Er war der König des City-Revivals, der Schutzpatron des Avocado-Toasts. Mehr als jeder andere Städteplaner galt der US-Amerikaner Richard Florida als der ultimative Verfechter der Gentrifizierung. Jetzt werfen ihm Kritiker vor, zur sozialen Ungleichheit beigetragen zu haben.
Floridas 2002 erschienener Bestseller The Rise of the Creative Class beschwor die Sogkraft junger Kreativer und Tech-Mitarbeiter. „Verschwendet kein Geld für Steuervergünstigungen“, riet er Bürgermeistern weltweit. Lieber sollten sie ihre Stadt zu einem für Hipster attraktiven Ort machen. Die Förderung der „drei Ts“ – Technologie, Talent und Toleranz – sollte die kreative Klasse in Scharen anlocken. Rankings wie der „Bohemian Index“ mach
n Index“ machten seine Botschaft weltweit für viele unwiderstehlich.15 Jahre später hat sich die Sache nicht ganz nach Plan entwickelt. Floridas Erfolgsformel hat den Reichen genutzt, vor allem der weißen Mittelschicht. Sie hat ungezügelte Immobilienspekulationen angeheizt und die von ihm so fetischisierte Boheme vertrieben. Bereut er heute die Prinzipien, die er so lange verfochten hat?Florida Superstar„Mir tut gar nichts leid“, bellt Florida, der eine Lederjacke und darunter ein schwarzes T-Shirt trägt, in einer Hotellobby von Mayfair. Seine vehemente Verteidigungshaltung hat mit den Reaktionen auf sein neues Buch zu tun, The New Urban Crisis – die neue Krise der Städte. Viele haben es als sein Schuldbekenntnis gelesen, die Büchse der Pandora geöffnet zu haben. Nachdem er jahrelang für Loft-Leben und Shabby-Chic-Cafés getrommelt hatte, sieht Florida jetzt auch die Nachteile der Zurück-in-die-Stadt-Bewegung, die sich von London bis San Francisco schmerzhaft auswirken.Wachgerüttelt habe ihn die Wahl des rechtspopulistischen Bürgermeisters Rob Ford in seiner Wahlheimatstadt Toronto 2010, erzählt Florida. Angesichts dieses Backlash in der liberalen, kreativen Stadt war die Spaltung der Gesellschaft nicht zu übersehen: „Wir müssen neue Narrative entwickeln, die Inklusion als Teil von Wohlstand berücksichtigen. Es war die Dienstleistungsklasse – die Klasse, die ich vergessen habe –, die unter die Räder geraten ist.“ In seinem neuen Buch beschreibt er seinen persönlichen und intellektuellen Wandel: „Ich stellte mich der dunklen Seite des Revivals der Städte, das ich einst vorangetrieben und gefeiert habe.“Floridas Consulting-Firma Creative Class Group hatte eine regelrechte Bewegung angestoßen, was ihm Berühmtheitsstatus bei Vortragshonoraren bis zu 35.000 US-Dollar verschaffte. Als Rockstar der Stadterneuerung verbreitete er seine Botschaft in vollen Sälen mit der mitreißenden Überzeugungskraft eines evangelikalen Predigers. Seine Kunden reichen von Austin in Texas über Barcelona, Brisbane, Dublin, Pamplona bis hin zu den Vereinten Nationen.Aber mit Ruhm und Erfolg kam auch Kritik. Man warf ihm vor, ein opportunistischer Verkäufer zu sein, der in jeder krisengeschüttelten Schwerindustriestadt mit dem gleichen Rettungspaket hausieren geht. Mit „Creative Class Struggle“ – in etwa „kreativer Klassenkampf“ – formierte sich sogar eine Kritiker-Gruppe, die nur zu gerne die Höhe des (aus öffentlichen Mitteln finanzierten) Gehalts veröffentlichte, das er als Direktor des Martin Prosperity Institute an der Universität von Toronto erhält und sich derzeit auf über 360.000 US-Dollar jährlich beläuft. Seine Zitate werden auf Twitter unter @Dick_Florida parodiert.Die Kritik kam von beiden Seiten des politischen Spektrums. „In den USA kamen 99 Prozent meiner Kritiker aus der konservativen oder rechten Ecke. Sie bezweifelten, dass Städte von Yuppies, Klugscheißern, Trendsettern und Homosexuellen aufgebaut werden könnten“, erzählt Florida. Aber für jemanden, der sich selbst als Sozialdemokraten einstuft, waren es die Vorwürfe von links, die wirklich schmerzten.Einige nannten seine Theorien elitär, während andere seine Indexe auseinanderpflückten, indem sie Hipster-Kultur in Relation zum ökonomischen Erfolg setzten. „Es gibt viele gute Gründe für Toleranz. Man muss dafür nicht das unbelegte Märchen bemühen, wonach die Boheme städtische Entwicklung vorantreibt“, schreibt der Harvard-Ökonom Edward Glaeser, der „die Ausgebildeten“, nicht die Kreativen für den „Schlüssel zu urbanem Erfolg“ hält.„Meine Kritiker aus dem linken Flügel haben eine Strohpuppe geschaffen“, sagt Florida und klingt ein bisschen verletzt. „Ich bin ganz sicher nicht der Architekt der Gentrifizierung. Ich wünschte, ich hätte so viel Macht. Die Wahrheit ist, dass ich die Dynamik und Dimension der Rückkehr in die Innenstädte unterschätzt habe.“Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten hat ihm schließlich die Spaltung zwischen den Städten und den ländlichen Regionen vollends vor Augen geführt. „Es war die Arbeiterklasse – und das tut mir leid, ich komme ja aus der Arbeiterklasse –, die für diese nationalistische Politik gestimmt hat“, erklärt Florida. „Wenn Marx wieder am Leben wäre, würde er sagen: ,Das überrascht mich nicht. Ich habe die Bauern immer als rückwärtsgerichtete Klasse bezeichnet.‘“Florida zitiert gern Karl Marx. Seine eigene theoretische Position beschreibt er als „eine Fusion aus Marx, dem Ökonomen Joseph Schumpeter und Jane Jacobs“, eine kanadische Stadtkritikerin. „Nach dem Anschlag auf die Twin Towers fragte ich Jane, was wir tun sollten. Sie sagte: ‚Richard, du stellst die falsche Frage. Es geht nicht darum, was wir tun sollten; es geht um sie, die Leute, die in diesen Vierteln leben und arbeiten.‘“The New Urban Crisis zeichnet ein düsteres Bild von einer Entwicklung, die er „Der-Gewinner-kriegt-alles-Urbanismus“ nennt, und beschreibt den Aufstieg von „Superstar“-Städten wie New York, London und Tokio. In den 50 größten städtischen Gebieten leben heute nur sieben Prozent der Weltbevölkerung, während dort 40 Prozent des ökonomischen Wachstums generiert werden. Laut Floridas Zahlen weisen die kreativsten Städte die größte Ungleichheit auf. Städtische Spaltung existiert auch in „Patchwork“-Form, nicht nur als Innenstadt versus Stadtrand. Und die nächste große Krise wird die Vororte treffen.Dabei liest sich das Buch, das wie aus mehreren Artikeln der letzten Jahre zusammengeschrieben wirkt, widersprüchlich. Ungleichheit behindert das Wachstum, so eine These. Gleichzeitig wird der Boom von Städten mit einer großen sozialen Schere wie San Francisco und New York beschrieben. Florida schimpft auf Nimbys (kurz für: Not in My Backyard) oder „städtische Neo-Maschinenstürmer“, wie er sie nennt, die störende Folgen von Stadtentwicklung vor ihrer Haustür bekämpfen. Planungsvorschriften, so Florida, haben „gravierende negative Auswirkungen auf die Wirtschaft“. Gleichzeitig sagt er, Deregulierung sei nicht die Antwort. Während er den öffentlichen Nahverkehr als Lösung propagiert, nimmt er selbst offenbar das Taxi vom Flughafen nach London, wie im Vorwort des Buchs zu lesen ist.Sieben Säulen müsst ihr seinAls ich bezweifle, dass seine Definition des Gegensatzes von kreativer Klasse und Dienstleistungsklasse wirklich hilfreich ist, wenn doch viele Schauspieler nebenher kellern, stockt sein eloquenter Redefluss kurz. „Vielleicht“, räumt er ein. „Aber das eigentliche Problem ist die Verelendung der Dienstleistungsklasse. Natürlich kämpfen auch viele Künstler und Musiker, aber die Kreativen haben die besten Teile der Städte besetzt und die Dienstleister nach und nach verdrängt.“Die Erwähnung von Gentrifizierung löst eine leidenschaftliche Tirade gegen die destruktive Wirkung linker Akademiker im Bereich Stadtplanung aus. „Alles ist heute gleich Gentrifizierung!“, empört er sich. „Studenten kommen aufgelöst zu mir und sagen: ‚Ich habe ein Seminar zu Stadtgeografie belegt und wollte die Stadt verbessern, aber sie sagen, ich will nichts weiter als Gentrifizierung. Eine bessere Schule ist Gentrifizierung, Künstler zu unterstützen ist Gentrifizierung und die Verbesserung der Parks auch. Was kann ich tun? Alles den Bach runtergehen lassen?‘ Dieser akademische Urbanismus ist so gefährlich, weil er machtlos macht. Er ist so abgehoben von der Alltagsrealität.“Was sind dann seine Lösungen? Das Buch schließt mit „sieben Säulen“, mit denen man einen „Urbanismus für alle“ aufbauen könnte. Er fordert bessere Jobs, mehr bezahlbaren Wohnraum, besseren öffentlichen Nahverkehr und eine „globale Anstrengung für stärker prosperierende Städte in den Schwellenländern, wo die Verstädterung rasant ist“. Dagegen ist wenig zu sagen. Auf die Frage nach den Vorteilen einer „Landwertsteuer“, die im Buch erwähnt wird, antwortet er: „Es ist Zeit für neues Denken. Viele von den Lösungen funktionieren vielleicht nicht. Ihr müsst herausfinden, was für euch am besten funktioniert.“Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.