Adiós, Castro

Kuba Mit KP-Chef Miguel Díaz-Canel übernimmt endgültig eine neue Generation von Führungskräften
Ausgabe 16/2021
Viele Kubanerinnen und Kubaner glauben nicht, dass sich unter ihrem neuen Präsidenten viel ändern wird
Viele Kubanerinnen und Kubaner glauben nicht, dass sich unter ihrem neuen Präsidenten viel ändern wird

Foto: Yamil Lage/AFP/Getty Images

Kein überraschtes Raunen ist zu hören, als Raúl Castro auf diesem VIII. Parteitag verkündet, nach der Präsidentschaft auch die Führung der Kommunistischen Partei abzugeben. Wie schon beim höchsten Staatsamt hat den mittlerweile 89-Jährigen erneut Miguel Díaz-Canel (60) beerbt. Ein Abgang und Abschied nach 62 Jahren, Castro war jahrzehntelang Verteidigungsminister, koordinierte den Sicherheitsapparat und übernahm 2008 die Präsidentschaft, als sich Bruder Fidel gesundheitlich angeschlagen zurückzog und als „Máximo Líder“ aus dem Hintergrund agierte.

„Ich glaube nicht, dass es in naher Zukunft wesentliche Änderungen geben wird“, sagt ein Passant vor einem Lebensmittelmarkt in Havanna. „Nicht, solange die alte Garde noch Einfluss auf die kubanische Politik hat.“ Im Übrigen beschäftige ihn die Nachricht mehr, dass es in diesem Markt Hähnchen auch für kubanische Pesos, nicht nur für US-Dollar geben soll. Wohl deshalb hat sich eine Schlange gebildet, die wächst, Gemüter erregt und die Polizei auf den Plan ruft, um Frieden zu stiften.

In seiner Rede vor dem Parteikongress ließ Castro keinen Zweifel an seinem „Vertrauen in die Zukunft des Landes“. Ein Auftritt, der viel über einen Politiker wissen ließ, der jahrzehntelang im Schatten eines extravaganten Bruders stand. Als er 2011 auch Erster Sekretär der Partei wurde, kamen wichtige Wirtschaftsreformen voran. Kleine Privatfirmen waren ebenso möglich wie der Kauf und Verkauf von Häusern oder Fahrzeugen. Castro sagte vor den KP-Delegierten: „Wir müssen mit der Illusion Schluss machen, dass Kuba das einzige Land ist, in dem man ohne Arbeit leben kann.“ Die staatlichen Medien sollten Probleme nicht „durch Triumphalismus und Oberflächlichkeit“ verschleiern.

Als mit den beiden Brüdern an der Spitze die Revolution 1958/59 aus den Bergen der Sierra Maestra auftauchte und siegte, stand der Wandel für Gendergerechtigkeit und die Gleichstellung ethnischer Gruppen. Viele Kubaner glauben, dass diese Maximen längst aufgegeben wurden. Vor dem Kongress veröffentlichte die KP Zahlen, aus denen hervorging, dass der Status von Frauen und Farbigen, gemessen an Spitzenämtern in Partei und Staat, noch unzureichend ist. Was wird Díaz Canel als weißer männlicher Partei- und Staatsschef daran ändern?

Für die Kubaner bleibt die Priorität der Versorgung, nachdem Donald Trump Raúl Castros außenpolitischen Erfolg einer Entspannung mit den USA unter der Obama-Regierung kassiert und die Sanktionen verschärft hat. Derzeit sind Finanztransaktionen in Richtung Insel so gut wie unmöglich und Kreuzfahrten verboten. Der Tourismus wäre entmutigt, würde ihn die Pandemie nicht ohnehin außer Kraft setzen. Selbst hart gesottene Geschäftsleute sind überrascht, dass Joe Biden sich weigert, Trumps Kurs abzuschwächen. „Die Aufhebung der Obergrenze für Überweisungen aus den USA wäre auf keine Interaktion mit der Regierung in Havanna angewiesen“, so John Kavuvitch, Präsident des US Cuba Trade and Economic Council.

Wasser, überall nur Wasser

Trotz des anfänglichen Erfolgs der Kubaner, Covid-19 fernzuhalten und eigene Impfstoffe zu entwickeln, können diese Anstrengungen schwere Verluste im Fremdenverkehr nicht kompensieren. Nach offiziellen Angaben ist die Wirtschaft im Vorjahr um elf Prozent geschrumpft, was zu einem Rückgang der Einfuhren um 40 Prozent führte. Präsident Díaz-Canel zeigte sich auf dem jetzigen Parteikongress trotzdem unbeirrt, man halte an der Devise „Somos Continuidad“ (Wir sind Kontinuität) fest, was bedeutet, dass er sich als „Castrist“ definiert, genauso wie Premier Manuel Marrero Cruz, der die Wirtschaftsreformen Raúl Castros verteidigt. Zuletzt waren Anfang des Jahres die beiden Währungen, der Valuta- und Nationalpeso, zusammengeführt worden, doch hat dies wegen der zu kurzen Warendecke die Inflation begünstigt, die Warteschlangen vor Läden erst recht verlängert. Drinnen wollen die Kunden nicht nur auf endlose Regale mit gefiltertem Wasser schauen – müssen sie aber. Die Geschäfte ähneln dem menschlichen Körper, wenn ihr Angebot zu 70 Prozent aus Wasser besteht.

Ruaridh Nicoll ist Ex-Herausgeber des Observer Magazine

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Ruaridh Nicoll | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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