„Alexa, warum macht Amazon mit Dir 10 Milliarden Dollar Verlust?“

Kolumne Amazon drohen in diesem Jahr durch Alexa Milliardenverluste. John Naughton hat seinen alten Echo Dot aus der Schublade geholt und mit ihm besprochen, was da schief läuft
Ausgabe 48/2022
Der Echo Dot hat sich seit 2016 kaum weiterentwickelt
Der Echo Dot hat sich seit 2016 kaum weiterentwickelt

Foto: Imago/STPP

Neulich las ich auf dem Blog Ars Technica, dass es um Amazons Abteilung für Smart-Home-Geräte nicht gerade zum Besten steht. Der Artikel veranlasste mich dazu, meinen alten, verstaubten Echo Dot herauszukramen. Nachdem ich ihn so eingerichtet hatte, dass er mit dem aktuellen WLAN-Standard kompatibel war, fragte ich: „Alexa, warum bist du so ein Verlustgeschäft?“ Sie antwortete sehr ruhig: „Das hier könnte deine Frage beantworten: Senfgas, auch bekannt als Lost, wird von den Vereinigten Staaten hergestellt.“ Ich bedankte mich feierlich, zog den Stecker und legte den Echo Dot zurück in die Schublade.

Gekauft habe ich ihn am 5. Dezember 2016, nach dem Motto: Doziere nicht über Geräte, die du nicht selbst angeschafft hast. Im Januar 2017 schrieb ich eine Kolumne, in der ich die Ankunft des Geräts als einen entscheidenden Moment in der Entwicklung des Überwachungskapitalismus bewertete. Und warum? Weil sein Zielmarkt das Zuhause war, sah es so aus, als sei es ein raffinierter Landekopf für die Invasion unserer Häuser. Alexa wurde zu einer Art Drehscheibe für andere Geräte des „Internets der Dinge“ – Licht, Thermostate, Heizungen, Türklingeln und so weiter. Offensichtlich hielten auch andere Tech-Giganten das für wichtig – Apple, Google und Facebook versuchten, ihre Home Hubs über unsere Schwelle zu bringen. Und die Menschen schienen Alexa gerne zu benutzen: Kinder ließen sie dumme Dinge sagen, die Älteren benutzten sie als Timer fürs Kochen, um Musik abzuspielen oder Wörter oder Informationen aus Wikipedia abzufragen und so weiter. Aber da sie mir selbst keinen wirklichen Nutzen brachte, schaltete ich sie ab und legte sie weg, in der Annahme, Amazons Wette sei aufgegangen.

Wie sehr kann man sich täuschen? „Amazons Alexa ist ein ‚kolossaler Fehlschlag‘“, titelte Ars Technica, „und auf dem Weg, dieses Jahr 10 Milliarden Dollar Verlust zu bringen“. Business Insider hatte zuvor berichtet, dass Amazons weltweite Digitalsparte, zu der alles von Echo und Alexa bis hin zu Prime Video gehört, allein im ersten Quartal dieses Jahres einen Betriebsverlust von über drei Milliarden Dollar verzeichnete, wovon der „überwiegende Teil“ auf Alexa und damit verbundene Geräte entfiel.

Alexa hat das falsche Geschäftsmodell

Was lief also schief? Im Grunde hat das Geschäftsmodell, das Alexa zugrunde liegt, nicht funktioniert. Das Unternehmen dachte, dass Echo (das offenbar zum Selbstkostenpreis verkauft wurde) die Menschen dazu bringen würde, mehr Dinge bei Amazon zu kaufen. Als in den ersten zwei Jahren mehr als fünf Millionen Geräte verkauft wurden und Alexa eine Milliarde Interaktionen pro Woche verzeichnete, schien das plausibel.

Leider fielen die meisten dieser „Gespräche“ wohl wie meines aus: trivial und ohne weitere Folgen. Im Laufe der Zeit drängten die „intelligenten Assistenten“ der anderen Tech-Giganten auf den Markt. In den USA führt laut Business Insider derzeit Google Assistant mit 81,5 Millionen Nutzern vor Apple Siri mit 77,6 Millionen. Alexa liegt mit 71,6 Millionen Nutzern auf Rang drei. Aber der Gedanke, dass die anderen auch Geld mit ihren Geräten verlieren, wird für das Alexa-Team kein großer Trost sein.

Vielleicht ist es Zeit für die Branche, zu erkennen, dass Invasionen – von Häusern wie von Ländern – nicht immer so gut funktionieren wie erhofft. Hätte ich Alexa nicht zurück in ihre Schublade gesteckt, würde ich sie jetzt nach dem Wikipedia-Eintrag zu Napoleons Rückzug aus Moskau fragen.

John Naughton ist Professor em. für Public Understanding of Science an der Open University. Er ist der Autor des Buchs Von Gutenberg bis Zuckerberg: Was Sie wirklich über das Internet wissen müssen

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Geschrieben von

John Naughton | The Guardian

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