Bei vielen von denen, die direkt und unmittelbar betroffen sind, gibt es bist heute psychische Einschränkungen bis hin zur Depression.“ Das schreibt Jutta Rübke, Beauftragte zur Aufarbeitung des „Radikalenerlasses“, in ihrem Bericht für den niedersächsischen Landtag. Jener Erlass von 1972, unter dem Eindruck der Studierendenrevolte und der RAF, geht auf das Konto der Regierung Willy Brandt. Er sah vor, „nicht verfassungstreue Elemente“ aus dem Staatsdienst zu entfernen. Von den Berufsverboten betroffen waren zumeist linke Lehrer, Bahner und Briefträger. Als letztes Bundesland schaffte Bayern den Paragrafen 1991 wieder ab. Nun steht ein Comeback bevor.
Auf der Justizministerkonferenz Anfang Juni in Eisenach brachte die hessische Ministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) den Vorschlag ein, Anwärterinnen und Anwärter auf das Richteramt durch den Verfassungsschutz überprüfen zu lassen. Bisher reichte ein polizeiliches Führungszeugnis. „Die Justizministerinnen und Justizminister nehmen mit Sorge zur Kenntnis, dass in jüngerer Zeit vermehrt Personen mit extremistischem, antidemokratischem und verfassungsfeindlichem Gedankengut in Erscheinung treten. Es ist nicht auszuschließen, dass diese sich auch als Richterinnen und Richter bewerben“, steht in Hessens Antrag unter dem Titel „Richterinnen und Richter als Garanten für den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat“. Kritiker sehen darin eine Wiederauflage des Radikalenerlasses: „Solche Vorstöße sind olle Kamellen, die nur weiter das Misstrauen in der Gesellschaft schüren“, wetterte etwa Hamburgs Grünen-Justizsenator Till Steffen, „sie katapultieren uns direkt in die 70er Jahre zurück. Wir brauchen Gesetze, die sich den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen annehmen.“
Im hessischen Justizministerium kann man diese Aufregung nicht nachvollziehen. Die Maßnahme sei durch das bestehende Deutsche Richtergesetz gedeckt. Es besagt, dass nur ins Richteramt berufen werden darf, wer „jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“. Eine Untersuchung auf Vorstrafen finde bereits jetzt statt, sagte ein Sprecher des Justizministeriums. Den Vergleich zum Radikalenerlass hält er für überzogen: „Wir wollen lediglich ein weiteres Sicherheitsnetz einführen, um Verfassungsfeinde vom Richteramt fernzuhalten. Anlass ist kein konkreter Verdachtsmoment gegenüber hessischen Richtern. Es gibt aber bundesweit entsprechende Fälle.“
Jens Maier ist nicht betroffen
Eine konkreter Fall wird nicht genannt. Könnte Jens Maier ein solcher sein? Seit 20 Jahren ist er Richter am Landgericht Dresden, seit 2017 Abgeordneter der AfD im Bundestag. Öffentlich bezeichnete er die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit als „Schuldkult“. Laut hessischem Ministerium soll es in der geplanten Regelung jedoch nicht um bestehende Dienstverhältnisse gehen, sondern um die Überprüfung angehender Richter vor ihrer Einstellung. Die Entscheidungsgewalt darüber verbleibe beim Richterwahlausschuss, der aus sieben vom Landtag berufenen Mitgliedern, fünf richterlichen Mitgliedern und im jährlichen Wechsel dem Präsidenten einer der beiden Rechtsanwaltskammern des Landes besteht. Der Verfassungsschutz liefere nur zusätzliche Informationen, betont das Ministerium.
In Bayern wird eine solche Anfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz bereits praktiziert. Die Überprüfung darf hier nur mit der Erlaubnis des Bewerbers vorgenommen werden. Der Verfassungsschutz ist zudem angehalten, nur „gerichtsverwertbare Tatsachen“ zu liefern. Aussagen von V-Leuten etwa werden so disqualifiziert. Seit der Einführung dieser Maßnahme ergab sich in Bayern jedoch kein einziger Treffer. Aus diesem Grund halten andere Bundesländer sie für überflüssig: Die niedersächsische Landesregierung etwa hält eine „Gesinnungsabfrage“ für „nicht zielführend, da wenig justiziabel“.
Harsch fällt die Kritik der hessischen Opposition aus: „Anstatt der Justiz eine echte Unabhängigkeit zu gewähren, möchte die Justizministerin Richterinnen und Richter unter die zusätzliche Kontrolle des Innenministeriums stellen“, monierte der rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion, Ulrich Wilken. „Andersdenkenden mit beruflicher Repression zu drohen, führt mit Sicherheit nicht zu einer Stärkung der freiheitlichen Grundordnung – vielmehr ist es ein Schritt zu ihrer Beseitigung.“
Auch zivilgesellschaftliche Verbände kritisieren den Vorstoß. Schon 2016 schrieb der Landesvorsitzende des Richterverbandes, Daniel Saam, in einem offenen Brief an Kühne-Hörmann: „Bereits heute gibt es ausreichende rechtliche Möglichkeiten, verfassungsfeindlich aktive Richterinnen und Richter disziplinarrechtlich zu belangen und ggf. aus dem Amt zu entfernen. Dass die richterliche Unabhängigkeit, die ein hohes Gut unseres Rechtsstaates ist, für einen sachlich nicht gerechtfertigten, anlasslosen Eingriff der Exekutive in die personelle Aufstellung dritter Gewalt herhalten soll, ist in hohem Maße besorgniserregend.“
Die Rote Hilfe warnte davor, dass die Anfrage beim Verfassungsschutz nicht auf Richter beschränkt bleiben, sondern auf Lehrer, Hochschulmitarbeiter und andere Beamte ausgeweitet werden könnte. Die Rechtshilfeorganisation für Linke, seit Jahren selbst unter Beobachtung des Geheimdienstes, weist zudem darauf hin, dass der hessische Verfassungsschutz für seine Arbeit gegen rechte Verfassungsfeinde nicht gerade berühmt ist: Kühne-Hörmann selbst sei daran beteiligt gewesen, „die Verstrickungen des ‚Verfassungsschutz‘-Beamten Temme in die Mordserie des NSU zu vertuschen“. In Kassel wurde 2006 Halit Yozgat, Besitzer eines Internetcafés, vom NSU ermordet. Jüngst beendete der Untersuchungsauschuss im hessischen Landtag seine Arbeit, allerdings ohne die brennendsten Fragen zu klären: Warum befand sich mit Andreas Temme ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes zur Tatzeit am Tatort? Hat der Verfassungsschutz von der Tat gewusst? Die Aussage des damaligen hessischen Innenministers und jetzigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) half nicht weiter.
Unabhängig von der Frage, ob hier ein neuer „Radikalenerlass“ durch die Hintertür eingeführt werden soll, ist fraglich, ob ein solches Instrument geeignet ist, das Richteramt vor sogenannten „Extremisten“ zu beschützen – wie etwa vor Jens Maier. Zudem stehen die Berufungsausschüsse für Richter bereits jetzt in der Kritik, mehr Wert auf das „richtige“ Parteibuch als auf die richtige Eignung zu legen. Die Einführung einer Gesinnungskontrolle durch einen Geheimdienst wird das Vertrauen in diesen Berufsstand sicherlich nicht wiederherstellen können.
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