Europa und die USA sind beim Klimaschutz geteilter Meinung. Und das könnte sich im Hinblick auf die bevorstehenden entscheidenden Verhandlungen über eine weltweite Regulierung der Treibhausgase negativ auswirken. Ein neuer Vertrag soll im Dezember auf einem Klima-Gipfel in Kopenhagen diskutiert werden und gilt weithin als letzte Chance, den Planeten vor einem Temperaturanstieg von zwei oder mehr Grad zu bewahren. „Wenn die Vorgaben am Schluss nicht so streng eingehalten werden müssten, bedeutet dies nichts Gutes für die verbleibenden Möglichkeiten, einen Temperaturanstieg zu verhindern“, heißt es aus der europäischen Verhandlungsdelegation. Also sind Zweifel berechtigt, ob Kopenhagen den nötigen Fortschritt bringt.
Der letzte Stoß
UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon meinte Anfang der Woche gegenüber dem Guardian, die Verhandlungen seien ins Stocken geraten und müssten wieder in Bewegung kommen. Im Vorfeld des am 21. September in New York beginnenden UN-Klimaschutztreffens, an dem Regierungschefs aus etwa 100 Ländern teilnehmen, was es so noch nie gegeben habe, so Ban Ki-Moon, halte man „die Zukunft der gesamten Menschheit“ in den Händen. „Wir sind tief besorgt darüber, dass es bisher keine großen Fortschritte gibt. Es ist absolut notwenig, dass die Regierungschefs politischen Willen und Führungsstärke unter Beweis stellen.“
Der Streit zwischen den USA und Europa dreht sich um die Frage, wie die nationalen Kohlendioxid-Reduzierungsziele verifiziert werden sollen. Europa wirbt dafür, Strukturen und Systeme aufrecht zu erhalten, die im Vertrag von Kyoto beschlossen wurden. Die US-Verhandlungsführer informierten ihre europäischen Kollegen darüber, dass ihre Regierung beabsichtige, die Architektur des Kyoto-Vertrages nahezu vollständig durch ein eigenes System zu ersetzen. Das Thema ist hochsensibel. Die Europäer vermeiden es, Obama öffentlich zu kritisieren, da sie anerkennen, dass er sich in einer Art und Weise für den Klimaschutz einsetzt, wie sie Vorgänger Bush stets ablehnte. Sie sind jedoch besorgt, das jetzige Vorgehen der USA könnte Anstrengungen behindern, in Kopenhagen einen tragfähigen neuen Vertrag zu besiegeln.
Unter George W. Bush hatten sich die USA vom Kyoto-Abkommen distanziert, weil darin explizit keine Forderungen an China gestellt wurden. Heute noch ist der Vertrag für Washington obsolet. Dies wissen die Europäer, sie hatten gehofft, Kyoto I käme wenigstens als Fundament für ein neues Agreement in Betracht. Wird aber das darin enthaltene Regelwerk verworfen, dürfte es Jahre dauern, bis ein alternatives Rahmenwerk ausgearbeitet ist. Eine solche Verzögerung könnte den Bemühungen, den Klimawandel zu verhindern, den entscheidenden letzten Stoß versetzen.
Nationaler Schwanz
„In Europa wollen wir auf Kyoto aufbauen, der Vorschlag der USA würde ihm aber de facto völlig den Garaus machen. Müssen wir wieder ganz von vorn anfangen, wird das seine Zeit brauchen. Es könnte dann 2015 oder 2016 werden, bis ein Konsens zustande kommt. Dem Intergovernmental Panel on Climate Change (Weltklimarat/IPCC) zufolge, muss der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen 2015 seinen Zenit erreicht haben, damit noch eine reelle Chance besteht, einen Anstieg von zwei Grad Celsius oder mehr zu verhindern“, heißt es aus der EU. Doch ist nicht sicher, ob die Europäer den Mut aufbringen, den USA großen Widerstand entgegenzusetzen. Deren Position dürfte videle Politiker in den Entwicklungsländern verärgern, die wegen der Auflagen, die dort für die reichen Länder vorgesehen sind, am Modell Kyoto festhalten wollen. Nach dessen Kriterien sind reduzierte Emissionen von Treibhausgasen einem internationalen System unterworfen, das die Berechnung der Ausstöße, den Erwerb von Emissionszertifikaten und den Beitrag einzelner Branchen wie etwa der Forstwirtschaft regelt. Die USA drängen dagegen darauf, dass jedes Land nach eigenen Regeln handelt und allein darüber entscheidet, wie es seine Ziele erreichen will. Wie das genau funktionieren soll, muss noch präzisiert werden, auch wenn der Entwurf eines „Durchführungsabkommens“, das von den Amerikanern im Mai bei der UNO eingereicht wurde, einen Schlüsselparagraphen enthält, nach dem die Emissionsreduzierungen „mit dem nationalen Recht in Einklang gebracht werden müssten“.
Rechtsexperten sind der Auffassung, diese Formel solle die USA davor schützen, zur Anwendung internationaler Maßnahmen gezwungen zu werden, mit denen sie nicht übereinstimmen. Die Umweltrechts-Expertin Farhana Yamin, die am Kyoto-Vertrag mitgearbeitet hatte, sagte: „Das scheint mir rückwärts gewandt. Es besteht die Gefahr, dass der nationale Schwanz mit dem internationalen Hund wedelt.“ Bei alldem wird nicht zuletzt die Angst der Regierung Obama deutlich, einen neuen internationalen Vertrag nicht durch den Senat ratifiziert zu bekommen, wo er eine Zwei-Drittel-Mehrheit brauchte. Seit 1992 haben die USA kein größeres internationales Abkommen über den Umweltschutz mehr gebilligt. Präsident Clinton – er regierte von 1993 bis 2001 – legte das Kyoto-Protokoll nie zur Abstimmung vor, nachdem ein anonymes Votum im Senat keinen Zweifel ließ, dass es aus ökonomischen Überlegungen keine Mehrheit finden würde.
Übersetzung: Holger Hutt
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