60 Punkte und ein falscher Shakespeare

François Hollande Die Pläne des sozialistischen Herausforderers von Präsident Sarkozy für eine Steuerreform und eine Reindustrialisierung Frankreichs sind zum Verzweifeln vage

Hat François Hollande, der Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialisten, das Zeug, es mit Nicolas Sarkozy – und dazu der Krise – aufzunehmen? Die Frage treibt französische Linke um, seit der über keinerlei Regierungserfahrung verfügende ehemalige Erste Sekretär des Parti Socialiste (PS) im Herbst bei der parteiinternen Vorwahl zum Kandidaten gekürt wurde. Sein Wahlkampf machte danach zwar eher einen chaotischen Eindruck – bei bei Meinungsumfragen liegt er aber trotzdem weiterhin ganz vorn.

Vor knapp einer Woche hat Hollande den ersten wirklichen Testlauf seiner Kampagne mit Bravour bestanden. Bei einer großen Veranstaltung in Paris und einer sehr persönlichen Rede trat er in die Fußstapfen seines Mentors François Mitterrand, des einzigen sozialistischen Präsidenten der V. Republik. Inzwischen folgte mit der Bekanntgabe seines Wahlprogrammes der bisher wichtigste Test. Es umfasst 60 Vorschläge, für die er in den kommenden drei Monaten eintreten wird. Die französischen Wähler, von denen die Hälfte noch unentschlossen ist, werden nun abwägen, welcher Bewerber glaubhafte Lösungsansätze hat, um das Land aus der Misere zu führen und vor allem Arbeitsplätze zu schaffen. Offiziellen Statistiken zufolge sind in Frankreich im Vorjahr weitere 150.000 Arbeitsplätze zerstört worden – zehn Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung haben keine Stelle. Sehnsüchtig auf Hollandes Vorschläge gewartet hat auch das Sarkozy-Lager. Es hofft, ihn als jemanden diskreditieren zu können, bei dem das Geld locker sitzt, obwohl in den öffentlichen Kassen Flaute herrscht. Nun hat Hollande jedoch eine mit Bedacht zusammengestellte Liste präsentiert, die weder zu hohe Erwartungen bei linken Wählern weckt, noch seinen rechten Rivalen Munition liefert.

Radikale Sprache

Mit anderen Worten, seine Versprechen tragen der Schuldenkrise Rechnung. Im Programm, das die Sozialisten vor einem Jahr angenommen hatten, waren noch 300.000 neue und öffentlich geförderte Jobs für junge Menschen vorgesehen. In Hollandes Version sind es nur noch 150.000. Erwartet worden war auch, dass er 500.000 Kindergartenplätze ankündigt – von denen ist nun nichts mehr zu hören. Zudem soll es statt 10.000 neuer Stellen bei der Polizei bloß noch 5.000 geben.

Hollandes Pläne für eine Steuerreform, eine Aufsplitterung des Bankensystems und die Re-Industrialisierung Frankreichs sind zum Verzweifeln vage. In seiner Rede am 22. Januar nahm er starke Worte gegen die Finanzwelt in den Mund, nannte sie den „Feind“ und überraschte so Anhänger und Widersacher mit einer radikalen Sprache, die er bis dahin vermieden hatte.

Starke Worte, vorsichtiges Handeln. Hollande erweist sich als Meister darin, den Kontrast zu stärker links ausgerichteten Kandidaten wie Jean-Luc Melenchon – einem ehemaligen Sozialisten, der sich den Kommunisten angeschlossen hat, um eine radikalere Agenda zu verfolgen – dem Anschein nach abzumildern. Zugleich macht er es der Rechten nicht leicht, zu behaupten, sein Programm sei unrealistisch. Vielmehr handelt es sich um die sozial ausgerichteten, rigorosen Vorhaben eines Mannes, der versprochen hat, innerhalb eines fünfjährigen Mandates das Haushaltsdefizit auszugleichen.

Den Karmelitern beitreten

Reicht das, um im Mai gegen Sarkozy zu gewinnen? Hollande verfügt über einen wichtigen Vorteil: Der derzeitige Amtsinhaber (der noch nicht offiziell seine Kandidatur erklärt hat) ist bei den Franzosen äußerst unbeliebt. Um die Wähler auf seinen Einstieg in den Wahlkampf einzustimmen, hat Sarkozy umsichtig Informationen an die Medien durchsickern lassen – es heißt, er sei auf eine mögliche Niederlage vorbereitet und würde der Politik ein für alle Mal den Rücken kehren, sollte er am 6. Mai unterliegen. Für einen niedrigeren Posten in seiner Partei stehe er nicht zur Verfügung, erklärte Sarkozy auf Nachfrage, eher würde er den Karmelitern beitreten.

Für Stirnrunzeln bei den Wählern dürfte ein von Hollande in einem der lyrischsten Teilen seiner Rede bemühtes Shakespeare-Zitat sorgen. Dummerweise hat er den falschen Shakespeare bemüht, nicht den englischen Dramatiker, sondern dessen modernen Nachkommen Nicholas Shakespeare vom britischen Telegraph. Das war zwar peinlich, aber bislang der einzige Makel einer gut inszenierten Kampagne.

Übersetzung: Zilla Hofman

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Pierre Haski | The Guardian

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