Abzug heißt nicht Ausstieg

Irak-Exit Die Anzeichen verdichten sich, dass die US-Militärpräsenz im Irak über die im Status of Forces Agreement festgelegte Deadline von August 2011 hinausreicht

Präsident Obama hat vor einem Jahr versprochen, alle Kampftruppen (das heißt, die meisten derer, die sich noch im Land befinden) bis August 2011 aus den Stationierungsräumen zwischen Euphrat und Tigris abzuziehen. Thomas Ricks von der Zeitschrift Foreign Policy will nun in Erfahrung gebracht haben, dass General Ray Odierno, ranghöchster US-Kommandeur in Bagdad, darum gebeten habe, US-Streitkräfte über diese Frist hinaus vorzuhalten. Ihr Einsatzort soll im Norden des Landes liegen.

Fünf Jahre mindestens

Dem Magazin zufolge habe der General gefordert, mindestens eine Kampfeinheit in der von Kurden, Sunniten und Schiiten gleichermaßen bewohnten ölreichen und lebhaft umstrittenen Stadt und Region Kirkuk zu belassen. Die Konflikte um Kirkuk werden allerdings auch bis Ende 2011 nicht beigelegt sein, wenn sie überhaupt jemals friedlich gelöst werden können. Sollte Barack Obama dem Ansinnen von General Odierno stattgeben, dürfte dies als Zeichen dafür gewertet werden, dass die Militärpräsenz im Irak noch gut und gern fünf, wenn nicht sogar zehn Jahre dauern wird. Eine derartige quasi-permanente Stationierung nach südkoreanischem Vorbild könnte sowohl als Gegengewicht zum Einfluss des Iran als auch zum Erhalt der öffentlichen Ordnung als notwenig erachtet werden. Kirkuk wird letzten Endes entscheiden, ob es für den Irak eine Bestandsgarantie als selbstständiger und weiterhin in seinen bisherigen Grenzen existierender Staat geben wird. Insofern scheint eine zeitlich aufgestockte Militärpräsenz, die sich auf die Provinz Kirkuk wie auf die anderen Nordregionen Mosul und Diyala konzentriert, durchaus gerechtfertigt. Dort gibt es bereits gemeinsame, aus Amerikanern, Kurden und Arabern bestehende Militäreinheiten.

Erst nach den Wahlen

Wie wird man diese Optionen der amerikanischen und irakischen Öffentlichkeit verkaufen können? Die verbleibenden 35.000 bis 50.000 US-Soldaten werden voraussichtlich in kleinen Einheiten Bereitschaftsstellungen bevölkern, um einzugreifen, wenn die Situation vollständig aus dem Ruder zu laufen droht. Dies dürfte allen Kritikern eines robusten offensiven Mandats besser zu vermitteln sein als der jetzige Status des US-Korps im Irak. Eine Mehrheit der Iraker könnte diese Präsenz tolerieren, solange sich die Amerikaner aus ihrem alltäglichen Leben heraushalten, im Hintergrund bleiben und die Souveränität der irakischen Sicherheitskräfte nicht unterlaufen.

In politischer Hinsicht wird es unter den Sunniten einige geben, die eine starke US-Präsenz als Gegengewicht zu anderen, ihnen weit überlegenen internen wie externen Kräften für unabdingbar erachten. In jedem Fall tun die Amerikaner gut daran, mit der Verlängerung der Abzugsfrist bis nach den Wahlen am 5. März zu warten, damit keiner ihrer potentiellen oder tatsächlichen Verbündeten Schaden nimmt. Aus diesem Grund ist es unwahrscheinlich, dass die Offenbarungen von Foreign Policy irgendeinen maßgeblichen Einfluss auf dieses Votum haben werden.

Übersetzung: Holger Hutt

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Geschrieben von

Ranj Alaaldin | The Guardian

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