Am Abgrund

Brexit Premierministerin Theresa May lehnt das Kompromissangebot von Labour-Chef Jeremy Corbyn ab. Die britische Wirtschaft stellt sich auf ein Fiasko ein
Die Wirtschaft hält nicht viel von iTheresa Mays Hinhaltetaktik
Die Wirtschaft hält nicht viel von iTheresa Mays Hinhaltetaktik

Foto: Aris Oikonomou/AFP/Getty Images

Die britische Premierministerin Theresa May hat Labours Ideen für einen Brexit-Kompromiss eine Absage erteilt und damit einen weiteren möglichen Weg zu einem Abkommen mit der EU verschlossen. Unterdessen warnte der britische Unternehmerverband, weniger als 50 Tage vor dem Austrittstermin bewege man sich bereits am “Klippenrand“.

In ihrem Antwortbrief an Labour-Führer Jeremy Corbyn lehnte die britische Premierministerin vor allem dessen Forderung nach einer dauerhaften Zollunion mit der EU ab. Diese würde Großbritannien daran hindern, eigene Handelsabkommen zu schließen. Dagegen machte May in einem erneuten Versuch, wankende Labour-Abgeordnete auf ihre Seite zu bringen, Konzessionen in Sachen Umweltschutz und Arbeiterrechte.

Mays Brief kommt zu einem Zeitpunkt, da davon ausgegangen wird, dass die Premierministerin zwar offiziell den Abgeordneten im Parlament möglichst bald einen überarbeiteten Brexit-Plan vorlegen will, es aber unwahrscheinlich ist, dass das vor Ende Februar – oder sogar noch später – geschieht.

Letzte Chance

Bis zum 27. Februar könnten die Abgeordneten, wenn dem britischen Unterhaus bis dahin kein finales Abkommen vorliegt, erneut über einen Antrag asbtimmen, der es ihnen erlaubt, einen No-Deal-Austritt zu blockieren, sagte der Minister für Wohnungsbau James Brokenshire am Sonntag. „Wenn bis dahin keine entscheidende Abstimmung stattgefunden hat, also die Sache nicht zum Abschluss gekommen ist, hätte das Parlament immer noch diese Möglichkeit“, sagte er BBC1.

Eingebetteter Medieninhalt

May ist weiter entschlossen, die EU zur Zustimmung zu Änderungen in der sogenannten Backstop-Lösung zu bewegen, die Grenzkontrollen zwischen Nordirland und EU-Mitglied Irland verhindern soll. Die Premierministerin will damit die Unterstützung der nordirischen protestantischen Partei DUP und konservativer Tory-Abgeordneter gewinnen, die zum Scheitern ihres Brexit-Plans beigetragen hatten.

Da die Treffen der Premierministerin in Brüssel in der vergangenen Woche wenig Fortschritte gebracht haben, wurde spekuliert, sie werde auf Corbyns Vorschläge eingehen. Er hatte vergangene Woche ebenfalls in einem Brief fünf Bedingungen dargelegt, unter denen Labour einen Brexit-Plan mittragen könnte.

Erst die Partei, dann das Land

In ihrer Antwort argumentierte May, in ihrem Brexitplan „sei explizit Raum für die Vorteile einer Zollunion“, etwa die Vermeidung von Zöllen. Gleichzeitig erlaube er „über unsere Wirtschaftspartnerschaft mit der EU hinaus die Entwicklung einer unabhängigen britischen Handelspolitik“. Weiter schrieb May: „Mir ist nicht klar, warum Sie die Möglichkeit, über zukünftige EU-Handelsabkommen mitzubestimmen der Fähigkeit vorziehen, unsere eigenen Abkommen zu schließen.“

May räumte ein, dass eine Zollunion ihr möglicherweise eine Mehrheit im Parlament bringen könnte – allerdings auf die ernsthafte Gefahr hin, ihre Partei zu spalten. Unterstützt wurde diese Einschätzung durch die Ankündigung der Chefsekretärin des Schatzsamtes Liz Truss, in einem solchen Falle zurückzutreten. „Das kann auf gar keinen Fall unsere Politik sein“, sagte sie dem Fernsehsender Sky am Sonntag

In anderen Fragen war Mays Brief versöhnlicher, insbesondere bei Umwelt und Arbeitsrechtsfragen. Zwar wandte sie sich gegen Corbyns Idee einer „automatischen Anpassung“ an EU-Standards, da es sich um britische Entscheidungen handele, schlug aber vor, Änderungen „in diesen Bereichen“ dem Parlament jeweils zur Abstimmung vorzulegen.

Am kommenden Donnerstag soll May dem Parlament eigentlich einen neuen Deal vorlegen. Sollte sie das – wie es aussieht – nicht können, will die Regierung offenbar Zeit gewinnen. Sie will einen weiteren Antrag vorlegen, wie im Januar, als die Abgeordneten die Chance vorüber gehen ließen, die Brexit-Deadline zu verlängern oder einen No-Deal-Austritt auszuschließen. Der Donnerstag war als entscheidender Moment geplant, aber die, die hinter den Änderungsanträgen stehen, die Ende Januar nicht durchkamen, wollen weiteren Aufschub.

Die Wirtschaft präferiert Corbyns Vorschlag

Im Gegensatz dazu haben Vertreter der Wirtschaft angesichts der rasch näher rückenden Deadline ein schnelleres Handeln gefordert. Die Chefin des britischen Unternehmerverbands CBI Carolyn Fairbairn sieht Großbritannien schon jetzt angesichts eines drohenden ungeordneten Brexit „in der Gefahrenzone“ kurz vor dem Abgrund. Das Chaos werde nicht nur Arbeitsplätze und Investitionen betreffen, sondern Großbritannien als langfristigem Wirtschaftsstandort schaden. „Am Wichtigsten ist, dass es eine Neueinschätzung darüber geben wird, was für ein Ort Großbritannien für Investitionen sein will“, sagte Fairbairn dem TV-Sender Sky. Laut Fairbairn begrüßten die Unternehmen Vorschläge wie die von Labour: „Die Zeit läuft uns davon. Wir steuern auf den Klippenrand zu. Also brauchen wir diesen Deal.“

Auch US-amerikanische Firmen haben begonnen, vor den Risiken eines No-Deal-Austritts zu warnen. Unternehmen wie der Rüstungs- und Technologiekonzern Lockheed Martin, Online-Reisebüro Expedia und der Gewürzhersteller McCormick haben formelle Börsenmitteilungen über die Folgen veröffentlicht, darunter höhere Kosten und Geschäftsunsicherheit.

Die besten Blätter für den Herbst

Lesen Sie den Freitag und den neuen Roman "Eigentum" von Wolf Haas

Geschrieben von

Peter Walker | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Wissen, wie sich die Welt verändert. Abonnieren Sie den Freitag jetzt zum Probepreis und erhalten Sie den Roman “Eigentum” von Bestseller-Autor Wolf Haas als Geschenk dazu.

Gedruckt

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt sichern

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden