Auf Beutefeldzug

Reise nach Libyen Cameron und Sarkozy beteuern in Tripolis ihre edle Gesinnung: Lukrative Verträge beim Wiederaufbau? Interessieren sie nicht im mindesten

David Cameron und Nicholas Sarkozy waren äußerst bemüht zu beteuern, dass sie nicht nach Libyen gekommen waren, um zu günstigen Bedingungen lukrative Wiederaufbau- oder Ölverträge zu ergattern. Stattdessen präsentierten sie sich gestern in Tripolis voll edler Gesinnung. In Wahrheit hatten es der britische Premier und der französische Staatschef aber wohl doch eher auf Siegerkränze abgesehen: Daves' und Sarkos' Reise war vor allem ein Beutefeldzug.

Politisch war das eine einmalige Gelegenheit: die Landung eines dynamischen anglo-französischen Duos in einem nichtsahnenden, aber pflichtgemäß dankbaren, beinahe freien Libyen. Das konnte sich keiner von beiden entgehen lassen. Daheim angeschlagen und gebeutelt von Rezession, Arbeitslosigkeit, klammen Griechen und Unbeliebtheit bei den Wählern, konnten Cameron und Sarkozy kurzzeitig ihre Häupter erheben.

Applaus auf dem Weg ins Krankenhaus

Ein Triumph römischen Ausmaßes war es zwar nicht gerade. Doch immerhin „applaudierten mehrere Libyer und streckten die Hände nach den britischen und französischen Staatschefs aus, als diese auf dem Weg in ein Krankenhaus waren, um Amputierte und andere im Kampf gegen Gaddafi Verwundete zu treffen. Sie erhielten auch Applaus von Ärzten, Krankenschwestern und anderen Krankenhausmitarbeitern“, berichtet Ryan Lucas von der Nachrichtenagentur Associated Press. Solch bewegende Szenen bieten sich selten. Wenn Cameron ein heimisches Krankenhaus betritt, erwartet ihn wohl eher ein Schlag mit einer Krücke als ein Schulterklopfen.

Aber wenn man den Symbolismus beiseite lässt, diente der Besuch verschiedenen Zwecken. Zum einen sollte dem noch immer wackligen Nationalen Übergangsrat – dem nicht gewählten und nicht bei allen beliebten Möchtegernnachfolger Muammar Gaddafis – unter die Arme gegriffen werden. Dies scheint derzeit unabdingbar. Denn noch läuft Gaddafi samt Söhnen und weiterer Sippschaft frei herum. Außerdem erhalten Regimetreue in wichtigen Städten den Widerstand aufrecht, und es bestehen Zweifel, ob die aus bewaffneten Fraktionen und regionalen Stammesgruppen zusammengewürfelte Übergangsallianz von Bestand sein wird.

Dem untergetauchten Gaddafi sollte der Besuch eindeutig vermitteln, dass er erledigt ist und es kein Zurück für ihn gibt . „Es ist vorbei, Zeit, dass er sich selbst aufgibt und die Libyer sehen, dass er der Gerechtigkeit zugeführt wird“, sagte Cameron. Zudem wurde der Weg geebnet für eine neuerliche UNO-Mission in Libyen, die die Nachkriegsregierung unterstützen könnte. Großbritannien hat einen Resolutionsentwurf beim UNO-Sicherheitsrat angekündigt, der die Freigabe von libyschem Staatsvermögen in Milliardenhöhe bewilligen soll. Außerdem wird London Geld für die Minenbeseitigung, die Entsorgung von Waffen, medizinische Hilfe für Kriegsverletzte und Hilfe bei der Suche nach Gaddafis vermeintlichen Chemiewaffenarsenalen anbieten.

Wichtige diplomatische Botschaft

Doch galt es, mit dem Besuch noch eine weitere wichtige diplomatische Botschaft zu vermitteln: wie effektiv die anglo-französische Verteidigungskooperation am Ende doch gewesen ist. Europas militärische Schwergewichte Großbritannien und Frankreich übernahmen - nach dem Widerspruch Deutschlands und angesichts amerikanischer Verzagtheit - die Führung der Libyen-Intervention. Ganz offensichtlich fühlen sie sich nun bestätigt. Das wiederum ist ein Signal an die arabische und muslimische Welt: Die NATO kann Kriege gewinnen, und zwar aus den „richtigen“, pro-demokratischen, nicht kreuzzüglerischen Gründen.

Triumphalismus, auch heruntergespielter, bringt Verantwortlichkeiten mit sich. Das Ausmaß des zur Schau gestellten Engagements bedeutet, dass Großbritannien und Frankreich nun voll und ganz der womöglich langfristigen Aufgabe verpflichtet sind, ein friedliches, demokratisches und für den freien Handel offenes Libyen aufzubauen. Wie schon anderswo könnte es sich als schwieriger erweisen, den Frieden zu bewältigen, als den Krieg zu gewinnen.

Sollte es für den Übergangsrat – dessen weitgehend unerfahrene Führung einer beängstigenden Fülle von Problemen gegenüber steht – weiter schlecht laufen, könnten London und Paris sich in einem neuen und anhaltenden Wüstensturm wiederfinden. Doch gestern zumindest konnten die beiden die Sonnenseite des Ganzen genießen. Und selbst wenn sie es nicht aussprechen, können sie sich ja immer noch auf die wunderbaren Ölverträge freuen.

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Simon Tisdall | The Guardian

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