Er gilt als „Prinz“. Denn Xi Jinping stammt aus einer prominenten Familie der chinesischen KP-Nomenklatura. Sein Vater Xi Zhongxun war einer der Helden des Langen Marsches Ende der dreißiger Jahre und Vizepremier in der frühen Volksrepublik. Als der Veteran des Umbruchs 1960 bei Mao Zedong in Ungnade fiel, war Xi gerade sieben Jahre alt. Mitte der sechziger Jahre – die Kulturrevolution zerrüttete das Land – verschlug es den jungen Xi in die staubige Nordwest-Provinz Shaanxi, wo er „von den Massen lernen“ sollte. Der Junge tat das sieben Jahre lang, lebte im Dorf Liangjiahe und sollte später über diese Zeit sagen: „Ich habe sehr viel mehr Bitteres geschluckt als die meisten Chinesen meines Alters.“ Ihn hätten die Flöhe ebenso geplagt wie die harte Arbeit und schiere Einsamkeit.
Es entspricht gängiger kommunistischer Ikonografie, dass Kader den „Dienst am Volk“ erlernen. Wer wie Xi aufs Land geschickt wurde, ist davon in seiner Biografie wohl besonders geprägt. Verkörpern Leute wie der neue KP-Chef deshalb eine stark idealistische Tradition? Hat der mächtigste Mann Chinas den Mut, Großes zu tun?
Obwohl er offen Kritik an der Kulturrevolution übt, wird Xi in den siebziger Jahren Parteimitglied. Ein Intellektueller, der ihn damals erlebt, erinnert sich: „Der wollte überleben, indem er roter wurde als rot.“ Die Verbindungen der Familie verhelfen zum Studium der Chemietechnik an der Universität Tsinghua. Bald arbeitet er im Verteidigungsministerium und entscheidet sich danach für einen wenig glamourösen Posten in der Provinz Hebei. Womöglich will er den Verdacht entkräften, da profitiere einer von seinem Familienclan.
„Dieser Mann hatte eine Mission“
Als Gesandter des Parteikomitees aus dem Kreis Zhending besucht Xi schließlich Muscatine, eine Kleinstadt im US-Staat Iowa. „Er war sehr nett und höflich“, erinnert sich Eleanor Dvorchak, die Xi damals im Zimmer ihres Sohnes beherbergt hat, wo er zwischen Football-Tapete und Star-Trek-Figuren schlief. Ganz seiner Arbeit habe er sich hingegeben. „Man sah gleich, dieser Mann hatte eine Mission.“ Sarah Lande, damals Orgaisatorin der Reise des jungen Chinesen, meint im Rückblick, Xi habe sein Selbstvertrauen nicht versteckt. „Er erweckte den Eindruck, eine Sache in die Hand nehmen zu können.“
1985 wechselt Xi in die Südprovinz Fujian und lebt nun in einer der wohlhabenden, unternehmerisch geprägten Küstenregionen. Er lockt Investoren an, baut Unternehmen auf und schätzt neue Ideen. Der damalige US-Finanzminister Hank Paulson beschreibt ihn als „die Sorte Mensch, die weiß, wie man ein Projekt über die Ziellinie kriegt“. Anfang 2007 übernimmt Xi das Amt des Parteichefs der Finanzmetropole Shanghai, nur sechs Monate später wird er in den Ständigen Ausschuss des Politbüros gewählt. Es ist ein erstes Signal, dass hier ein Nachfolger von Hu Jintao gefunden sein könnte. Xi selbst beschreibt sich als Pragmatiker, der nie den Boden unter den Füßen verlieren wollte und als Parteisekretär von Shanghai nichts lieber tat, als wie alle anderen in der Betriebskantine zu essen.
Er hat sich damit in einem für seine Korruption bekannten System einen „sauberen Ruf“ bewahrt. Ein Freund sagt über ihn, bei Xi seien schlimmstenfalls überfällige Bücher aus der Bibliothek zu finden. Auf dem jetzigen Parteitag hat er wie sein Vorgänger jeder Art von Vetternwirtschaft den Kampf angesagt. Gebraucht werde ein „soziales Management“. Damit kommt wieder die „harmonische Gesellschaft“ ins Spiel, der sich schon der bisherige Generalsekretär Hu Jintao verschrieben hatte, ohne gegen die neue Klassengesellschaft viel ausrichten zu können. Will Xi wie versprochen innere Stabilität wahren, muss er für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen.
Erster unter Gleichen
Manch einer hofft, dass der neue KP-Chef die liberalen Neigungen seines Vaters teilt: Xi senior war nicht nur ein Wirtschaftsreformer, sondern auch Verbündeter des reformorientierten Generalsekretärs Hu Yaobang (im Amt 1980 bis 1987). Es heißt sogar, Xi habe 1989 das Tiananmen-Massaker kritisiert. Jene, die deshalb Hoffnungen in den neuen KP-Chef setzen, sagen auch, während seiner Zeit in Zhejiang hätten Graswurzel-Organisationen eine Blütezeit erlebt. Es habe mehr Rechte für unabhängige Kandidaten bei Wahlen gegeben. Das Netzwerk Chinese Human Rights Defenders weist indes darauf hin, dass in Zhejiang – wie anderswo auch – Dissidenten und Christen verfolgt worden seien. In dieser Hinsicht verheiße Xis „Erfolgsbilanz nichts Gutes“.
Das auf dem Parteitag erkennbare Selbstbewusstsein des neuen Vorsitzenden lässt darauf schließen, dass er den USA nichts schenken wird. Die meist zitierte Äußerung Xi Jinpings stammt von einer Mexiko-Reise 2009: „Einige Ausländer mit vollem Bauch haben nichts Besseres zu tun, als mit dem Finger auf unsere Angelegenheiten zu zeigen. China exportiert erstens keine Revolution, zweitens keinen Hunger und macht drittens niemandem Ärger. Was gibt es da noch zu sagen?“
Es wäre falsch, nun anzunehmen, Xi habe die alleinige Kontrolle über die Agenda in China. Er wird vielmehr „der Erste unter Gleichen“ im neun Mitglieder starken Ständigen Ausschuss sein. Und er wird sich schwer tun, Unterstützung für beherzte Entscheidungen zu gewinnen, die nötig seien werden, um die sich türmenden Probleme Chinas anzugehen. Was ihm helfen könnte? Dass er ein instinktsicherer Politiker sei, der für Überraschungen sorge, hört man oft. „Entscheidend wird es sein, dass es ihm gelingt, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen“, meint Cheng Li von der Washingtoner Brookings Institution.
Tania Branigan ist China-Korrespondentin des Guardian
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