Ende Juli kündigte Nicolas Sarkozy an, die Regierung plane Roma aus allen „illegalen Siedlungen“ in Frankreich zu vertreiben und alle Roma, die Staatsbürger anderer EU-Länder sind, auszuweisen. Die Ankündigung hat erbitterten Protest seitens verschiedener Menschenrechtsorganisationen und vieler Medien in Frankreich und ganz Europa ausgelöst. Sarkozy sprach in seiner von Stereotypen gespickten Erklärung von einer „nicht hinnehmbaren Situation der Gesetzlosigkeit, die charakteristisch für Roma ist, die aus Osteuropa nach Frankreich kommen“. Das ist purer Rassismus.
Etwa 300.000 bis 500.000 Roma leben in Frankreich. Sie sind französische Staatsbürger und halten an einem nicht-sesshaften Lebensstil fest. Dazu kommen rund 10.000 bis 15.000 Roma, die aus anderen europäischen Ländern eingewandert sind; die meisten von ihnen sind rumänischer oder bulgarischer Nationalität. Angesichts der Tatsache, dass ihnen kein alternativer Wohnraum angeboten wird, ist davon auszugehen, dass Sarkozys Plan die bereits klägliche Wohnsituation von Tausenden von Roma verschlechtern wird. Die Feindseligkeiten seitens der Mehrheitsbevölkerung wird er tendenziell weiter anheizen. Sarkozys Plan ist sowohl nach französischem als auch nach internationalem Recht juristisch fragwürdig, denn beide Systeme beinhalten das Recht auf Wohnung, die Bewegungsfreiheit und vor Diskriminierung.
Wie kommt es also, dass die Roma in Frankreich in illegalen Siedlungen leben? Ein Grund hierfür ist, dass die französische Regierung eine Regelung missachtet, die sie selbst geschaffen hat: Das so genannte Besson-Gesetz aus dem Jahr 2000 fordert vom Staat, angemessene Unterkünfte für Roma zu bauen. 2009 haben wir von Seiten des European Roma Rights Centre beim Europäischen Ausschuss für soziale Rechte (ECSR) eine Beschwerde eingereicht. Der ECSR kam zu dem Schluss, dass Frankreich seinen internationalen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei, da keine ausreichende Anzahl an Bauwagen-Stellplätzen geschaffen und stattdessen Plätze zur Verfügung gestellt wurden, die gefährlich und unhygienisch waren und Roma von anderen Orten mit „unangemessener Gewalt“ vertrieben wurden.
Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) äußerte sich besorgt darüber, dass angesichts einer fehlenden Integrationspolitik viele Roma ohne Registrierung bleiben und nicht in den Genuss bürgerlicher politischer, wirtschaftlicher und sozialer Rechte kommen, obwohl sie sich gemäß EU-Recht frei in anderen Ländern bewegen und niederlassen dürfen. Dies gilt auch für jene Roma, die nun von Sarkozys Plänen betroffen sind. Wir sind nun in Sorge darüber, dass der angekündigte Plan die bereits genannten Probleme verstärken und viele Menschen obdachlos machen wird. Ein solcher Plan ist nicht die dringend nötige Lösung für die Situation der marginalisierten Minderheiten Europas. Und er wird auch nicht zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit beitragen.
Frankreich ist nicht das einzige Land, das ein solches Verhalten gegenüber den Roma an den Tag legt. Es liefert lediglich das aktuellste Beispiel dafür, wie sich in Westeuropa eine humanitäre Krise und Menschenrechtsverletzungen mit der Wahrnehmung einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit vermischen. In Silvio Berlusconis Italien sind sowohl zugewanderte als auch einheimische Roma und Sinti einer ähnlichen Haltung ausgesetzt. 2008 wurde dort wegen der Roma gar der Notstand ausgerufen, seitdem werden sie aus den Siedlungen vertrieben.
"Nicht hinnehmbar"
Vor zwei Wochen hat Dänemark im Schnellverfahren 23 Roma nach Rumänien ausgewiesen, Schweden in diesem Jahr bereits 50. Deutschland 100 Roma im Juni 2009 dafür bezahlt, dass sie nach Rumänien zurückkehrten. Auch Finnland droht angesichts öffentlicher Proteste gegen ein vermeintliches Sicherheitsrisiko mit Ausweisungen. In vielen Fällen führte die Polizei juristisch fragwürdige Operationen durch, nachdem Beamte erklärt haben, Roma hätten eine Veranlagung zur Kriminalität und anderen Formen asozialen Verhaltens.
Die Roma zu Südenböcken zu machen, löst das Problem ihrer Ausgrenzung in ganz Europa nicht. Weshalb verlassen die Roma Rumänien, Bulgarien und andere osteuropäische Länder um in den wohlhabenderen Westen zu kommen? Weil sie zu Hause keine Arbeit haben. Weil ihre Kinder ausgesondert und in Schulen gesteckt werden, die vordergründig für Kinder mit geistigen Behinderungen vorgesehen sind. Weil sie zur Zielscheibe extremistischer Gewalt durch Neo-Nazis werden. Weil ihre Nachbarn, die keine Roma sind, sich ihnen gegenüber mehrheitlich feindselig verhalten.
Wenn die europäischen Staatschefs die Probleme der Roma wirklich angehen wollen, dann müssen sie aufhören, politisch damit punkten zu wollen, dass sie das Problem der öffentlichen Sicherheit in den Vordergrund stellen. Sie sollten sich stattdessen ehrlich darum bemühen, europaweit gleichberechtigte und angemessene Bedingungen für Roma zu schaffen. Sie sollten in den allgemeinbildenden Schulen ein einladendes Umfeld für Roma-Kinder fördern, damit sie ihr Potential voll entfalten können. Sie sollten sich an ernstgemeinten und langfristigen Entwicklungsprogrammen beteiligen, um Arbeitsplätze für die Erwachsenen und angemessenen Wohnraum für die Familien zu schaffen. Sie sollten den Roma den gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung zur Verfügung stellen wie der Mehrheitsbevölkerung.
In jüngster Zeit haben europäische Politiker lautstark eine europaweite Antwort auf die Bedrohung gefordert, die ihrer Ansicht nach von den Roma-Gemeinden ausgeht. Merkwürdigerweise hallt in dieser Forderung der Aufruf zivilgesellschaftlicher Organisationen nach, die eine umfassende Strategie auf EU-Ebene fordern, um das Problem der Ausgrenzung der Roma anzugehen. Bei einem EU-Treffen zum Thema im April, erklärte Viviane Reding, Vize-Präsidentin der EU-Kommission: „Wir müssen zugeben, dass sich die Situation vieler Roma in den vergangenen Jahren verschlechtert hat, all unseren Bemühungen zu Trotz. Das ist schlicht nicht hinnehmbar.“ Angesichts der Tatsache, dass Mitgliedsländer der EU gegen Roma zunehmend aggressiv und allzu oft illegal vorgehen, ist die Zeit gekommen, dass die europäischen Staatschefs ihre Bemühungen verdoppeln müssen, um die Wurzeln des „Roma-Problems“ anzugehen.
Rob Kushen ist geschäftsführender Direktor des European Roma Rights Centre in Budapest, das sich gegen die Diskriminierung der Roma-Bevölkerung einsetzt
Kommentare 10
Das Volk der Roma und Sinti hat man bei der EU-Osterweiterung einfach "vergessen". So wie in Usti nad Labem 1999 versucht wurde, die "Probleme" einzumauern, gibt es ein jedem Land genügend Potential, um gegen "Zigeuner" vorzugehen. Die Rassisten verstehen sich blind.
Müsste es nicht: »...denn beide Systeme beinhalten das Recht auf Wohnung, die Bewegungsfreiheit und SCHUTZ vor Diskriminierung...« heißen?
Schlimme Sache, wie gut, dass das Europaparlament sich engagiert. In Osteuropa ist es übrigens noch schlimmer.
müßte es. aber ich glaube/hoffe, dass auch so jede/r versteht, dass es so gemeint ist.
Mich würde mal interessieren, wie in diesem Zusammenhang die Arbeit der Soros Foundation beurteilt wird.
Erstens die Idee: Durchbrechen des Teufelskreises von Diskriminierung-Armut-Marginalisierung durch Bildung, unter anderem Schaffung einer gut gebildeten "Roma-Elite".
Zweitens der Erfolg dieser Bemühungen.
Aus der Plenardebatte zum Thema "Europäische Roma-Strategie" im Europäischen Parlament, Brüssel, am 3.Dezember 2008:
Daniel Cohn-Bendit, im Namen der Verts/ALE-Fraktion
"Herr Präsident, sehr geehrte Kommission, sehr geehrter Rat! Diese Diskussion ist ein bisschen scheinheilig. Wir müssen doch die Dinge beim Namen nennen. Wir haben bei den Roma ein Problem, und das ist, dass sie in den meisten Gesellschaften abgelehnt werden, und zwar mehr oder weniger stark. Italien wurde genannt, Tschechien und Rumänien kennen Beispiele, wo es richtige Pogrome, rassistische Übergriffe gab.
In dieser Situation müsste die Europäische Union eines tun, nämlich den Roma den Status einer europäischen Minderheit geben. Das heißt, die offizielle Anerkennung ist der erste Schritt gegen Ausgrenzung. Zweitens müssen wir dann mit den Roma eine Strategie entwickeln, die aber zwei Hebel haben muss. Eine Strategie für die Roma, die sesshaft sind, und eine Strategie für die Roma, die auf Wanderschaft sind. Denn man kann nicht die Wandernden zwangssesshaft machen oder die Sesshaften auf Wanderschaft schicken. Das ist ein schwieriges Problem. Ich war in Frankfurt sechs Jahre lang für Roma zuständig und ich weiß, wie schwierig die tägliche Arbeit ist.
Aber das entscheidende Problem ist – und deswegen ist es auch richtig, was über die Organisation gesagt wird: Wenn wir nicht mit den Vertretern von Roma-Organisationen Strukturen aufbauen, werden wir scheitern, weil wir dann immer paternalistisch über ihre Probleme reden und nicht versuchen, mit ihnen ihre Probleme, die sie haben – auch Widersprüche –, zu lösen. Wir sprechen z. B. von Schulen. Es gibt aber Roma-Familien, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken wollen, und andere, die sie schon zur Schule schicken wollen. Das sind unterschiedliche Probleme. Deswegen bin ich auch einverstanden, dass wir aufhören, so positive Wasserstandsmeldungen zu geben wie „Wir sind bemüht“ und „Wir haben Programme“ und so weiter, wo wir doch wissen, dass es nicht klappt.
Zusammengefasst: Erst mal das Problem klarer anerkennen und zweitens die Roma-Organisationen radikaler in den Prozess integrieren!"
Das klingt für mich wirklich interessant, im Gegensatz zum obigen Artikel, der nur wieder altbekanntes wiederholt (wenn auch aus leider neuem aktuellen Anlaß).
die Roma werden ausgewiesen, repartriert, nenns es wie Du willst. Das ist der überwiegende Wunsch der Nationalisten, egal ob links oder rechts, in jedem Land. 70 % in Deutschland 68 % in Frankreich,
Das Thema ist längst durch. In der EU haben die für ein paar Millionen pro Jaht ein Romaprojekt. Seit 7 Jahren. Mit Romas. Gebracht hats nix.
Genau das ist auch meine Frage an den Autor, wenn er schreibt "...ist die Zeit gekommen, dass die europäischen Staatschefs ihre Bemühungen verdoppeln müssen, um die Wurzeln des „Roma-Problems“ anzugehen."
Erstens, welche Bemühungen - wenn es die falschen sind, dann vielleicht lieber halbieren statt verdoppeln ? Oder ganz einstellen ? Was ist das "Roma-Problem" ? Was sind die Probleme der Roma ? Wer sind überhaupt die Roma (sind unter sich sehr heterogen und wer überhaupt dazugehört, sich selbst dazuzählt oder von anderen dazugezählt wird - das geht oft ziemlich auseinander !)
Und an sachichma:
"Gebracht hats nix." - Was genau sollte es denn bringen und was wäre denn sonst geeignet, dieses zu bringen ?
Nicht, daß ich dazu jetzt eine erschöpfende Antwort erwarte. Aber immer nur Artikel zu lesen, in denen die wirklich schlimme Diskriminierung der Roma beklagt wird, ist nicht mehr sehr informativ. Mich würden mal Erfahrungen mit konkreten Projekten interessieren, auch negative Erfahrungen meinetwegen. Deswegen meine Frage nach der Soros-Stiftung usw.
Ach ja, jetzt fällt mir auf: Was sind eigentlich die 70 und 68% ?
@ Nelly bei so viel Fragen lieber gleich selbst mal schauen: www.romev.de/