Eine Erscheinung aus dem Trockeneisnebel, die dürren Glieder wirbeln, es zuckt und springt zu einem Schlagzeuggroove, der klingt wie Hammerschläge auf einem Blechdach. DJ Spoko lässt unter seinem knallroten Stirntuch ein breites Grinsen aufblitzen und sticht mit dem Finger in die Luft, während sein Kollege Mujava die grelle Synthie-Melodie eines der größten internationalen Hits der südafrikanischen Musik zum Klingen bringt: Township Funk.
Die Show von Spoko und Mujava war ein Höhepunkt bei diesjährigen Cape Town Electronic Music Festival (CTEMF). Seit vier Jahren bündelt das Festival die kreativen Energien der diversen Tanzkulturen im Land. Spokos Geschichte ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich junge südafrikanische Musiker und DJs mit einer Mischung aus Do-it-yourself-Findigkeit und Unternehmensgeist eine Karriere aufbauen. Aufgewachsen in einer Township bei Pretoria, schnitt er als Zwölfjähriger seine ersten Tracks zusammen und machte sich mit raubkopierter Drumloop-Software auf die Suche nach dem härtestmöglichen Sound. „Ich schlug einfach auf die Trommeln ein“, sagt er. „Kein Bass, nur Schlagzeug. Ich hasse sanfte Musik, ich liebe Krach.“
Erst testete er sein „Gift“, wie er es nennt, in einer Kaschemme in der Nachbarschaft, dann verteilte er Stücke an die Fahrer der Minibus-Taxis in der Township: „Wenn den Taxifahrern etwas gefällt, drehen sie es auf. So donnert mein Zeug auf dem Weg in die Stadt und zurück.“
Momentaufnahmen
Als kleine Einnahmequelle verkaufte Spoko Sets von je zehn Tracks zu 100 Rand (etwa 7,50 Euro) als Party-Soundtrack an örtliche „Gangster“. Diese Förderer gaben seiner Musik einen Namen: Bacardi House, weil sie sich perfekt für Raver eignete, die sich mit weißem Rum aufputschten.
Spoko ist eine von vielen faszinierenden Gestalten im Dokumentarfilm Future Sound of Mzansi über die südafrikanische Elektro-Tanzmusik-Szene. Co-Regie führte der in Soweto geborene Rapper und Produzent Spoek Mathambo. Untertitel des Films: „Welcome to the apartheid afterparty“. In den „letzten zwanzig Jahren hatten wir viel Grund zum Feiern“, erklärt er. „Dass wir zum ersten Mal eine Demokratie waren, dass wir uns eine neue, eigene Kultur schaffen konnten. Das ist nicht irgendeine Party, sondern eine Befreiungsparty.“
Mit seinem Musikerkollektiv Fantasma bringt Mathambo demnächst ein Album heraus, das traditionelle Maskandi-Rhythmen der Zulu mit Hip-Hop, Postpunk und Township House verknüpft. Im Film betont der gefeierte Deep-House-DJ Black Coffee, dass in Südafrika elf verschiedene Sprachen gesprochen werden: „All diese Sprachen haben ihre eigenen Kulturen, und all diese Kulturen ihre eigenen Klänge und Gesangsstile.“ Das CTEMF 2015 zeigte eine Momentaufnahme von dieser Vielfalt: von den ungeschliffenen Jack-Tracks der MunniBrotherz über die erlesen-ätherischen Klanglandschaften von Felix Laband und den hypnotisch-tribalistischen House von Jumping Back Slash bis zu den psychedelisch zerstückelten Beats von Christian Tiger School.
In den letzten Jahren haben südafrikanische Musiker der elektronischen Tanzmusik neue Räume erschlossen und damit eigenständige Spielarten wie Durban Gqom und Shangaan Electro hervorgebracht. Doch das größte Geräusch in diesem Land ist Housemusik. Allgegenwärtig puckert sie aus Taxibussen, Kneipen, Grillrestaurants, und auf den Township-Partys tanzen Tausende zu Deep-House-Rhythmen, die in Europa oder den USA als „Underground“ gelten würden. „House gehört hier zur Kultur“, sagt Fosta, ein DJ aus einer Township bei Kapstadt. „Es ist die Musik der neuen Generation in Südafrika. Schon Achtjährige wollen DJs werden. Es ist das Einzige, was die Leute haben, um glücklich zu sein und ihre Gefühle auszudrücken.“
Feierlich ist die Stimmung allemal, an einem schwülen Sonntag im Mzoli’s, einer Grillbude in der Township Gugulethu, wo Horden von Nachtschwärmern sich mit Fleisch und Bier stärken und dabei mit den neuesten House-Hymnen aus der Gegend beschallt werden. Max und Sello, die als Rap-Duo unter dem Namen Ruffest auftreten, bringen den DJs im Mzoli’s ein paar neue Stücke zum Testen vorbei. Ruffest macht vor allem Kwaito – einen tiefliegenden Party-Groove, der gegen Ende der Apartheid das ganze Land erfasste und Elemente von House und Hip-Hop verbindet. „Kwaito begann, als die Freiheit kam, und es gab den Leuten die Freiheit, zu sagen, was sie sagen wollten, was sie ändern wollten, was sie tun wollten“, sagt Sello.
Echter Wandel in Sicht
Die Ruffest-Jungs sind ein Beispiel dafür, wie Musiker aus den Townships unter widrigen Umständen erfolgreich sein können. Seit er in einen Schusswechsel zwischen verfeindeten Gangs geriet, sind Max’ Beine gelähmt. „Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort“, sagt er. „Aber ich habe nicht aufgegeben.“ Ruffest profitierte von einem Angebot des angesehenen House-DJs Oskido: Er stellt Talenten aus Armenvierteln kostenlos eine Studio-Grundausstattung zur Verfügung.
An hedonistischen Raves herrscht in Südafrika kein Mangel, doch das CTEMF geht über das Tanzen hinaus und bietet in den Townships Workshops für angehende Musiker und DJs an. Auswärtige Headliner wie Four Tet, Skrillex oder Richie Hawtin haben in den letzten Jahren alle auch Vorträge gehalten. Festivalleiter Duncan Ringrose: „Musik ist das Mittel, das Ziel aber ist, sozialen Zusammenhalt zu schaffen, Mauern zu durchbrechen. Noch immer ist das Land geteilt, an Klassen- wie an Rassengrenzen entlang. Das gilt auch für die Clubszene.“ Viele DJs und Musiker sind heute zuversichtlich, dass sie Akteure eines echten Wandels sein können. „Es ist auf jeden Fall eine ganz besondere Zeit“, sagt DJ Culoe De Song, ehe er am Abschlussabend mit seinem Afro-House-Set loslegt.
Übersetzung: Michael Ebmeyer
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