Assads eiserne Reserve

Syrien Die entscheidende Frage lautet in Syrien: Wie viel staatstragende Loyalität wird nötig sein, um das Regime weiterhin über Wasser zu halten?

Einige meinen, der Versuch von Präsident Baschar al-Assad, die Krise in Syrien militärisch zu lösen, sei zum Scheitern verurteilt. Egal, welche Zentren des Widerstandes er überrennen lasse – wie zuletzt Baba Amr in der Stadt Homs –, den Sturz seines Regimes könne er nicht aufhalten. Doch gibt es Beispiele aus jüngerer Zeit, in denen arabische Regierungen solche Aufstände niedergeschlagen haben. Assad muss sich nur des gewaltsamen Vorgehens gegen die Muslimbruderschaft erinnern, für das sich sein Vater Hafez zwischen 1976 und 1982 entschieden hatte. Es sollte 60.000 Menschen das Leben kosteten.


Auch der Triumph des irakischen Machthabers Saddam Hussein über den schiitischen Aufstand 1991 oder der Sieg der algerischen Armee im Bürgerkrieg von 1992 bis 2000 (200.000 Tote) könnten Assad darin bestärken, weiter auf die militärische Karte zu setzen. Die Frage ist, ob sich die Bedingungen seinerzeit im Irak und in Algerien so gravierend von den derzeit in Syrien herrschenden Umständen unterscheiden, dass Hoffnungen der Opposition berechtigt sind. Oder hat Assad Recht, wenn er die Geschichte auf seiner Seite wähnt?

Lange Zeit erinnerten Demonstrationen in Syrien an den Aufruhr der Schiiten gegen Saddam Hussein: eine spontane, unkoordinierte, heftige Rebellion. Doch waren die irakischen Aufständischen vor zwei Jahrzehnten offenbar in einer stärkeren Position als die syrischen heute. Es gelang ihnen – zumindest für einige Zeit –, weite Teile des Südirak zu kontrollieren. Bald aber hatte der loyale Kern von Saddams Republikanischer Garde das verlorene Terrain zurückerobert und Zehntausende getötet.

Baschar al-Assad setzt gleichfalls auf die Loyalität der Armee, besonders auf die Brigaden seines Bruders Rifaat und die IV. Division unter dem Kommando seines Bruders Maher. Selbst wenn Katar und Saudi-Arabien die Freie Syrische Armee (ASL) der Rebellen bewaffnen, dürften diese kaum auf Augenhöhe mit den Regierungstruppen kämpfen. Das wäre jedoch für einen Sieg unumgänglich, solange sich nicht relevante Teile von Assads Truppen samt Ausrüstung zum Überlaufen überreden lassen.

Noch tragfähig

Im Irak 1991 wie in Algerien 1992 war entscheidend, dass der Kern des Regimes unter dem Druck des Widerstandes zusammenhielt. In Algier hatte sich das Militär sogar an die Macht geputscht, erhielt aber genügend Beihilfe aus dem Establishment, sodass der staatliche Betrieb die Jahre des Bürgerkrieges unversehrt überstand. Für den Augenblick treffen diese Merkmale auch auf das Regime in Damaskus zu. Obwohl dessen soziale Basis schrumpft – ein staatstragendes Milieu, gebildet durch religiöse Minderheiten, die von Assads Alawiten geführt werden, steht loyal oder neu­tral zum Regime. Zudem ist die Armee nicht zerbrochen. Desertiert sind bislang eher Rekruten als Offiziere oder ganze Einheiten. Und die Mittelschichten von Aleppo und Damaskus rühren sich kaum – sie warten ab. Während Gaddafis Libyen recht rapide auseinanderfiel, scheint der syrische Staat nach wie vor intakt. Andererseits gibt es Umstände, die Assad zum Verhängnis werden können, weil die internationale Abkehr von seinem Regime heute viel kategorischer ausfällt, als das einst bei seinem Vater der Fall war. Außerdem garantierte unter dem Präsidenten Hafez al-Assad eine strikte Medienkontrolle, dass es nicht ansatzweise eine so ausführliche Berichterstattung wie heute geben konnte. Der Nachschub an brutalen Youtube-Videos entfacht derzeit nicht nur die Empörung des Auslandes – er bereitet auch den Boden für eine Intervention oder eine konzertierte Aktion zur Bewaffnung der Rebellen.

Die entscheidende Frage lautet, ob Assad eine kritische Masse der öffentlichen Meinung auf seiner Seite halten oder zumindest verhindern kann, dass sie sich offen gegen ihn wendet. Algeriens Regierung hatte es vor 20 Jahren mit einer glaubwürdigen Bedrohung islamistischer Hardliner zu tun, deren Gräueltaten ihr Rückhalt verschafften. In Syrien besteht das Gros der Freien Syrischen Armee nicht aus Islamisten. Selbst wenn die vom Regime repräsentierte alawitische Minderheit loyal bleibt, weil sie Vergeltung und Verlust von Privilegien fürchtet – wie viel Baba Amr wird die schweigende Mehrheit der Syrer noch hinnehmen? Für den Moment scheinen die Säulen des Regimes noch tragfähig.

Chris Phillips lehrt internationale Politik an der Londoner Queen Mary Universität

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Geschrieben von

Chris Phillips | The Guardian

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