Sie tragen Arbeits- und Tarnanzüge. Über ihre Köpfe haben sie Sturmhauben gezogen. Nervös fummeln sie an ihren Kalaschnikows. Bei jedem ungewöhnlichen Geräusch springen sie auf. Sie wollen für ihr Land gegen die Separatisten kämpfen, doch den Angehörigen des Donbass-Freiwilligen-Bataillons fehlt es offensichtlich an der nötigen militärischen Erfahrung und Ausbildung. Der Kommandeur des Bataillons, Semjon Semenchenko, sieht das jedoch anders. Alle Männer verfügten über Kampferfahrung, versichert er. Schließlich hätten seine Kämpfer entweder in der ukrainischen oder der sowjetischen Armee gedient. Seine Kämpfer sind Freiwillige. Niemand bezahlt sie, behauptet der Kommandeur. Sie lebten von ihren Ersparnissen und Spenden. „Unser Land muss verteidigt werden. Und wenn der Staat das nicht leisten kann, dann machen wir das eben selbst“, sagt Semenchenko. Derzeit stehen seine Truppen außerhalb von Mariupol. Dort kämpfen sie mit regulären ukrainischen Truppen gegen prorussische Rebellen.
Während Militäreinsätze im eigenen Land bei vielen Soldaten unbeliebt sind, entstehen immer mehr irreguläre Truppen, um die Kontrolle über die Regionen Donezk und Luhansk zurückzugewinnen. Die Übergangsregierung in Kiew hat ihnen den Status von halblegalen paramilitärischen Truppen verliehen, schließlich ist sie dankbar für jede Hilfe in ihrem Kampf im Osten. „Es ist schwer, der Armee und der Nationalgarde zu trauen“, sagt Semenchenko. „Es ist schon vorgekommen, dass sie einfach ihre Waffen niedergelegt haben und geflohen sind. Ich kann das nicht verstehen. Wie kann man einen Eid auf ein Land ablegen und sich dann nicht daran halten?“
Freiwillige werden im Westen der Ukraine, in Kiew und teilweise auch im Osten rekrutiert. Eine Zeitung in Donezk nennt eine Telefonnummer, unter der „ukrainische Patrioten“ sich für die Freiwilligen-Bataillone melden können. Ihr Herausgeber versteckt sich, aus Angst, von den Separatisten entführt zu werden. Die Ausbildung findet in der benachbarten Region Dnipropetrowsk statt. Manchmal werden die Freiwilligen nach gerade einmal 50 Stunden Training in den Kampf geschickt.
Katastrophen und Blutvergießen sind programmiert. Erst vor wenigen Tagen starben in Mariupol wieder acht Menschen. Die Nationalgarde, die zu einem guten Teil aus Freiwilligen besteht, rückte mit Panzern in die Stadt ein, um Separatisten aus einer besetzten Polizeistation zu vertreiben. Als die Regierungstruppen sich schließlich wieder zurückzogen, folgten ihnen unbewaffnete Zivilisten. Die Nationalgarde fühlte sich bedrängt und eröffnete das Feuer. In der Zivilbevölkerung steigen Wut und Verzweiflung über solche Vorfälle ins Unermessliche. Es ist eine Spirale von Hass und Gewalt. Die paramilitärischen Truppen sind für die Regierung schwer zu steuern. Schließlich befinden sich unter ihnen auch Rechtsextreme. Auch der Vorsitzende der Swoboda-Partei, Oleg Ljaschko, mischt mit. Ein Video zeigt, wie Ljaschko den selbsternannten Verteidigungsminister der Volksrepublik Donezk in Unterhosen und mit gefesselten Händen verhört – eine Demütigung, die Ljaschko im Präsidentschaftswahlkampf helfen soll. Er selbst hat den Film in Umlauf gebracht.
Schwer zu identifizieren
Auch sonst betreibt er seine Kampagne für die Wahl am kommenden Wochenende nicht zimperlich. „Tod den Besatzern!“, steht auf seinen Wahlplakaten. Im Moment ist er gerade dabei, sein eigenes Freiwilligen-Bataillon aufzustellen. Ljaschko sagt, er sei der „Kommissar“ des Bataillons, erhalte seine Befehle aber von der Armee oder dem Innenministerium. Bislang hätten sich 3.000 Mann gemeldet, von denen habe man 400 ausgewählt. Sie müssten körperlich fit und kampferfahren sein. Außerdem werde überprüft, ob sie für ausländische Geheimdienste arbeiten. „Wir kämpfen gegen Terroristen“, sagt er. „Wenn sie sich nicht ergeben, müssen wir sie vernichten.“
Die neuen Milizen sind oft schwer zu identifizieren. Gekennzeichnete Uniformen tragen sie kaum. Auch das führt zu Problemen. Während des Referendums über die Unabhängigkeit von Donezk und Luhansk kam eine Gruppe von Milizionären nach Krasnoarmijsk. Die Männer gaben an, sie seien vom Freiwilligen-Bataillon „Dnjepr“. Als sie versuchten, die Wahl zu unterbinden, schrie die Menge sie an und drohte ihnen. Die Bewaffneten feuerten mehrere Schüsse ab und töteten zwei Zivilisten. Das Dnjepr-Bataillon erklärte später, keine Kämpfer entsandt zu haben. Bis heute ist unklar, wer die Männer waren.
Nicht nur im Regierungslager, auch unter den Separatisten ist die Lage unübersichtlich. Spannungen bleiben nicht aus. Mehr als einmal soll es schon zu Schusswechseln zwischen verschiedenen pro-russischen Fraktionen gekommen sein. „Ich hoffe, dass die Situation sich nicht noch stärker zuspitzt, aber es gibt eine Tendenz in Richtung des Szenarios, das wir in den Jugoslawien-Kriegen gesehen haben“, sagt Igor Todorow, Professor an der Nationalen Universität Donezk. „Es kann sein, dass wir es am Ende mit verschiedenen Kommandanten zu tun haben, die nicht mehr für eine bestimmte Seite kämpfen, sondern nur noch auf eigene Rechnung.“
Bislang hat der Hass auf die Gegenseite verhindert, dass die einzelnen Fraktionen offen und dauerhaft gegeneinander vorgehen. Auf prorussischer Seite sprechen die Kämpfer regelmäßig von Faschisten, wenn sie die ukrainische Armee meinen. Es gibt Gerüchte, die Soldaten würden psychologisch trainiert, um unbewaffnete Frauen und Kinder töten zu können. Und auch auf Seiten der Kiewer Truppen findet man wenig Sympathie für die Ansichten und Ziele des Gegners. Semenchenko vom Donbass-Freiwilligen-Bataillon kennt gegenüber zivilen Opfern keine Gnade. Er behauptet, die Unbewaffneten in der Menge würden dafür bezahlt, als Schutzschilde für die bewaffneten Angreifer zu dienen. Für ihn handelt es sich um „Schweine“. Wenn unbewaffnete Demonstranten von proukrainischen Kräften erschossen werden – wie in Mariupol – dann sei das einzig die Schuld der „Terroristen“.
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