Zwei-Klassen-Asylrecht

Abschiebung Roma sind von Verfolgung bedroht, dennoch werden sie regelmäßig abgeschoben
Ausgabe 40/2015
Asylanträge von Roma werden kaum anerkannt - schließlich kommen sie aus "sicheren Herkunftsländern"
Asylanträge von Roma werden kaum anerkannt - schließlich kommen sie aus "sicheren Herkunftsländern"

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Vieles, was an Änderungen im Asylrecht geplant ist, geht zu Lasten einer Gruppe: der nach Deutschland geflohenen Roma. Einige der Balkanstaaten, aus denen sie stammen, sind bereits zu sicheren Herkunftsländern erkoren worden, wie etwa Mazedonien. Weitere sollen nach dem vom Kabinett beschlossenen Gesetzespaket nun folgen, beispielsweise der Kosovo. Doch für Roma sind diese keine sicheren Länder. Im Gegenteil: Ausgrenzung und Verfolgung sind hier an der Tagesordnung. Oft können sie nur in illegalen Siedlungen aus Bretterhütten leben. Sie bekommen keinen Zugang zum Arbeitsmarkt und sind oft der Willkür der Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt. Denn Polizei und Justiz verfolgen Straftaten an Roma nicht oder nur sehr zurückhaltend. Der Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung wird ihnen massiv erschwert. Eigentlich wäre das ein klassischer Fall für das deutsche Asylrecht, dessen Sinn und Zweck es ja gerade ist, den Schutz von verfolgten Minderheiten zu regeln. Schließlich gibt es mit dem Paragrafen 3 im Asylverfahrensgesetz eine Vorschrift, die ausdrücklich die Rechte von verfolgten Minderheiten regelt.

Doch in der Praxis werden Asylanträge von Roma aus diesen angeblich sicheren Herkunftsländern so gut wie nie anerkannt und fast alle werden abgeschoben. Bei der sogenannten beschleunigten Bearbeitung von Asylanträgen wird nur die Nationalität, nicht aber die ethnische Zugehörigkeit berücksichtigt. Dabei ist diese in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens nach wie vor von immenser Bedeutung. Hinzu kommt, dass sie in der öffentlichen Debatte immer wieder als „Wirtschaftsflüchtlinge“ gebrandmarkt werden – ein Auskommen gilt offensichtlich als niederer Beweggrund –, die den „Kriegsflüchtlingen“ die Asylplätze wegnehmen. Nur allzu bekannte antiziganistische Stereotype werden damit bedient. Roma-Initiativen wehren sich seit langem gegen diese erneute Diskriminierung.

Aktion am Turm

In Hamburg versuchten Roma-Flüchtlinge auf diese Missstände aufmerksam zu machen: Vor zwei Wochen besetzte die Gruppe „Romano Jekipe Ano Hamburg – Vereinigte Roma Hamburg“ mit Unterstützung der bundesweiten Initiative „Alle Bleiben“ die Hauptkirche St. Michaelis und entrollte ein Banner am Turm. Eine symbolträchtige Aktion, denn der Michel gilt als Wahrzeichen der Stadt.

Eine sichere Heimkehr wird der Gruppe, die sich aus mehreren Roma-Familien aus verschiedenen Balkanstaaten zusammensetzt, voraussichtlich nicht beschieden sein. Seit der Aktion ist sie in Räumen der St.-Michaelis-Gemeinde untergebracht. Unter ihnen sind mehrere Familien mit kleinen Kindern. Viele sind in Deutschland geboren, da ihre Eltern schon über zehn Jahre in Deutschland leben, nur geduldet und immer von Abschiebung bedroht. Diese soll nun mit der Verschärfung des Asylrechts umgesetzt werden. Was sie danach in den Balkanstaaten erwartet, das will sich niemand vorstellen.

„Für Albaner, Kosovaren oder Serben mögen diese Länder sicher sein, aber für Roma sind sie das nicht“, begründet der Aktivist Romano Schmidt die Kirchenbesetzung: „Wenn diese Menschen in ihre Herkunftsländer zurückkehren, dann gibt es dort nichts mehr für sie; ihre Häuser werden längst von anderen bewohnt, wenn sie nicht ohnehin bereits abgerissen worden sind.“ Sobald sie dort angekommen sind, werden sie wieder fliehen, wenn nicht nach Deutschland, dann in ein anderes Land. Auf dem Balkan bleiben, das ist keine Option: Zu unsicher sind die Verhältnisse, zu tief die Wunden aus jahrelanger Verfolgung, auch unter den Augen von EU-Behörden. Viele hohe Politiker, denen Menschenrechtsverbrechen gegen Roma während der Balkankriege vorgeworfen werden, werden nach wie vor von der EU hofiert.

Jüngstes Beispiel ist der Außenminister des Kosovo: Hashim Thaçi verhandelt in Brüssel über eine Annäherung seines Landes an die Europäische Union, während in Den Haag ein Kriegsverbrecherprozess gegen ihn vorbereitet wird. Als Kommandant der kosovarischen Miliz UÇK soll er an Pogromen beteiligt gewesen sein.

Die geplanten Verschärfungen des Asylrechts gefährden nun mit den Roma ausgerechnet jene Gruppe von Menschen, die bereits seit Jahrzehnten in ihren Ländern benachteiligt und verfolgt wird. Solange die Politik dies nicht anerkennen will, wird es immer wieder Aktionen wie die am Hamburger Michel geben.

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Geschrieben von

Till Hahn

Philosoph, Journalist, Übersetzer. @till_hahn

Till Hahn

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