Das „Tor nach Europa“ will Griechenland nicht sein, wenn es zu einer möglichen Flüchtlingswelle aus Afghanistan kommt, deshalb sollte sich die Europäische Union zu einem vereinten Vorgehen aufraffen. Premier Kyriakos Mitsotakis hofft das, und Migrationsminister Notis Mitarachi wird deutlicher: „Es kann nicht sein, dass Hunderttausende Afghanistan verlassen, nach Europa wollen und wir sie dann auffangen.“ Derzeit wird eine 40 Kilometer lange Mauer entlang der Grenze zur Türkei gebaut, dazu ein Überwachungssystem mit Kameras, Radar und Drohnen installiert. Asylbewerber aus Afghanistan – das waren nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks bisher in diesem Jahr 45 Prozent der Gestrandeten auf den griechischen Inseln.
Türkei als „sicherer Drittstaat“
In Juni bereits hatte Athen die Türkei als „sicheren Drittstaat“ für Menschen aus Afghanistan, Syrien, Somalia, Pakistan und Bangladesch eingestuft. Dadurch war es rechtlich nicht länger zulässig, in Griechenland einen Asylantrag zu stellen, wenn zuvor die Türkei als Transitland passiert worden war. Die Entscheidung löste einen Aufschrei bei NGOs und Menschenrechtsgruppen aus. Das International Rescue Committee und der Greek Council for Refugees machten in einem gemeinsamen Brief darauf aufmerksam, dass die meisten Menschen aus Ländern wie Afghanistan einen „Anspruch auf internationalen Schutz“ hätten. Daher müsse dringend zurückgenommen werden, was man in Athen beschlossen habe.
Gulbuddin* lebt in einem Flüchtlingscamp auf Lesbos, während ein Teil seiner Familie – darunter die Eltern – noch in Kabul ausharrt. Vor Wochen bereits wurde der Asylantrag des 21-Jährigen von den griechischen Behörden abgelehnt. Wie viele seine Landsleute hofft er nun, dass seine Migrationsansprüche neu bewertet werden. „Wir hoffen sehr, dass die Situation in unserer Heimat das Verfahren beeinflusst“, meint Gulbuddin. „Ein positiver Bescheid würde eindrucksvoll bestätigen, dass wir dorthin nicht zurückgehen können.“
Marion Bouchetel vom Büro für Rechtsberatung auf Lesbos nennt Griechenlands Entscheidung, die Türkei als sicheres Drittland einzustufen, „eine missbräuchliche und gefährlich falsche Anwendung der im EU-Recht vorgesehenen Drittstaaten-Option“. Die Türkei sei kein sicherer Drittstaat für Migranten und biete Asylbewerbern nicht die Möglichkeit, als Geflüchtete anerkannt oder vor Abschiebung geschützt zu werden. Bereits jetzt kämen fast 75 Prozent der Bevölkerung im Flüchtlingscamp Mavrovouni auf Lesbos aus Afghanistan, größtenteils Menschen, deren Asylgesuch bereits abgelehnt wurde. Angesichts der schwierigen Lage am Hindukusch hege sie keinerlei Zweifel, dass bald noch mehr Menschen von dort auf der Suche nach Sicherheit über die östliche Mittelmeerroute ihr Heil in der Türkei und Griechenland suchen würden.
Immer wieder sammeln sich dieser Tage Demonstranten vor dem Parlament in Athen, um gegen die Machtübernahme durch die Taliban zu protestieren. „Wir sind hier, um unsere Stimme für die Afghanen zu erheben, die noch im Land und in Not sind“, sagt der 32-jährige Naquib, ein Geflüchteter, der eine Zeitlang im Moria-Camp auf Lesbos gelebt hat. „Außerdem erheben wir hier unsere Stimme für die Frauen zu Hause. Die Taliban respektieren Frauenrechte garantiert nicht.“ In Afghanistan arbeitete Naquib für die US-Armee und Nichtregierungsorganisationen. Es sei wichtig, dass Europa bereits Hilfsbedürftige aus Afghanistan aufgenommen habe, um Leben zu retten. Dies entbinde es jedoch nicht von der Verantwortung, sich mit den Taliban auseinandersetzen zu müssen.
Camp ist besser als der Tod
Für die 17-jährige Parwana Amiri, die in einem Zelt außerhalb von Athen lebt, steht fest: „Jetzt wird niemand mehr behaupten, dass afghanische Geflüchtete Wirtschaftsmigranten sind. Das Leben aller wird Gefahren unterworfen. Es ist äußerst schwierig für Frauen und Mädchen. Die Leute versuchen, hierher zu kommen, aber die Chancen, dies zu tun, schwinden, weil die Taliban viele nicht mehr einfach aus dem Land lassen.“ Sie hofft auf die Solidarität der europäischen Staaten. „Griechenland sagt, dass es nicht vorbereitet ist und keine ähnliche Herausforderung wie 2015 erleben will. Das bedeutet, dass andere EU-Mitgliedsstaaten mit der Aufnahme beginnen müssen, jedoch Griechenland nicht davon entbunden ist, Afghanen wenigstens einen temporären Aufenthalt zu gönnen. Wir haben in den Flüchtlingscamps gelitten, aber es ist immer noch besser, als dem Tod ins Gesicht zu sehen.“ Eine Anfrage an den griechischen Migrationsminister zu den Motiven, die Türkei als sicheres Refugium für Menschen aus Afghanistan zu betrachten, blieb unbeantwortet.
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* Name geändert
Kommentare 6
Ach Katy, schon mal mitbekommen 1989 wurde zum letzten Mal eine Mauer eingerissen. Seitdem wird fleißig aufgebaut. Und es sind nicht nur die sichtbaren aus Beton und Stacheldraht. Von New Mexico über Polen, Litauen, Israel, Norwegen. Da ist Griechenland nur ein Waisenknabe.
Der Artikel – oder vielleicht nur die Überschrift - ist etwas irreführend in der korrekten Darstellung von Ursache und Wirkung.
Ziel der Migranten ist selten Griechenland, oder die Türkei, oder ein anderes Land in der Peripherie Europas. Gegenwärtige Ziele sind die Staaten in Zentral-Westeuropa, Griechenland ist nur eine Durchgangsstation. Wenn Griechenland auf beiden Seiten offene Grenzen hätte, wäre es kaum mehr als ein Transitland für die Migranten.
Griechenland - und andere im Süden und Osten - übernehmen hier die Bollwerk-Funktion für die Zentral-EU, gestützt auch auf zunehmende Militarisierung der Grenzregionen.
In allen Fällen ist das Agieren Zentral-Europas und der EU bei der lokalen Bevölkerung nicht beliebt, und wird nur durch die Distribution von EU-Mitteln geduldet.
Einmal abgesehen, das es sich hier um eine äußert inhumane Realität und Praxis für die Migranten (und viele Einheimische) handelt, ist das Ende dieser lokal gekauften Akzeptanz in der Peripherie absehbar.
Eine weitere Militarisierung durch Frontex, und der Bau von Mauern, mag dies in der Wahrnehmung der Zentral-EU noch für einige Zeit verzögern, wird aber keine dringend notwendige zukunftsträchtige Migrationspolitik ersetzen.
Vorhersage: Migration wird weiter zunehmen, weltweit, genauso wie die Folgen des Klimawechsels.
Die Politik Deutschlands ist darauf nicht vorbereitet; wen überrascht das noch?
System. Change. Now.
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PS Wir brauchen globale Politikansätze zur Verringerung der Populationen und zur sozial-ökologisch räumlichen Verteilung der Spezies Mensch, mit Anerkennung von Migration als Menschenrecht.
"Denen bleibt nicht mehr als das Hoffen auf die Solidarität Europa."
Etwas gewagte These, die Ursache und Wirkung wieder einmal außer Acht lässt.
Europa hat sich gerade an der Zerstörung der Heimat dieser Flüchtlinge beteiligt. Solidarität ist daher das ganz falsche Wort.
Wiedergutmachung ist ein Besseres und diese kann nur daran bestehen, uneigennützige Hilfe beim Wiederaufbau zu leisten.
Die Voraussetzung: Gespräche mit den jetzigen Machthabern ohne Vorbedingungen, um die Fluchtursachen zu beseitigen.
"Die Ostdeutschen müssen sich endlichen Zuwanderung gewöhnen, sind sie doch selbst Mirganten, der BRD freiwillig zugewandet"
Hahaha, der war gut.
Wie pervers ist denn das?
Das sehen Sie jetzt aber falsch, das ist nicht "pervers". Das ist die "Normalität" der ganz normalen konservativen Bürger, sonst wären die Irrenhäuser in Deutschland, Europa und vielen anderen Ländern überfüllt.
Die Perversen, das sind Bürger wie Sie, die Solidarität und Hilfe(n) von den reichen Ländern und den Oligarchen (deutsch: "Leistungsträger" oder "Superreiche") einfordern.
Das ist wie mit dem Krieg. Krieg ist die "Normalität" und Frieden die "perverse" Ausnahme. Die Perversen sind zum Beispiel Pazifisten, tendenziell Linke, sogenannte Gutmenschen und Humanisten, die allen Ernstes behaupten, Krieg würde Menschenleben kosten und viel Leid und Trauer verursachen, ganz abgesehen von den vielen zerstörten Wohn- und Ferienhäusern, Krankenhäusern, Kirchen, Kapellen, Kathedralen, Kindergärten, Kinderhorte, Kindertagesstätten, Schulen, Fabriken, Campingplätzen, Wohnmobilen, Fersehgeräten, Kühlschränken, Gefriertruhen, Lokomotiven, Autobahnen und anderen Straßen, Bahngleisen, Autos usw.
Man sollte eben auch hier auf der richtigen Seite stehen, auf der Seite der Normalen, die die Raketen, Bomben, Granaten usw. bauen, verkaufen und im Ernstfall sagen, wen die Raketen, Bomben usw. treffen sollen und keinesfalls auf der Seite der Perversen, also dort wo die Raketen, Bomben usw. einschlagen.
Normal wäre es wieder, wenn man mit der Produktion und dem Verkauf von Raketen, Bomben, Granaten, Schießprügeln usw. fette Gewinne macht und dann z. B. von einer Rakete getroffen wird, die man selbst gebaut und verkauft hat. Schließlich würde es in diesem Fall den/die Richtigen treffen.
Konservative Politiker sparen bei den Psychiatern, Psychologen, Psychotherapeuten, Seelenklempnern und wollen immer noch mehr Geld für die Rüstung und das Militär ausgeben.
Ich sage: Wir brauchen nicht mehr Waffen, sondern mehr Irrenärzte.
Ganz sicher werden es mehr Waffen, aber dafuer Klimaneutral. Der Mensch ist so hohl, wie willst du bei bald 9 Milliarden durchgeknallten 300 Millionen Irrenaerzte beschaffen? Das wird schwoer, dad schwoer ich dir.
;-)