Alles, nur kein Champagner

Weltraumnahrung Von der Tubenpaste zum Luxusmenü: Die Geschichte der Raumfahrt ist auch eine der kulinarischen Durchbrüche. Ein Selbstversuch mit All-Erdbeeren und Weltraum-Eis

Vor 40 Jahren, als Michael Jackson ein trällernder Junge war, der das Pubertätsalter noch nicht erreicht hatte, machte erstmals ein Mensch einen „Moonwalk“. Gebannt starrte die Welt damals auf schwarz-weiße Himmel oder besser gesagt: schwarz-weiße Bildschirme. Gemeinsam war man Zeuge eines Augenblicks, der in die Geschichte eingehen sollte. Kühne Schritte, die letzte Grenze, die Eroberung des Himmels. Und Amerika hatte es den Russen gezeigt.

Als die Eagle gelandet war, setzten Armstrong und Aldrin sich zu All-Delikatessen wie „thermostabilisiertem Cheddar-Käse“ und mit Gelatine überzogenen, dehydrierten Speckwürfeln nieder. Die Gelatine verhinderte übrigens, dass die Krumen durch die Kabine flogen, was eine ernste Gefahr dargestellt hätte, wie in einer großartigen Kubrick-Hommage der Simpsons zu sehen ist). Doch war der Proviant der Appollo 11-Besatzung bereits eine enorme Verbesserung gegenüber früherer Weltraumnahrung. John Glenn, der erste Amerikaner, der die Erde umkreiste, war noch in den Genuss von mehr oder weniger köstlich klingender „Rindfleisch- und Gemüsepaste“ gekommen, die er aus einer Art metallener Zahnpastatube in seinen Mund quetschte.

Bei all dem kriegerischen Schwanzvergleich, der die Geschichte der Raumfahrt stets mitprägte, ist man schnell geneigt, die entstellten Yankee-Hot-Dogs und den unverträglichen eingelegten Fisch der Sowjets mit übertriebenem Patriotismus zu erklären. Doch ist die Fähigkeit den Menschen mental nach Hause zu teleportieren, die Marcel Proust dem Essen zuschrieb, nirgends größer als in den unendlichen Weiten des Weltraums.

Elchfleisch im All

Der erste skandinavische Astronaut Christer Fuglesang servierte der Besatzung der Internationalen Raumstation ISS getrocknetes Elchfleisch. Und als der südkoreanische Racketenpionier Ko San auf den Weg machte, hatte er Kimchi dabei, den fermentierten Kohl, der für die Identität des Lands von zentraler Bedeutung ist. Die Entwicklung der kleinen Dosen hatte Millionen Dollar und mehrere Jahre Tüftelei gekostet, wurde aber als unerlässlich betrachtet. Das Gericht war sowohl nationaler Prüfstein auf der intergalaktischen Messlatte, als auch tröstende Heimweh-Medizin.

Die Wissenschaft von der Entwicklung der Weltraumnahrung und die vielen für Bestrahlung, Dehydrierung, Thermostabilisierung, Gefriertrocknung, Vakuum-Verpackung, Hitzebehandlung und Geschmackstests aufgewandten Arbeitsstunden entbehren allerdings nicht einer gewissen Ironie. Jede sterile, teure Labor-Minute geht auf das zum Scheitern verurteilte und vergebliche Bestreben zurück, Nahrung zu entwickeln, die... fast wie echt schmeckt. Und obwohl die Produkte sich mit fortschreitender Forschungsstand diesem Ziel immer mehr annähern, scheint echtes, vertrautes Essen ganz gemäß der Zenonischen Paradoxien in immer weitere Ferne zu rücken.

Ich muss es wissen, ich habe es nämlich probiert. Ich bin in das Londoner Science Museum gezogen, wo Fertig-Weltraumnahrung erhältlich ist und habe das gesamte gefriergetrocknete Sortiment gekauft: Erdbeeren, Fürst-Pückler-und Sandwich-Eis. Die Erdbeeren waren ganz lecker – von leicht saurer, spritziger Röte und eigentümlich flüchtiger Beschaffenheit. Kaum hatten sie meine Zunge berührt, schwollen sie zunächst an, um sich dann unverzüglich aufzulösen. Das Eis hingegen war absolut ungenießbar: Ziegelklötze aus gepresstem Saccharinstaub von entsetzlich aufdringlichem Geschmack. Ich legte sie in den Garten, wo die Luftfeuchtigkeit sie schnell pappig werden ließ. Noch nicht einmal die Vögel mochten sie anrühren.

Sternekoch für den Astronauten

Dabei kann Weltraumnahrung heutzutage eine echte Gaumenfreude sein. Der Software-Tycoon Charles Simonyi, der 60 Millionen US-Dollar hinlegte, um zweimal an Bord der ISS reisen zu können, hatte Menüs im Gepäck, die Alain Ducasse zubereitet hatte – ein Spitzenkoch, dem Sterne nichts Fremdes sind. Simonyi ließ sich in madeirischem Wein geröstete Wachteln, Confit von der Ente mit Kapern und Grießkuchen mit Aprikosen munden.

Sollte der Weltraumtourismus einmal nicht mehr den Milliardären dieser Welt vorbehalten sein und auch relative Normalbürger den Erdenboden verlassen, wird sich dies auch in Sachen Bordverpflegung bemerkbar machen. (Champagner wird wohl allerdings nie serviert werden – die Bläschen könnten gefährliche Magenprobleme verursachen und würden in jedem Fall beim Öffnen durch die Kabine schnellen. )

In Zukunft scheint es in Sachen Raumfahrt ebenso wie bei der Weltraumnahrung aufwärts zu gehen. Bei einer bemannten Marsmision, wie sie innerhalb der kommenden Generation möglich sein könnte, müssten die Raumfahrer sehr wahrscheinlich ihr eigenes Essen anbauen. Es ist bereits erfolgreich Zwergweizen an Bord der ISS gezogen worden. Aufgrund der nicht vorhandenen Schwerkraft wuchsen die Pflanzen höher als auf der Erde. Möglicherweise werden also bald Obst und Gemüse auf unseren Raumschiffen und vielleicht sogar auf Mond- oder Marskolonien gedeihen. Für die Weltraumnahrung wäre das ein kleiner Schritt von Dosen zu großen Stauden für die Menschheit.

Der digitale Freitag

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Oliver Thring, The Guardian | The Guardian

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