Unzählige Male sah es so aus, als würde die Wahl an den scheinbar unüberbrückbaren Interessenkonflikten, Kontroversen und sektiererischen Streitereien im irakischen Parlament scheitern. Aber dann war es soweit und die Iraker wählten zum zweiten Mal seit dem Sturz Saddam Husseins ihre Volksvertreter. Das Votum von 2005 wurde von den Sunniten boykottiert und der Gewalt am Wahltag folgte ein Abrutschen des Landes in eine Hölle aus sektiererischer Gewalt. Nicht so dieses Mal.
Ich habe in einer Woche den Irak bereist und schreibe diese Zeilen in Kirkuk, nachdem ich die vergangene Nacht in der heiligen Stadt Nadschaf, im Süden verbracht habe. Bei meiner Reise habe ich erfahren, bei den meisten Irakern ergab sich das wichtigste Motiv für ihre Wahlentscheidung aus dem Bedürfnis nach einer Grundversorgung mit Wasser und Elektrizität, nach innerer Sicherheit und nationaler Einheit. Das Sektierertum scheint tatsächlich endgültig der Vergangenheit anzugehören.
Favorit Al-Maliki
Fast überall, wo ich hinkam, war die Unterstützung für einen Mann ganz offenbar – für Premier Nouri al-Maliki, der mit seiner Koalition Rechtsstaat in die Wahlen gegangen ist. Ich habe mit Irakern aus den verschiedensten Teilen der Bevölkerung gesprochen und alle waren der Meinung, Maliki habe es geschafft, dem irakischen Staat wieder Leben einzuhauchen. Er hat sich als Vertreter der politischen Mitte bewiesen, die Milizen der Paramilitärs ausgeschaltet und den Ausbau von Armee und Sicherheitskräften vorangetrieben.
Die Provinzwahlen 2009 gewann er aufgrund seiner Verdienste um mehr innere Sicherheit und das, obwohl die Zahl der Bombenanschläge seit mehr als einem Jahr wieder zugenommen hat. Viele sind nach wie vor davon überzeugt, dass Al-Maliki einfach noch mehr Zeit braucht, um das zu beenden, was er angefangen hat und wollen sehen, wie er die verschiedenen wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen, die seine Regierung angebahnt hat, in Gesetzesform gießt und in die Tat umsetzt.
Die größte Herausforderung für Maliki kommt, besonders im schiitischen Süden, von der Irakischen National-Allianz (INA) – einem breiten Zusammenschluss größerer Gruppierungen, unter ihnen der einflussreiche Oberste Islamische Rat und der freie Block von Muqtada al-Sadr. Zusammengenommen hatte diese Koalition bei der Provinzwahl 2009 nur einen minimalen Rückstand von weniger als einem Prozent auf al-Maliki. Doch verbuchte der zwei große Vorteile auf seiner Seite: die Irakische National-Allianz sitzt mit dem Obersten Rat und den Sadristen als zwei unmöglichen Bettgenossen zusammen, die auf eine Geschichte gewalttätiger Auseinandersetzungen zurückblicken und keinerlei ideologische oder programmatische Berührungspunkte aufweisen. Die Parteien auf der INA-Liste kamen im Grunde nur deshalb zusammen, weil sie jeder für sich nicht in der Lage waren, Maliki die Macht streitig zu machen. Allgemein ist davon auszugehen, dass diese Koalition nach der Wahl wieder zerfällt und erheblich an Stärke einbüßt. Zweitens ist die INA zuallererst eine auf Religionszugehörigkeit bauende Koalition. Man kann davon ausgehen, die Iraker haben mehrheitlich religiösem und ethnischem Sektierertum den Rücken gekehrt. Sie sehen in der Partei Al-Malikis eine Organisation, die ihre Wurzeln zwar im Islam hat, dies aber aus ihrer Politik und ihrem Regierungshandeln heraushält.
Gespaltene Rivalen
Das Wiedererstarken von Säkularismus und Nationalismus hat dazu geführt, dass neben Al-Maliki auch der Name von Iyad Allawi und seiner Irakischen Nationalbewegung immer wieder genannt wurde, wenn ich die Leute fragte, wen sie denn wählen wollten. Allawi ist Schiit, aber gleichzeitig streng säkular, früher Mitglied in der Baath-Partei und 2004 übergangsweise Premierminister bis zur Wahl 2005. Er ist im ganzen Land bekannt und könnte al-Maliki bei den jungen Leuten und säkularen Schiiten einige Stimmen abgenommen haben. Aber Allawi hat auch Sunniten in den Reihen seines Bündnisses, die mit der Vereinigten Irakischen Allianz um die Wähler in den sunnitischen Hochburgen kämpfen musste.
Was diese Wahl wertvoll machte, das ist die sich verändernde politische Dynamik. Ethnische und religiöse Grenzen wurden überwunden, aber innerhalb der religiösen Gemeinschaften öffnen sich neue Gräben, die Raum für veränderte Allianzen und Kompromisse entstehen lassen. Es wird davon ausgegangen, dass kein Block allein regieren kann. Das heißt, dass die Zukunft der irakischen Politik sich über die Wahl hinaus in dem jetzt folgenden Prozess der Koalitionsbildung entscheiden wird.
Übersetzung: Holger Hutt
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