Der lange, einsame Gang ist zu so etwas wie dem Markenzeichen des neuen französischen Präsidenten geworden. Zuerst der imposante Marsch durch den Louvre, mit dem er am 07. Mai seinen Wahlsieg verkündete, dann – in dieser Woche – der von Kameras begleitete feierliche Einzug in den Palast von Versailles, wo er eine Rede vor den versammelten zwei Kammern des französischen Parlaments hielt. Im Laufe dieser neunzigminütigen Ansprache, die sehr an die in den USA üblichen Reden zur Lage der Nation erinnerte, erklärte Emmanuel Macron, er beabsichtige, eine solche Rede von nun an einmal pro Jahr zu halten.
Während der neue US-Präsident den langjährigen Traditionen seines Amtes wenig Respekt zollt – so mancher würde sogar so wei
ncher würde sogar so weit gehen, zu sagen, er verachte sie –, scheint der Neue im Élysée-Palast sich vorgenommen zu haben, die Förmlichkeit, die Distanz, ja gar den geheimnisvollen Nimbus, von dem die französische Präsidentschaft einst umgeben war, wieder aufleben zu lassen. Und nicht nur die der Präsidentschaft. Mit der Einbestellung des Parlaments nach Versailles hat Macron die vom Sonnenkönig erschaffene, üppige Kulisse schon zum zweiten Mal in seiner kurzen Amtszeit zu seiner Bühne gemacht. Das erste Mal empfing er hier den russischen Präsidenten Wladimir Putin. So manch einer findet, dass Macron es mit der Restauration etwas übertreibt. Kommunistische Abgeordnete und die der linken Partei von Jean-Luc Mélenchon haben bereits ihrem Missfallen über die ihrer Ansicht nach unangemessenen Versailles-Spektakel Ausdruck verliehen. Es fielen Begriffe wie „pharaonisch“ und „monarchisch“. Teile der Medien liefen Sturm, während die Karikaturisten des Landes zu Hochform aufliefen.Kritik an Macron ist von besonderem KaliberMacron ist derweil nicht der einzige französische Präsident, der sich in Versailles an das Parlament wendet. Nicolas Sarkozy und François Hollande haben dort während ihrer Präsidentschaft jeweils einmal eine Rede gehalten, Jaques Chirac berief dort nur wenige Monate nach seinem Wahlsieg 1995 einen Verfassungsrat ein, um Maßnahmen bewilligen zu lassen, die deutlich weniger ambitioniert waren als die, die Macron in dieser Woche vortrug. Macron ist auch nicht der erste, der deshalb den Unmut der Parlamentarier auf sich zieht. Denen passte die Reise raus nach Versailles ebenso wenig wie der Symbolismus der Zusammenkunft inmitten von Palästen entthronter Könige. Bei Macron allerdings ist die Kritik von einem anderen Kaliber. Warum genau das so ist, lässt sich schwer sagen. Ein Grund mag sein, dass es für einen so jungen Präsidenten – Macron ist 39 – irgendwie als unangemessen gilt, sich selbst in derartiger Umgebung zu präsentieren und sich dabei noch so wohl zu fühlen, wie Macron es offenbar tut. Ein weiterer könnte darin liegen, dass der Trend zuletzt eher in die andere Richtung ging. Macrons Amtsvorgänger – vor allem Hollande, aber auch Sarkozy – haben zuweilen eine Tugend daraus gemacht, von dem Sockel herabzusteigen, den ihre Vorgänger zu besetzen strebten. Ob nun aufgrund ihres persönlichen Temperaments oder eines deplatzierten Modernitätsempfindes – sie schafften die traditionelle Formalität teilweise ab und verloren so einen Teil der Aura, die das Amt des Präsidenten umgab. So war es, bis Macron kam.Ein Präsident im Stile de GaullesDer eigentliche Grund für die Ablehnung, die Macron für seine Auftritte in Versailles erntet, liegt aber wohl darin, dass es sich um mehr zu handeln scheint als um eine einmalige Angelegenheit: Dass er die Bühne nicht nur nutzt, um selbst gut rüberzukommen, sondern bewusst eine Botschaft darüber aussendet, was für eine Art Präsident er sein will und als was für eine Institution er die französische Präsidentschaft begreift. Macron hat in der Vergangenheit Charles de Gaulle als ein Vorbild bezeichnet – wegen dessen Aura und der Distanz, die dieser zu wahren wusste. Aus seiner Rede in Versailles – die sich durchaus als Antrittsrede seiner Präsidentschaft bezeichnen lässt – wurde deutlich, dass Macron ein Präsident im Stil De Gaulles sein möchte. Nicht zum Selbstzweck, sondern weil er denkt, die Veränderungen, die ihm vorschweben – und für die er sich im Besitz eines politischen Mandates wähnt – bedürften einer Autorität und eines politischen Willens, wie De Gaulle sie auszuüben wusste. Macron will die Zahl der Parlamentsabgeordnten um ein Drittel reduzieren, dem Wahlprozess eine neue verhältniswahlrechtliche Komponente hinzufügen, die Arbeitsgesetze reformieren, den Ausnahmezustand beenden und die Brüsseler Bürokratie zurechtstutzen. Der Herkulesaufgaben sind es damit mehr als genug für eine Präsidentschaft von fünf Jahren. Der sich widerspiegelnde Glanz von Versailles und die von De Gaulle geborgte Autorität können Macron dabei behilflich sein. Doch ohne zeitgemäßere Verbündete wird dieser Präsident auch in Zukunft allein seinen Weg gehen.