Die Adresse ihres Apartments in San Francisco schickt Anita Sarkeesian nicht per E-Mail, sondern erst ein paar Stunden vor unserer Verabredung per SMS. Nach tausenden Vergewaltigungs- und Morddrohungen kann eine Frau nicht vorsichtig genug sein. Welcher E-Mail-Account ist heute schon sicher?
Sarkeesian verantwortet den Videoblog Feminist Frequency und ist im Netz die prominenteste Kritikerin frauenfeindlicher Inhalte in Videospielen. Seit ein paar Jahren steht sie im Zentrum eines Sturms in der Gaming-Community, in dem der kulturelle Umbruch in einer Branche kulminiert, die mittlerweile größere Umsätze erzielt als Hollywood. In ihren Videos spricht Sarkeesian über Frauenverachtung und weibliche Rollenklischees in Videospielen. Ihr Spektrum reicht von feministischer Theorie bis zu historischen Analysen. Das Time Magazine zählt sie zu den 100 einflussreichsten Menschen 2015. Ihre Videos sind klug, schneidend und bitter notwendig in einer Branche, in der Frauen oft genug nur als Hintergrunddeko oder verfolgte Unschuld vorkommen, die es zu retten gilt.
Erstaunlich gut gelaunt
Für einige männliche Gamer ist die 31-jährige Feministin mit der Vorliebe für große Ohrringe ein furchteinflößenderer Gegner als der schlimmste animierte Superschurke. Sie haben versucht, Sarkeesian als Betrügerin darzustellen und mehrere tausend Dollar gesammelt, um eine Enthüllungsdoku über sie zu drehen – die rein gar nichts enthüllt. Einige haben sogar ein Spiel entwickelt, bei dem es darum geht, ihr Gesicht blutig zu schlagen.
Bei unserem Treffen trägt Sarkeesian eine rote Brille, passend zu ihrem an den Spitzen rot gefärbten Haar. Wenn man bedenkt, wie viel Hass ihr entgegenschlägt, ist sie außerordentlich gut gelaunt. „Ich glaube, es hat weniger mit dem zu tun, was ich konkret vertrete, sondern es geht grundsätzlich darum, dass eine Frau – und dazu noch eine Feministin – es wagt, etwas über ihr Spielzeug zu sagen.“ Wir sitzen in Sarkeesians Wohnzimmer. An den Wänden hängen überall Whiteboards, auf denen Ideen für neue Projekte notiert sind.
2009 hat sie mit Feminist Frequency angefangen. Damals studierte sie noch politische Theorie, fand den Wissenschaftsbetrieb allerdings einigermaßen befremdlich: „Die Texte sind so geschrieben, dass man sie ohne Übung überhaupt nicht lesen, geschweige denn verstehen kann. Ich habe mich gefragt, warum dieses Wissen nur einer kleinen, privilegierten Gruppe vorbehalten wird.“ Die feministische Theorie, mit der sie sich auseinandersetzte, schien da schon greifbarer. Sarkeesian fing an, Videos über popkulturelle Themen aufzunehmen, von Fernsehshows bis zur Twilight-Saga. 2012 beschloss sie, Videospielen eine eigene Reihe zu widmen. Sie meldete sich bei der Crowdfundingplattform Kickstarter an, um 6.000 Dollar für ihre Webreihe Tropes vs. Women in Video Games zu sammeln. Nach nur 24 Stunden hatte sie das Geld. Zwei Wochen später war es fast viermal so viel.
Dann gingen die Angriffe los. Ihre Wikipedia-Seite wurde mit sexistischen Beleidigungen verunstaltet, ihre Videos auf Youtube mit einem Sperrfeuer aus Beschimpfungen belegt. Es war nicht ihre erste Erfahrung mit Online-Beleidigungen. „Ich bin eine Frau im Internet“, sagt sie dazu, als reiche das als Erklärung. Neu war für sie aber die Erfahrung, von einem ganzen Mob angegriffen zu werden. Männer zeigten nicht nur im Netz offen ihren Hass, sondern es gab zahlreiche Versuche, ihre Accounts zu hacken und sie bloßzustellen. „Sie versuchten, meine Crowdfundingaktion bei Kickstarter zu sabotieren und zeigten mich beim FBI und der Steuerbehörde an. Sie versuchten, meine Anschrift und die meiner Eltern zu posten“, erzählt sie.
Doch der gegen sie gerichtete Hass sorgte auch für eine starke Solidarisierung. Das Interesse und die Unterstützung für Sarkeesian wuchsen. Am Ende ihrer Crowdfundingkampagnen hatte sie fast 160.000 Dollar zusammenbekommen. Seitdem haben die Angriffe nicht aufgehört: Bilder von ihr wurden pornografisch entstellt. Im Netz fanden sich Darstellungen, auf denen sie von Figuren aus Videospielen vergewaltigt wird. Alles nur, weil eine Frau eine Reihe Videoclips über Videospiele machen und bei Youtube hochladen wollte.
Sarkeesian räumt ein, dass all das nicht spurlos an ihr vorbeigegangen ist, bringt das Gespräch aber schnell wieder auf die allgemeinere Ebene zurück. „Viele Leute werden angegriffen, ohne dass sie so viel Aufmerksamkeit erhalten wie ich. Insbesondere nichtweiße und transsexuelle Frauen bekommen von den Medien nicht die Aufmerksamkeit, die sie bräuchten.“
Sie betont, dass explizite Beleidigungen nur eine von vielen Formen der Herabsetzung und Aggression sind, die Frauen im Internet entgegenschlagen: Über manche werden Verschwörungstheorien verbreitet, bei anderen werden in sozialen Netzwerken Accounts auf ihren Namen angelegt und Unbekannte geben sich für sie aus. Einmal hat jemand in Sarkeesians Namen einen Tweet erstellt, in dem behauptet wurde, sie habe das Geld von Kickstarter für Designerschuhe ausgegeben.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen im virtuellen Raum gemobbt werden, ist um ein Vielfaches größer als bei Männern – ebenso die Wahrscheinlichkeit, dass die Angriffe zu sexueller Gewalt führen. Eine Studie der University of Maryland hat ergeben, dass bei weiblichen Usernamen die Wahrscheinlichkeit von Belästigungen 25 Mal größer ist und weiblich klingende Usernamen im Durchschnitt pro Tag 163 Mitteilungen mit Drohungen oder explizit sexuellem Inhalt erhalten.
Bevor Sarkeesian zum Gesicht des Kampfes gegen Beleidigungen und übergriffiges Verhalten im Netz und gegen Sexismus in Videospielen wurde, hat sie sich selbst nicht als Feministin bezeichnet. Ihre armenischen Eltern sind aus dem Irak nach Kanada ausgewandert. In ihrem Elternhaus herrschte stets eine große Offenheit gegenüber neuen Ideen und auch Politik spielte immer eine wichtige Rolle. Feminismus aber nicht. Erst die Lektüre von Ariel Levys Buch Female Chauvinist Pigs habe ihr die Augen geöffnet. „Mir wurde klar, dass ich versuchte, zu den Typen zu gehören und mir dieses falsche Gefühl von Macht zu verschaffen. Ich hatte mehr männliche als weibliche Freunde, sagte Dinge wie ̦Frauen können einem echt auf die Nerven gehen‘ und sprach über andere Frauen sehr verdinglichend – als seien sie Gegenstände.“
Zu der Zeit, als sie als Studentin in Südkalifornien den Feminismus entdeckte, fing Sarkeesian auch an, sich auf dem Campus zu engagieren. „Ich habe viel gelesen, viel über die Systeme von Privilegien und Unterdrückung gelernt. Und mir wurde klar: Jetzt weiß ich, wie die Welt funktioniert. Und jetzt weiß ich, wie ich sie verändern kann. Aber es ist wirklich extrem schwer.“
Und nach #GamerGate wurde es sogar noch schwerer. Das war ein Twitter-Hashtag, der sich zu einer Online-Bewegung entwickelte, die den Anschein erweckte, es gehe ihr um journalistische Ethik, die aber in Wirklichkeit zum Ziel hatte, Frauen wie Sarkeesian anzugreifen und zu terrorisieren. Wie in den Medien über GamerGate berichtet wurde, hat sie frustriert. „In allen Beiträgen wurde ausgeblendet, dass es sich um einen Fall von häuslicher Gewalt handelte.“ Die Bewegung entstand, als ein 25-jähriger Programmierer einen lagen Blogeintrag über seine Exfreundin, die Videospielentwicklerin Zoe Quinn, postete.Darin breitete er alle Einzelheiten ihrer Beziehung aus und listete Quinns angebliche Fehler und Treuebrüche auf. Quinn erklärte, es handele sich um „häusliche Gewalt, die viral wurde, weil sie darauf angelegt war, viral zu werden“. Sie bekam Vergewaltigungs- und Morddrohungen, ihre Accounts wurden gehackt, ihre Adresse, ihre Telefonnummer und sogar ein paar Nacktfotos wurden veröffentlicht, so dass sie schließlich untertauchen musste.
Ein lose organisierter Mob
Sarkeesian sagt heute, ein Jahr nach dem Höhepunkt, GamerGate habe schon jahrelang existiert, bevor es einen Namen gekriegt habe: dieselben Hauptakteure, dieselben Angriffe, dieselben Beleidigungen. Der Hashtag habe diesen „lose organisierten Mob“, der Frauen in der Gamerszene angreift, nur benannt.
„Aus diesem Grund mag ich die Worte Troll und Rüpel nicht – sie klingen zu kindisch. Hier gehe es darum, dass Frauen terrorisiert, beleidigt und eingeschüchtert werden. Es geht darum, Frauen zum Schweigen zu bringen. Und wenn ihnen das nicht gelingt, versuchen sie, sie zu denunzieren, indem sie sie mit Dreck bewerfen. Irgendetwas bleibt immer hängen.“ Sarkeesians eigene Strategie im Umgang mit ihren Verfolgern ist einfach: blockieren und ignorieren. „Es gibt Männer, die regelmäßig Videos über mich machen. Manche schreien einfach nur rum, andere halten eine Pistole in der Hand und reden davon, wie sehr sie mich hassen. Ich gehe nicht auf sie ein. Ich möchte ihre Stimmen nicht noch verstärken.“
Einen Tag, bevor sie vergangenes Jahr in Utah einen Vortrag halten sollte, erhielt die Univerwaltung eine E-Mail, in der mit einer Massenerschießung gedroht wurde. Der Absender verwendete den Namen eines Mannes, der 1989 in Montreal über ein Dutzend Frauen getötet hatte, nachdem er sie als „einen Haufen von Feministinnen“ beschimpft hatte. Als die Veranstalter sich weigerten, Metalldetektoren zu installieren, sagte Sarkeesian den Vortrag ab: „Ich bin auch schon vorher bedroht worden und bin trotzdem öffentlich aufgetreten. Aber in Utah waren sie nicht bereit, zu verhindern, dass die Zuhörer Waffen zu dem Vortrag mitbringen konnten.“ Dazu muss man wissen: In Utah darf jeder seine Waffen offen in der Öffentlichkeit tragen. „Es ging da aber nicht nur um mich, sondern auch um die Sicherheit der Studierenden.“
Als sie 2014 in San Fransisco einen Preis erhalten sollte, ging ebenfalls eine E-Mail ein, in der gedroht wurde, es werde eine Bombe hochgehen, sollte ihr der Preis nicht wieder aberkannt werden. Hier hätten die Veranstalter mit ihr zusammengearbeitet, um die Sicherheit aller zu gewährleisten. Die Sprengstoffabteilung der Polizei überprüfte das Gebäude und fand nichts, die Verleihung konnte schließlich wie geplant stattfinden.
Sie habe sich angewöhnt, in Restaurants möglichst weit hinten zu sitzen, erzählt sie. „Oder zumindest mit dem Rücken zum Fenster, damit mich von draußen niemand erkennt. Wenn mich auf der Straße jemand anspricht, um nach dem Weg zu fragen, habe ich das Gefühl, ich würde jeden Moment eine Panikattacke bekommen. Ich musste ja lernen, Menschen zu misstrauen, schließlich kann man nie wissen.“
Nach einem Vortrag, den sie vor kurzem an der New York University hielt, kam ein junger Mann zu ihr, der seine Hände in den Taschen seines Kapuzenpullis vergraben hatte. „Ich habe die ganze Zeit überlegt, ob er da wohl ein Messer drin hat.“ Es stellte sich heraus, dass er einfach nur sehr aufgeregt war. Aber nach allem, was schon geschehen ist, kann man es Sarkeesian nicht verübeln, dass sie Angst hatte.
„Es nervt“, sagt sie. „Und ich will einfach nicht zu viel darüber nachdenken, denn ich kann ja nichts dagegen machen. Es ist meine neue Normalität.“
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