Denke ich an Texas, denke ich an einen Bundesstaat, der Geburten erzwingt. Lässt man eine Schwangerschaft rechtlich so früh beginnen wie dort, dann bietet die neue Sechs-Wochen-Frist für einen Abbruch nur ein so winziges Fenster, dass faktisch ein Verbot besteht.
Attacken auf die reproduktiven Rechte von Frauen sind weltweit an der Tagesordnung. Es ist ein Privileg, einen Termin machen zu können oder – wenn es früh genug ist – die „Pille danach“ zu schlucken und dann einfach weiterzuleben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht leicht, eines anzuerkennen: Auch eine sichere und legale Abtreibung kann traumatisch sein.
Das Buch Larger Than an Orange (Penguin 2021) von Lucy Burns bricht dieses Tabu. Es ist das Tagebuch einer Abtreibung und deren Nac
s Buch Larger Than an Orange (Penguin 2021) von Lucy Burns bricht dieses Tabu. Es ist das Tagebuch einer Abtreibung und deren Nachwirkungen, das die Erzählerin in furchtbarer Einsamkeit zeigt: Wie sie gelegentlich fast zwanghaft von ihren Gefühlen erzählt, wie sie in anderen Stunden durch rechte Anti-Abtreibungs-Memes scrollt. Burns gelingt es, das Trauma aufrichtig einzufangen, dabei aber für besseren Zugang zu Abbrüchen zu plädieren.„Zum Glück haben wir hier Zugang zu sicheren und legalen Abtreibungen“, sagt mir Lucy Burns. „Vielleicht deshalb spricht man ungern über die dunklen Seiten. Es gibt die Sorge, das Recht auf diesen Zugang weggenommen zu bekommen, wenn der Vorgang so prekär beschrieben wird.“ Die Sorge kann man haben. Und vielleicht auch die, dass zu viel ungeschminkte Ehrlichkeit andere Frauen, besonders jüngere, abschrecken könnte? Dennoch ist das Thema wichtig.Auch in dem Film Saint Frances (Regie: Alex Thompson, 2019) treibt eine Frau ab. Sie blutet fast die ganze Handlung über. Und weigert sich doch weitgehend, irgendwelche Gefühle einzugestehen – zum Frust auch des Mannes, mit dem sie geschlafen hatte. Dieser Film und jenes Buch eröffnen einen neuen Raum komplexer Gefühle und Grauzonen, verbunden mit einem entschiedenen Plädoyer für den Zugang zu legalen und sicheren Abtreibungen.Saint Frances ist ein amerikanischer Film. Ich weiß aber nicht, ob die USA für dieses Thema bereit sind. Larger Than an Orange fand dort noch keinen Verlag.Bei uns sind die Bedingungen viel besser, aber bei Weitem nicht ideal. Vor einer Abtreibung muss im Grunde dargelegt werden, dass ein Austragen der Schwangerschaft die Mutter physisch oder psychisch gefährden würde. Burns’ Erzählerin sitzt an einer Stelle einer medizinischen Fachkraft gegenüber. Sie weiß, dass ihr Gegenüber ein paar ganz bestimmte Sätze hören will, damit der Abbruch genehmigt wird. Aber sie tut sich schwer damit.Macht es nun nicht genau diese Verpflichtung, das Trauma einer ausgetragenen Schwangerschaft zu „beweisen“, vielen Frauen so schwer, über das quasi gegenteilige, aber gleichgewichtige Trauma einer abgebrochenen Schwangerschaft zu sprechen? In diesem Sinn kann eine offene Debatte über das Trauma einer Abtreibung das Argument stützen, dass Schwangerschaftsabbrüche einfacher zugänglich sein müssen. Jedenfalls darf man der Rechten nicht länger erlauben, Trauergefühle nach Abtreibungen politisch zu monopolisieren und auszubeuten.2015 beklagte die Autorin Monica Heisey, wie wenig Nuancen die Debatte zulässt. Sie fand es frustrierend, wie oft sie von Frauen mitleidig angesehen wurde, obwohl diese Entscheidung bei Weitem nicht „die schwerste ihres Lebens“ war. Heisey hat recht: Die „Ignoranz gegenüber dem weiten Spektrum der Erfahrungen, die Frauen damit machen, lässt das Thema in der Wirklichkeit zu einem Tabu und in der Abstraktion zu einem flirrenden gesellschaftlichen Streitfall werden“. Es ist nämlich „einfacher, die reproduktiven Rechte einer abstrakten Idee zu negieren“.Statt Frauen weiter in polarisierte Positionen zu zwingen, sollten wir die volle Bandbreite der Gefühle zulassen. Auch Gefühle wie die von Lucy Burns, für die ihre Abtreibung „die schlimmste Erfahrung meines Lebens“ war. Das ist kein einfaches Gespräch. Aber ich denke, wir sind bereit.Placeholder authorbio-1