Online-Handel Die kalifornische Stadt Ontario war früher ein Zentrum der Milchindustrie. Heute stehen hier hunderte Lagerhäuser, darunter bald auch das größte Amazon-Warenlager der Welt. Die Folgen sind bedrohlich
In Ontario wird das größte Amazon-Lager der Welt gebaut
Foto: Pablo Unzueta/Guardian/Eyevine/Laif
Erst als die Mauern gebaut wurden, bemerkte Edgar Jaime, dass gegenüber von seiner Gemüsefarm im kalifornischen Ontario das größte Amazon-Warenlager der Welt hochgezogen wird. Allzu überraschend sei es aber auch wieder nicht, sagte Jaime.
In den vergangenen zehn Jahren hat sich das einst ländliche Ontario zu einem der größten Online-Handel-Drehscheiben in den USA entwickelt. Neben dem 381.000 Quadratmeter großen Amazon-Lager, das gerade gebaut wird, unterhält der Online-Riese dort drei weitere Lagerhäuser. Östlich von Jaimes Farm zieht sich eine weitere Reihe von Warenlagern hin: FedEx, Nike und andere Unternehmen liefern von hier aus. Ein weiteres riesiges Logistikzentrum mit einer Fläche von 473.805 Quadratmetern ist nur ein
st nur ein paar Meter weiter die Straße runter in Planung.Die matschigen Felder und Rindermastanlagen rund um Jaimes Haus wurden zubetoniert, um Platz für saubere, graue Boxen und Herden von 18-rädrigen LKWs zu schaffen. „Der Kuhmist ist kaum noch zu riechen.“Rund 45 Autominuten östlich von Los Angeles gelegen verfügt Ontario heute über die größte Lagerfläche in der Region Inland Empire und über eine der größten in den USA. Innerhalb nur weniger Jahre veränderten der Online-Handel und die Logistikbranche nicht nur die Stadtlandschaft, sondern auch die Luft, den Arbeitsmarkt, die Politik und die Lebensweise in der Stadt.Lagerhallen wie Grabsteine auf FamilienerbschaftenDie Veränderungen kamen hier schnell, aber ohne viel Lärm. In Nachbargemeinden wurde öffentlich gegen Lagerhausprojekte gekämpft, die an Schulen und Wohnhäuser grenzen. In Ontario dagegen sagten viele Einwohner:innen, dass sie gar nicht bemerkt hätten, wie viele neue Lagerhäuser auf brachliegenden Feldern und entlang alter Landstraßen entstanden seien – bis sie umzingelt waren. „Allein seit September sind auf meinem Weg zur Arbeit zwei Lagerhäuser entstanden“, berichtete Andrea Galván, die in einem älteren Wohnviertel im Norden Ontarios lebt.Am Ende ihrer Straße wird gerade ein Autobahnzubringer ausgebaut, damit noch mehr Lieferfahrzeuge in die Stadt und hinaus donnern können. Am Himmel dröhnte eine Reihe von Frachtflugzeugen – einige davon amazon-blau. „Es ist zu viel, zu schnell“, sagte Galván.Für die 32-Jährige, die in Ontario aufgewachsen ist und jetzt im Bereich Wohn- und Einzelhandelsimmobilien arbeitet, haben die neuen, schlichten grauen Lagerhäuser etwas von Grabsteinen auf langjährigem Familienerbe. „Ich bin für Stadtentwicklung und dass gebaut wird. Ich bin nicht dagegen, Sachen einzureißen, um etwas Besseres zu bauen“, erklärte sie. Aber sie vermisst das weite öffentliche Land, die riesigen Zitrushaine und die Familienbetriebe, mit denen sie aufgewachsen ist.Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts von holländischen, portugiesischen und baskischen Bauern besiedelt, war Ontario lange eine Stadt, in der vor allem Milchprodukte hergestellt wurden. In den 1980ern war die Gegend eine der ertragreichsten Milch produzierenden Regionen der Welt. Mitte des vergangenen Jahrhunderts begannen dann Familien aus der Region um Los Angeles und dem Mittleren Westen herzuziehen – darunter viele schwarze und Latino-Familien wie die Galváns. Hier fanden sie bezahlbare Häuser mit Zugang zu freier Fläche. „Für das Geld, für das die Leute in L.A. hart gearbeitet hatten, konnte man sich hier deutlich mehr leisten“, erzählte Andreas Vater Juan Galván.16 Prozent der Stadt sind LagerhäuserDoch bald verdrängten die Urbanisierung und der Ausbau der Industrie in der Region die Milchwirtschaft. In den 1980ern, 90ern und Anfang des neuen Jahrtausends verkauften immer mehr Landwirte ihr Land und zogen ins Central Valley – näher heran an die Milch- und Käseverarbeitungsfabriken und andere Landwirtschaftsbetriebe, die bereit waren, Kuhmist als Dünger zu kaufen.Angezogen wurden die Unternehmen von Ontarios Nähe zu den Häfen in Los Angeles und Long Beach – den größten in den USA– sowie einem Netzwerk an großen Autobahnen, an die die Stadt angebunden ist. Die lokalen Politiker begrüßten die Branche und ihr Versprechen, neue Arbeitsplätze zu schaffen.Heute sind auf Ontarios Fläche von 129,5 km² mehr als 600 Lagerhäuser angesiedelt. Ein von Forschern der Robert Redford Conservancy am Pitzer College und dem Beratungsunternehmen Radical Research LLC entwickeltes Kartierungsinstrument geht davon aus, dass die Lagerhäuser insgesamt 16 Prozent der Fläche der Stadt ausmachen.Das größte Amazon-Lager der Welt wird in Ontario gebautFast hundert der Warenlager wurden erst in den vergangenen drei Jahren eröffnet, um den immer weiter wachsenden Hunger der Nation nach Online-Shopping zu bedienen. Viele von Ontarios Einwohner:innen sagten, sie seien erst aufgerüttelt worden, als ihnen klar wurde, dass ihre Stadt bald das größte Amazon-Warenlager der Welt beherbergen könnte.Das fünfstöckige, 376.722 Quadratmeter große Ungetüm entspricht rund einem Fünftel des riesigen Disneyland-Komplexes in Kalifornien. Nach Angaben der Consulting-Firma MWPVL International, die Amazons Vertriebsnetzwerk beobachtet, wird das Gelände Amazons größtes Warenlager weltweit. Sobald es 2024 fertig gestellt ist, sollen zusammen mit Roboteranlagen 1.500 Mitarbeiter:innen beschäftigt werden, um schätzungsweise 125 Millionen Warensendungen jährlich zu versenden.Der Bau ist seit Jahren geplant. Letzendliches Ausmaß und Zweck blieben aber lange unklar. Entworfen hatte das Projekt die Immobilienfirma Prologis, die häufig für Amazon arbeitet. Der Name des Liefergiganten wurde aber offiziell nicht in Verbindung mit dem Projekt genannt. Die ursprünglichen Pläne sahen laut Prologis-Unterlagen einen „Business Park“ mit kleineren Gebäuden sowie „größere Gebäude im Warenlagerstil“ vor.Folgen für die Umwelt und die KlimabilanzLaut einer, mit dem Entwurf eingereichten Umweltanalyse würde der Ausstoß von Treibhausgasen, Feinstaub sowie Stickstoffoxiden in Folge des Projekts ansteigen, und zwar „wesentlich und unvermeidlich“.Dennoch stimmte Ontarios Stadtverwaltung dem Projekt im April 2021 einhellig zu. Anfang 2022 tauchten zudem Pläne für einen noch größeren Bau auf – das 492.386 Quadratmeter große Süd-Ontario-Logistik-Zentrum, das direkt neben dem Amazon-Lager gebaut werden sollte.Umweltschützer:innen wiesen darauf hin, dass die Lieferlastwagen, die das geplante Zentrum anfahren werden, noch mehr CO2-Abgase ausstoßen und damit dem Ziel der Stadt entgegenlaufen, die Klimakrise aufzuhalten. Umweltaktivist:innen wiesen auch darauf hin, dass diese Laster die Luft noch weiter verschmutzen würden. Aber auch diesmal stimmte der Stadtrat dem Projekt mit sieben zu null Stimmen zu.Eine Ära begraben unter BetonFür viele alteingesessene Einwohner:innen der Stadt sind die riesigen neuen Gebäude wie Buchstützen, die das Ende einer alten Ära markieren. „Das Land, auf dem ich aufgewachsen bin, ist mit Beton zugepflastert“, erklärte der 58-jährige, aus einer Milchbauernfamilie stammende Craig Imbach.Imbachs Familie verkaufte ihre Milchfarm bereits im Jahr 1979. Vor zwei Jahren dann wurde auch sein altes Haus abgerissen, um einem Industriekomplex Platz zu machen. Alles, was bleibt, sind bräunlich verfärbte Fotos, die in Imbachs neuem Haus in Rahmen an der Wand hängen, und eine Erbstücksammlung alter Milcheimer. „Ich nehme an, es musste so kommen“, meint Imbach, der in der Baubranche arbeitet. Eine Zeitlang baute er Warenlager, verlegte sich dann aber auf die Arbeit mit schweren Maschinen und arbeite seitdem häufig für Erdgasunternehmen. „Die Entwicklung ist bittersüß“, fügte seine Frau Jerrina hinzu. Die Lagerhaltungsbranche schaffe dringend benötigte Arbeitsplätze und Infrastruktur, erklärte die 54-Jährige. „Aber dabei verlieren wir die Familien-Farmen, die Milchproduktion“, ergänzt Craig.Auch Jahrzehnte, nachdem die Farm seiner Familie verkauft wurde, bringt er es nicht über sich, Milch aus einem Supermarkt zu trinken. „Was kann man machen. Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten“, meint er. Andererseits gibt es in der Stadt geteilte Meinungen darüber, wie dieser Fortschritt aussehen sollte.Die Lage spannt sich anIn Flo's Café, einem klassischen alten Diner in einem unscheinbaren kleinen Haus gegenüber der neuen Gebäudekomplexe, sind die Wände weiter mit Oden an die Geschichte der Region geschmückt. Da hängen Gemälde von glücklichen Holsteinkühen und ein Poster mit holländischen Tulpen – eine Hommage an die holländischen Milchbauern, die um 1900 die Gegend besiedelten.Kürzlich kamen an einem Mittwoch zur Mittagszeit die Männer einer alten Milchbauernfamilie zum Lunchen her, einer von denen, die ihr Land für mehr als eine Million Dollar pro Acre (4047 Quadratmeter) an Warenlager-Baufirmen verkauft hatten. Der Nachbartisch war mit Bauunternehmern belegt, die an einem der neuen Logistikzentren arbeiten.Einige Tische weiter wiederum saß Farmer Randy Bekendam, dessen Familie in der vierten Generation in Ontario lebt, mit lokalen Aktivist:innen zusammen, die sich gegen den Bau neuer Warenlager einsetzen. Abschätzige Blicke und höfliches Lächeln wurden ausgetauscht, dann ließen sich alle ihre heißen Country- und Thunfischsandwiches schmecken.„Das Café ist seit sehr langer Zeit ein Ort, an dem sich die Farmer trafen“, erzählte Bekendam, ein rüstiger 70-Jähriger, der im Ort als „Farmer Randy“ bekannt ist. „Heutzutage kann die Lage hier manchmal etwas angespannt sein.“Bekendam und seine Tochter führen Amy’s Farm – einen rund 40.500 Quadrameter großen, nachhaltig wirtschaftenden Hof mit einem halben Dutzend Rindern für die Fleischproduktion, Milchkühen mit Namen wie Butterblume und Krokette, Schweinen, Pferden, um die hundert Hühner und einer kleinen Herde Zwergziegen. Freiwillige aus dem Ort helfen in der Saison beim Ernten von Obst und Gemüse, Schulklassen kommen, um etwas über Landwirtschaft zu lernen, und Kleinkinder, um die Ziegen zu streicheln.Inseln sauberer LuftIm Zuge des Warenlager-Booms begann Bekendams Verpächter Kaufangebote von Baufirmen zu bekommen, erzählt er. Der Bauer klagt jetzt vor Gericht, um seine Farm zu behalten. Zudem hat er sich einer Gruppe von Politiker:innen angeschlossen, die die Ausbreitung der Lagerhallen in Ontario aufhalten wollen. „Sie hören nicht auf, inmitten von Farmland diese Ungetüme zu bauen“, klagt er. „Und wenn Farmer erst einmal vertrieben sind, bedeutet das in der Regel das Ende für ihren Betrieb.“Bekendam und andere Aktivist:innen wollen, dass zumindest ein Teil des offenen Landes in Ontario für nachhaltige Landwirtschaft und Gemeinschaftsgärten erhalten bleibt – als Inseln sauberer Luft und natürlicher Schönheit. „Das“, erklärte er, „brauchen wir wirklich.“Ontario kämpft schon lange mit einer sehr schlechten Luftqualität. Auch wenn heute manche langjährigen Einwohner:innen Nostalgie für den ätzenden Geruch von Kuhdung verspüren, sorgten die größeren industriellen Molkereien doch früher für Gestank in einigen Vierteln. Zudem stießen sie Methan aus, ein starkes Treibhausgas, das in Kombination mit anderen Umweltschadstoffen bedrohliche Konzentrationen von bodennahem Ozon erzeugt. Über dem Inland Valley sammelte sich der Smog von Güterbahnen, Fabriken und landwirtschaftlichen Betrieben in einer von den umliegenden Bergen gebildeten Schüssel. Generationen von Familien litten an Asthma und immer wiederkehrender Bronchitis.Umweltschutzgesetze trugen dazu bei, dass es den starken grauen Smog heute nicht mehr gibt, an den sich Bekendam und andere langjährige Anwohner:innen aus den 60er und 70er Jahren erinnern. Aber durch die Lagerhäuser hat die Luftqualität sich laut Aktivist:innen erneut verschlechtert.Die Folgen des explodierenden LieferverkehrsForscher:innen der Redford Conservancy und von Radical Research schätzen, dass die endlose Kette von Lastwagen in Ontario jeden Tag etwa 96.000 An- und Abfahrten zu den Lagerhäusern zurücklegt. Dabei entstehen täglich etwa 3,6 Millionen Kilogramm Kohlendioxidemissionen, 6.895 Kilo Stickoxidverschmutzung und 59,4 Kilo Dieselrußpartikel.Laut Daten der University of California in Los Angeles litten in San Bernardino County im Jahr 2020 70 Prozent der Kinder unter zehn Jahren an Asthma. Eine Studie der lokalen, für die Überwachung der Luftqualität zuständigen Behörde von 2021 ergab, dass Menschen, die innerhalb von 800 Metern von einem Warenlager leben, häufiger Asthma und Herzinfarkte haben als im Durchschnitt der Region.Eine gemeinsame Untersuchung der Verbraucherorganisation Consumer Reports und dem Guardian im vergangenen Jahr ergab zudem, dass die negativen Folgen des schnellen Ausbaus der Lagerwirtschaft im Inland Empire und anderen Gemeinden in den USA unverhältnismäßig stark die ärmere und nicht-weiße Bevölkerung treffen.Von Asthma und anderen LungenerkrankungenDie lokale Aktivistin Melissa May versucht seit diesem Jahr, Anwohner:innen gegen das South Ontario Logistics Center zu mobilisieren. Sie selbst kaufe nicht mehr bei Amazon und anderen Online-Händlern, seit ihr klar ist, welche Auswirkungen die Branche hat, erzählt sie. „Mittlerweile sage ich meinen Freunden und Freundinnen in anderen Teilen des Landes: Tut es nicht. Eure Online-Einkäufe haben direkte negative Auswirkungen auf meine Community.“May ist in Ontario aufgewachsen und lebt heute eineinhalb Kilometer östlich von den neuen Gebäuderiesen. Sie kam 2019 zurück in ihre Heimatstadt, um sich um ihren kranken Vater zu kümmern. Davor wohnte sie in Alexandria im Bundesstaat Virginia, nicht weit entfernt von dem Ort, an dem Amazon seine zweite Firmenzentrale baut. Von dort zog sie in die Stadt, in der das Unternehmen sein größtes Warenlager eröffnen wird. Allerdings habe sich die Gesundheit ihrer Familienmitglieder seither verschlechtert. „Mir war gar nicht klar, wohin wir zurückgehen“, erinnert sie sich.May leidet unter Asthma, einer chronisch entzündlichen Lungenerkrankung und einem Lungenemphysem. Seit dem Rückzug machen ihre Krankheiten größere Schwierigkeiten. Auch ihr 12-jähriger Sohn hat Asthma. Wie viele Kinder in der Gegend bekomme er häufig nach dem Spielen im Freien Nasenbluten, erzählte May. In Virginia hatte er das nicht.Während sie spricht, steckt sie ein Minzbonbon nach dem anderen in den Mund – eine von mehreren Vorsorgemaßnahmen, um Asthmaanfälle, Sinusitis und Fahrten zur Notaufnahme zu vermeiden. Sie macht Atemübungen und nimmt Sudafed für ihre Nasennebenhöhlen. „Ich nehme täglich Tabletten, ich nehme Steroide. Ich habe zwei verschiedene Inhaliergeräte.“Wenn sie dieser Tage in ihrem silbernfarbenen Honda CR-V durch Ontarios breite, flache Straße steuert, weist sie auf jedes Warenlager hin, an dem sie vorbeikommt. „Target, Staples, UPS“, zählt sie auf. „Es gibt ein Amazon-Lager und bald noch ein weiteres.“Arbeitsplätze gibt es, gut sind sie nichtIn Reaktion auf die Bedenken wegen CO2-Emissionen und Luftverschmutzung erklärte Amazon, das Unternehmen auf Elektro-Autos und Wasserstoff betriebene Laster und Lieferfahrzeuge umstellen zu wollen. Das Unternehmen sei zudem auf dem Weg, „unsere Operationen bis 2025 zu hundert Prozent mit erneuerbarer Energie zu betreiben“. Amazonsprecherin Barbara Agrait eklärte: „Wir arbeiten hart daran, ein guter Nachbar zu sein und schätzen die Partnerschaft, die wir mit vielen Städten und Gemeinden im ganzen Land haben, darunter auch Ontario.“Auf wiederholte Anfragen des Guardian antworteten Ontarios Stadtratsmitglieder, darunter auch der Bürgermeister und der stellvertretende Bürgermeister, nicht. Bei öffentlichen Sitzungen und in Statements weisen lokale Politiker:innen aber regelmäßig darauf hin, dass die Logistikindustrie der Gemeinde dringend notwendiges Steuereinkommen bringt und mit dem Bau neuer Lagerhäuser häufig notwendige Verbesserungen der lokalen Infrastruktur einhergehen. Etwa werden Straßen repariert und verbreitert, um Lastwagen die Durchfahrt zu ermöglichen, oder auch ältere Abwasser- und Stromleitungssysteme erneuert.Mitglieder des Stadtrats und lokale Gewerkschaftsvertreter:innen argumentieren auch, dass die Lagerhäuser Arbeitsplätze geschaffen haben, und zwar zehntausende. In der gesamten Region hat die Lager- und Transportindustrie rund 214.000 Beschäftigte. Dabei stieg die Zahl der Arbeitsplätze seit Februar 2020 wegen des Online-Shopping-Booms infolge der Corona-Pandemie um 39 Prozent an. Das geht aus einer Analyse des Centers for Economic Forecasting and Development an der University of California Riverside School of Business hervor. Der Bauboom schuf zudem Arbeitsplätze im Bauwesen und damit verbundenen Branchen, während sich Amazon zum größten Arbeitgeber in Inland Empire entwickelte. Andere Jobs dagegen sind rar, wie einige Anwohner:innen beklagten.Zudem kann die Arbeit in den Warenlagern zermürbend sein. Laut einem Bericht des Guardian kommen Verletzungen durch Arbeitsunfälle bei den Lagerarbeiter:innen häufig vor. Zudem monieren lokale Aktivist:innen und Anwohner:innen, dass die Arbeitsplätze in den Lagern und als LKW-Fahrer:innen nicht genug bringen, um sich ein Leben in Ontario leisten zu können, wo der Durchschnittspreis für ein Haus mehr als 500.000 Dollar beträgt.„Wir können das System nicht schlagen“„Ich konnte als Arbeiter genug verdienen, um zu leben und ein Haus abzubezahlen und meine Tochter aufs College zu schicken“, erzählte Juan Galván. „Meine Kinder haben diese Möglichkeiten nicht.“ Er wundere sich immer noch, warum seine Tochter zurück nach Ontario gezogen ist, nachdem sie studiert und in Städten auf der ganzen Welt gelebt hat.Aktivist:innen wiesen auch darauf hin, dass Stadtradtsmitglieder tausende Dollar an Spenden erhalten haben, von Bauunternehmen und anderen, die ein Interesse am Bau der Warenlager haben. Eine Studie der Pitzer-College-Studentin Ian Ragen ergab, dass die Mitglieder des Stadtrats im Jahr 2020 mindestens 160.000 US-Dollar an Wahlkampfspenden von Lagerhauserbauern und anderen Interessenvertreter erhielten. Ontarios stellvertretender Bürgermeister Alan Wapner bekam Spenden in Höhe von 52.000 Dollar von Interessenvertretern der Lagerbranche, wie kommerziellen Immobilienfirmen und Bauträgern, sowie zusätzliche Spenden von einer örtlichen Farmerfamilie, der ein Großteil des Landes unter dem South Ontario Logistics Center gehört hatte.Auf konkrete Anfragen bei Mitgliedern des Stadtrats erhielt der Guardian keine Antwort. Bei den Einwohner:innen jedoch entsteht der Eindruck, dass „sie unsere Gemeinde an diese Bauunternehmer verhökern“, erklärte May. „Egal wie sehr wir uns anstrengen, es wirkt so, als könnten wir das System nicht schlagen.“Viele fliehen vor den LagerhallenEinigen Einwohner:innen von Ontario wird es zu viel. „Ich hatte mir immer vorgestellt, mein ganzes Leben in dieser Gegend zu verbringen“, erzählte die 23-jährige Danielle Cobarrubias, die in Ontario und im Nachbarort Chino aufwuchs. Jetzt lebt sie in einem Neubaugebiet, das zwischen einem Amazon-Sortierzentrum im Süden – in dem ihr Freund früher arbeitete – und dem künftigen Amazon-Hub im Norden liegt.Erst kürzlich eröffnete sie in der Stadt einen kleinen Eisladen. „Ich möchte das alles hier nicht hinter mir lassen“, erzählte sie. „Aber dann denke ich an die vielen Laster, die durch unser Wohngebiet fahren.“Danielle hat einen dreijährigen Sohn, der häufig unter Nasenbluten, Verstopfung und nachts unter Atemnot leidet. Sie will nicht mit ansehen, dass er noch ernstere gesundheitliche Probleme entwickelt.Jaime, dessen Farm genau gegenüber von dem neu geplanten Amazon-Warenlager liegt, will auch fortgehen. Sein Verpächter hat bereits Kaufangebote von Lagerhausentwicklern vorliegen. Er warnte Jaime vor, dass sein Pachtvertrag wahrscheinlich in zwei bis drei Jahren nicht verlängert wird.„Es ist sehr schade, weil das Land hier sehr fruchtbar ist“, erklärte der Farmer. Andererseits leidet er nach einem langen Tag auf dem Feld abends wegen der Abgase und dem Staub, den die vorbeifahrenden Lastwagen aufwirbeln, häufig unter Atemnot. Mit den Lagerhausplanern zu konkurrieren und sich in der Stadt ein eigenes Stück Land zu kaufen, kann er sich auch nicht leisten. „Was kann man machen?“, sagte er. „Die Warenlager sind heute überall.“
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