Armee am Pranger

Ägypten Die Militärregierung versuche Christen und Moslems gegeneinander aufzubringen, schreibt die Schriftstellerin Ahdaf Soueif. Die Zivilgesellschaft verlangt Aufklärung

Es ist also schon wieder passiert: Ägyptische Christen sind getötet worden und der Äther ist voll mit Gerede von „sektiererischer Gewalt“ und dem Fehlen von „Recht und Ordnung“. Und das ist genau, wozu der Äther dienen soll. Die jüngsten Gräuel, die 25 Tote gefordert haben, sind nur eine weitere Episode in dem schmutzigen Drama, auf dessen Ende wir bei der Revolution gehofft hatten. Es ist unglaublich, dass es sich fortsetzt und immer noch die gleichen, überkommenen Reaktionen hervorruft.

Heute wissen wir, dass hinter einem früheren Massaker – dem Bombenanschlag auf die Kirche der Zwei Märtyrer in Kairo im Dezember, bei dem 21 Menschen getötet wurden – Mubaraks Innenministerium steckte. Abscheulich ist ein zu schwaches Wort dafür, dass eine Regierung ihre eigenen Bürger ermordet, um sie gegeneinander aufzuhetzen. Doch viele Moslems kamen, um mit ihren christlichen Freunden die Weihnachtsmesse zu feiern.

Auch die Morde vom Sonntag waren nicht religiös motiviert. Es war die Armee, die 25 ägyptische Bürger tötete und 310 verletzte. Es scheint klar, dass die Soldaten glaubten, sie würden von christlichen Demonstranten angegriffen. Und es scheint ebenfalls klar, dass ihnen diese Unwahrheit bewusst vermittelt wurde. Das staatliche Fernsehen strahlte eine Aufforderung an alle Muslime aus, „die Armee zu beschützen“. Drei Mitarbeiter distanzierten sich daraufhin von der Politik des Senders. Wer bestimmt diese Politik?

In den vergangenen zwei Wochen sind die Repräsentanten der ägyptischen Zivilgesellschaft zusammengekommen und haben eine einvernehmliche Erklärung an das Militär abgegeben: Wir wollen eine zivile und repräsentative Regierung, wir lehnen die Notstandsgesetze ab und wenden uns dagegen, dass Zivilisten vor Militärgerichte gestellt werden. Sie haben dem Obersten Rat der Streitkräfte vier mögliche Zeitpläne vorgeschlagen, wie bis Mitte 2012 eine zivile Regierung eingesetzt und das Militär wieder in den Kasernen verschwunden sein könnte.

„Wir sind alle Ägypter!“

Und jetzt passiert so etwas. Wer steckt dahinter? Wer arbeitet daran, den Eindruck zu erwecken, die Gesellschaft sei religiös gespalten, um so die Revolution scheitern zu lassen?

Auf dem Tahrir wurde ein zentrales Element der Revolution mit einem Kreuz, das sich in einen Halbmond schmiegte, sowie einem Ruf zum Ausdruck gebracht: „Sag es Mina, sag es Hussein: Wir sind alle Ägypter hier.“ Einer der jungen Männer, die am Sonntag ermordet wurden, heißt Mina. Mina Daniel. Mein Neffe, der Muslim ist – wobei das eigentlich keine Rolle spielen sollte – betrauert ihn in einem Tweet als „meinen Bruder, mein Ebenbild. Wir können wir weiterleben?“

Wir leben weiter. Und wir kämpfen weiter. Jeder von uns setzt nun alles daran, die Wahrheit herauszufinden und sie öffentlich zu machen. Das ist äußerst schwierig und unangenehm. Die jungen Freunde der Ermordeten bewachen deren Leichname und kühlen sie mit Eis. Sie wollen die Staatsanwaltschaft zu Obduktionen zwingen. Sie versuchen, die Familien zu überreden, ihr Einverständnis zu geben, und besorgen vertrauenswürdige Ärzte für die Untersuchungen.

Wir kennen die Wahrheit und wir werden sie beweisen.
Unsere Märtyrer und unser Land verdienen nichts Geringeres.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Ahdaf Soueif | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden