Allianzen in Abwicklung

Syrien Die Staatskrise lässt auch manches Bündnis erodieren, so dass künftig Iran und Irak wieder näher zusammenrücken könnten. Für Israel wäre das ein alarmierender Trend

Das syrische Regime, dem lange eine Schlüsselrolle in der nahöstlichen Machtarchitektur zukam, scheint entschlossen, eine Demokratie-Bewegung, die eindrucksvoll an Tunesien und Ägypten erinnert, mit aller Gewalt niederzuschlagen. In einem Dutzend syrischer Städte wird Tag für Tag die Regierung zur Disposition gestellt. Sollte es Präsident Bashar al-Assad nicht gelingen, seine Autorität zu regenerieren, könnte das ein geopolitisches Beben nach sich ziehen. Syriens Alliierte – Iran, die schiitische Hisbollah im Libanon und die Hamas-Regierung im Gaza-Streifen – würden unter Druck geraten. Für alle drei wäre ein Verlust syrischer Unterstützung äußerst schmerzhaft.

Israel dürfte das ohne Zweifel mit großer Genugtuung quittieren. Es versucht seit Langem, die Achse Teheran-Damaskus-Beirut-Gaza zu stören, die seine regionale Vormacht bedroht und ein nicht hinnehmbares Abschreckungspotenzial verkörpert. Die Euphorie der Israelis könnte freilich von der Angst gedämpft werden, dass auf die Ära Assad ein islamistisches Regime folgt, das gefährlicher ist als die „Front der Standhaften“.

Bevor es so weit kommt, hat das Regime in Damaskus erst einmal die Glacéhandschuhe abgestreift, wie der Innenminister zu verstehen gibt: „Wir haben keinen Spielraum mehr für Nachsicht oder Toleranz, wenn wir das Gesetz durchsetzen.“ Die Hardliner in der Regierung haben in jeder Hinsicht die Oberhand über die Reformer gewonnen. Doch auch die Demonstranten haben sich einem Schlagabtausch des Alles-oder-Nichts angepasst und prangern Verwandte des Präsidenten als gierige Reptile an: den Bruder Maher al-Assad, Kommandeur der Republikanischen Garde, oder den Vetter Rami Makhlouf, einen steinreichen Geschäftsmann. Für viele ist ein Wandel durch Reformen suspekt, ein Wechsel des Regimes allein opportun.

Verbündeter Erdogan

Es scheint unstrittig, dass der Staatschef mit der Rede am 30. März – seiner bislang einzigen öffentlichen Intervention – die historische Gelegenheit verpasst hat, Führung zu legitimieren. Wenn er angekündigt hätte, den Ausnahmezustand aufzuheben, die korruptesten Bonzen vor Gericht zu bringen, den Sicherheitsapparat zu beschneiden und Parteien zu erlauben, die das Baath-Monopol brechen, wäre es ihm vielleicht möglich gewesen, sein Land in Richtung einer Demokratie nach türkischem Modell zu führen, wie ihm das sein Verbündeter Tayyip Erdogan geraten hat. Doch leider blockieren mächtige Klientel-Interessen, die eben von dieser Regierung abhängen, eine derart radikale Zäsur. Stattdessen könnte das Land zu einem immer gewalttätiger ausgetragenen Konflikt verdammt sein, bei dem das militärische ­Potenzial des Systems Assad dominiert, aber dessen politische Integrität weiter schrumpft.

Sinnloser denn je

Dadurch könnten Allianzen erodieren, die vor drei Jahrzehnten geschmiedet wurden, als 1979 Ägypten und Israel einen Friedensvertrag unterzeichneten, die islamische Revolution den Iran umpflügte und drei Jahre später, im Sommer 1982, Israels Armee in den Libanon marschierte, dessen Süden 18 Jahre lang besetzt hielt und zur Hebamme der Hisbollah wurde.

Nachdem es im Jom-Kippur-Krieg 1973 noch an der Seite Syriens gekämpft hatte, wechselte Ägypten die Fronten – was der neue iranische Mullah-Staat gleichfalls tat, nur in entgegengesetzter Richtung, sodass sich Syrien für den Verlust der Partner in Kairo entschädigt fühlte.

Was bleibt von diesen Arrangements? Das Post-Mubarak-Ägypten könnte sich wieder mehr von Israel abwenden, während in Damaskus die Nähe zum Iran, der bei den Mehrheitssunniten in Syrien ohnehin nicht beliebt ist, überdacht wird, sollte Präsident Assad der Staatskrise zum Opfer fallen. Die Regionalmacht Türkei springt als Mediator und Handelspartner gewiss gern in jede Bresche, die sich bietet. Wenn der Rauch über Aufruhr und Aufstand erst einmal gewichen ist, wird Ankara die freundschaftlichen Kontakte zu Syrien kultivieren – egal, wer das Land regiert – und versuchen, Iran als derzeit wichtigsten Kompagnon Syriens zu verdrängen. Dies wiederum könnte Iran und Irak, die zwischen 1980 und 1988 einen erbitterten Krieg gegeneinander geführt haben, wieder Gefallen aneinander finden lassen, wenn doch in Teheran und Bagdad Schiiten regieren. Zusammen würden sie einen beeindruckenden Machtblock bilden, was Amerikas kolossale Kriegsinvestition an Menschen und Geld sinnloser erscheinen ließe denn je.

Patrick Seale ist Autor der Bücher Asad of Syria: The Struggle for the Middle East und Abu Nidal. A Gun for HireÜbersetzung Holger Hutt

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Übersetzung Holger Hutt
Geschrieben von

Patrick Seale | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden