sind echt aus unserem Kopf.“ Warum von Rosens Konzept der Exklusivität funktioniert und durchaus Emotionen weckt, erläuterte Alicia Kühl am Beispiel der Modenschau: „Eine Modenschau muss abstoßen und anziehen zugleich. Der beschränkte Zugang zu Modenschauen, die zeitliche Begrenzung und die Inszenierung der Präsentationen, die stets signalisiert: „Nur schauen, nicht berühren“, wecken das Begehren, das so zentral für den Erfolg von Mode ist.“ Kühl, die über Modenschauen promoviert, illustrierte dies mit zahlreichen Bildern von kunstvollen Präsentationen, deren musealer Wert ihren Dokumentationen einen Platz in der Lipperheideschen Kostümbibliothek sichern wird.

Mit Karl Lagerfels Inszenierungen aus dem Grand Palais im Kopf, kann schließlich die Abschlusspräsentation von Studenten der Akademie für Mode und Design nur enttäuschen. Der Modenschau gelingt nicht, an das hohe Niveau der Vorträge, Stil und Stimmung der Tagung anzuschließen. Die Kollektionen verlaufen sich in unsauberer Verarbeitung, wenig raffinierter Schnittführung und grimmigem Techno. Doch der Blick ins Programm verrät, dass man durchaus im richtigen Raum ist: ein Einblick in „Die unheimlichen Räume des Rockes“ soll erst am Abschlusstag der Tagung gewährt werden.

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