Ansteckende Paranoia

Populismus In den USA haben ahnungslose, rechtsgerichtete Bewegungen wie die "Tea Party" Tradition. Europa sollte darauf nicht bloß herabschauen

Die europäischen Eliten rümpfen gelegentlich die Nase über den populistischen Stil der amerikanischen Politik und die noch unzivilisierteren Manifestationen des „Kulturkampfes“, die einen Großteil der öffentlichen Debatte in den USA deformieren. Die USA wiederum entgegnen, dass Europa im 20. Jahrhundert drei Mal mit amerikanischem Geld und amerikanischen Armeen von Militarismus und Schlimmerem befreit werden musste.

In dieser Woche startete nun eine weitere selbsternannte Rettungsaktion: Die Vorstreiter der Tea Party Bewegung – mit Schutzpatronin Sarah Palin – gingen im Vereinigten Königreich an Land, um die britische Taxpayers’ Alliance und andere populistische Bürgerbewegungen zu unterstützen, die sowohl den Staat als auch die Steuerbescheide (insbesondere der Wohlhabenden) schrumpfen wollen.

Verschwörungstheorien mit Geschichte

Könnte die Strategie der Tea Party Bewegung auch hier aufgehen? Politik mit Verschwörungstheorien zu machen, hat in den USA eine ausgeprägte Tradition.
Bereits in den Anfangsjahren der Republik wurde in den 1780er Jahren eine Gruppe von naiven Aufklärungsrationalisten, die so genannten Bavarian Illuminati, zum Schreckgespenst. Angeblich machten sie gemeinsame Sache mit den Freimaurern und „diesem Linken“, Thomas Jefferson. Freimaurer, Einwanderer, insbesondere Katholiken, Juden, Kommunisten und natürlich verschiedene ethnische Minderheiten – sie alle wurden von Bürgerbewegungen mit Ansteckungspotential zur Zielscheibe gemacht. Solche Bewegungen gab es auch in Europa und dass die Verfolgung von Minderheiten immer wiederkehrt, daran werden die Roma in Frankreich gerade erinnert. Doch seit der antifaschistischen Immunisierung 1945 hat es in Europa nichts gegeben, was mit McCarthys Hexenjagd in den Fünfzigern oder der Absurdität von rechtsgerichteten Organisationen wie der John Birch Society vergleichbar gewesen wäre. Ganz zu schweigen von der Paranoia, mit der Barack Obama als kommunistisch/sozialistisch/faschistischer Sohn eines Kenianers denunziert wird, der beabsichtigt, die amerikanische Lebensart via Gesundheitsreform zu zerstören.

Die Grundüberzeugung, die laut dem Historiker Richard Hofstadter (1915-70) die „paranoide Art der amerikanischen Politik“ ausmacht, ist eine tiefsitzende Abneigung gegen die Regierung, insbesondere gegen die Bundesregierung im fernen Washington D.C. Über Ronald Reagans Witz, der furchterregendste Satz in der amerikanischen Sprache sei „Ich komme von der Regierung, ich bin hier um zu helfen“, würden Wähler in Kanada kaum lachen, geschweige denn in Europa. Doch den von der Flut geplagten Pakistanern würde ein bisschen mehr Regierung durchaus guttun, so wie einst auch New Orleans.

Doch eine bestimmte Sorte von Amerikanern, die sich selbst als die enteigneten „echten“ Menschen des Kernlands betrachten (in Abgrenzung zu diesen Kosmopoliten in New York und L.A.), hält Washington nicht einfach nur für gierig und korrupt, sondern für eine Verschwörung mit dem Ziel, die Freiheit und das freie Unternehmertum auszuhölen.

Wenn das Land eine starke Führung hatte, dann wurden solche „Know-Nothing“-Bewegungen für gewöhnlich durch Fortschritt und Wohlstand zurückgeschlagen. Doch die amerikanische Mittelschicht (etwa die Facharbeiter) leidet seit Jahrzehnten unter Arbeitslosigkeit und Lohnstillstand und konnte ihren Lebensstandard nur durch günstige Kredite und Billigprodukte aus China aufrechterhalten, bis 2007 die Bankenpleite kam.

Extremismus ernst nehmen

In dieser Situation trifft der grob vereinfachende Populismus der Tea Party einen Nerv. Seltsam nur, dass die Armen in Amerika die Bürde rücksichtsloser Steuersenkungen und der Defizitfinanzierung durch wohlhabende republikanische Präsidenten (beide Bushs) bereitwillig trugen, während Clinton und Obama – die beide aus bescheidenen Verhältnissen kommen – scharf angegriffen werden.

In Europa ist man nicht so leicht geneigt, den Staat oder eine beitragsfreie Krankenversicherung zu hassen, gegenüber den Strippenziehereien reicher Berlusconis und Murdochs ist man resistenter. Auch die Tea Party wird vielleicht zusammenbrechen. Doch angesichts einer allgemeinen Machtverlagerung in Richtung Osten wäre es töricht, den wiederauflebenden Extremismus auf beiden Seiten des großen Teichs jetzt nicht ernst zu nehmen.


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Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Michael White | The Guardian

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