Auf zum Enceladus

Astrobiologie Die Nasa-Sonde Curiosity sucht jetzt nach Leben auf dem Mars. Viele Forscher schauen jedoch längst in Richtung Saturn

Enceladus ist kaum größer als ein Felsbrocken und tauchte bis vor Kurzem allenfalls als kleiner Lichtfunken in den Teleskopen der Astronomen auf. Doch nun ist der winzige Mond des Saturn für die Wissenschaft zu einer Sensation geworden. Denn nirgendwo sonst in unserem Sonnensystem, so glauben inzwischen viele Forscher, stehen die Chancen, auf außerirdisches Leben zu stoßen, so gut wie hier.

Dass ein Mond mit knapp 500 Kilometern Durchmesser, der rund 1,6 Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt in den kalten Tiefen des Weltraums kreist, außerirdische Lebensformen beheimaten soll, mag erst einmal seltsam klingen. Doch eine wachsende Anzahl von Forschern hält dies für eine echte Perspektive und plädiert dafür, Enceladus bei künftigen Raummissionen höchste Priorität einzuräumen. So auch Charles Cockell, Professor für Astrobiologie an der Universität Edinburgh: „Sollte mir jemand ein paar Milliarden Dollar für ein Raumfahrzeug meiner Wahl geben, so würde ich ohne zu zögern eine Sonde konstruieren, die zum Saturn fliegen und von Enceladus Proben nehmen könnte. Nicht zum Mars oder zum eisigen Jupitermond Europa, auch wenn es vielversprechende Hinweise darauf gibt, dass Leben auf ihnen möglich sein könnte. Primitive, bakterienähnliche Lebensformen könnten tatsächlich in diesen Welten existieren, doch sie sind vermutlich tief unter der Oberfläche vergraben und schwer zu erreichen. Sollte es auf Enceladus irgendwelche Formen von Leben geben, so ließen sich vermutlich leicht Proben nehmen. Sie strömen geradewegs ins Weltall aus.“

Propan, Ethan und Acetylen

Der Grund für dieses neue Interesse an Enceladus – erstmals 1789 von William Herschel beobachtet und nach dem Giganten Enkeladus, einem der Kinder der griechischen Erdgöttin Gaia, benannt – ist eine Entdeckung des Roboter-Raumschiffs Cassini, das den Saturn seit acht Jahren umkreist. Die 3-Milliarden-Dollar-Raumsonde hat gezeigt, dass der kleine Mond nicht nur eine Atmosphäre aufweist, sondern dass von seiner Oberfläche Geysire Wasser ins All schießen. Noch erstaunlicher ist Cassinis jüngste Entdeckung, dass diese Geysire komplexe organische Verbindungen enthalten, darunter Propan, Ethan und Acetylen.

„Enceladus bringt alle Voraussetzungen mit, die für Leben in einer anderen Welt notwendig sind“, erklärt der NASA-Astrobiologe Chris McKay. „Flüssiges Wasser, organisches Material und eine Wärmequelle. Vielversprechender wäre höchstens ein Radiosignal von Außerirdischen auf dem Enceladus, die uns bitten, sie abzuholen.“

Die Beobachtungen der Cassini lassen darauf schließen, dass Enceladus einen unterirdischen Ozean besitzt, der von der Hitze im Inneren des Mondes flüssig gehalten wird. Woher diese Energie kommt, ist den Wissenschaftlern allerdings bislang ein Rätsel.

Am Südpol des Mondes scheint der unterirdische Ozean des Enceladus der Oberfläche sehr nahe zu kommen. An einigen wenigen Stellen sind Risse entstanden und Wasser sprudelt an die Oberfläche, bevor es in den Weltraum geschleudert wird, zusammen mit komplexen organischen Chemikalien, die ebenfalls in diesem Meer zu entstehen scheinen.

Einfach nur: „Wow“

Ähnlich bemerkenswert ist die Wirkung dieses Wassers auf den Saturn. Der Planet ist bekannt für sein komplexes Ringsystem, das aus Bändern von kleineren Eis- und Gesteinspartikeln besteht, die um den Planeten kreisen. Es gibt sieben Hauptringe: A, B, C, D, E, F und G, der gigantische Ring E ist direkt mit Enceladus verbunden. Das Wasser, das der Mond ins All schießt, verwandelt sich in Eiskristalle, und diese füttern den E-Ring des Planeten. „Würde man die Geysire auf dem Enceladus abschalten, verschwände der Saturnring E innerhalb weniger Jahre“, erläutert McKay. „Für einen kleinen Mond hat Enceladus eine ziemlich große Wirkung.“

Dabei ging die Entdeckung der ungewöhnlichen Geologie des Enceladus zunächst sehr zögerlich vonstatten, wie Michele Dougherty vom Imperial College in London erklärt, die für das Magnetometer der Cassini zuständig ist. Nach sechs Monaten in der Umlaufbahn sei die Cassini recht nah an Enceladus herangekommen: „Unsere Ergebnisse wiesen darauf hin, dass um den Enceladus das Magnetfeld des Saturn auf eine Weise abgelenkt wird, die auf die Existenz einer Atmosphäre schließen lässt.“

Dougherty und ihre Kollegen baten ihre Vorgesetzten, die Sonde die Sache genauer untersuchen zu lassen. Im Juli 2005 fuhr die Cassini an den Mond heran. Dougherty erinnert sich an schlaflose Nächte.

Ihre Befürchtungen waren grundlos. Die Cassini schwebte in einer Höhe von 173 Kilometern über Enceladus und zeigte, dass er tatsächlich eine Atmosphäre besitzt, wenn auch eine dünne, die aus Wasserdampf, Kohlendioxid, Methan und Stickstoff besteht. „Es war wunderbar“, erzählt Dougherty. „Ich dachte einfach nur: Wow!“

Bei späteren Flügen über den Mond wurden die Wasserfontänen entdeckt. Der einzige Körper unseres Sonnensystems, auf dessen Oberfläche, abgesehen von der Erde, flüssiges Wasser existiert, war somit gefunden. Schließlich folgte die Entdeckung der organischen Stoffe, die mit dem Wasser gemischt ins All gepustet werden. Für Dougherty bedeutet dies eine offene Einladung: Die Proben liegen frei herum, sie müssten nur eingesammelt werden.

Doch ganz so einfach ist es nicht. In 1,6 Milliarden Kilometern Entfernung sind der Saturn und seine Monde schwer zu erreichen. Nach ihrem Start von Cape Canaveral 1997 benötigte die Cassini fast sieben Jahre, um dorthin zu gelangen.

McKay und eine Gruppe von Nasa-Wissenschaftlern aus dem Jet Propulsion Laboratory in Pasadena kann dies nicht abschrecken. Sie bringen gerade Pläne für eine sogenannte Sample-Return-Mission zum Abschluss, die Proben von Enceladus zur Erde bringen soll. Sie wollen eine Raumsonde in die Umlaufbahn des Saturn schicken, die mittels der Schwerkraft des größten Saturnmondes, Titan, über Enceladus hinwegfegen soll. Die Wasserproben würden dann in einem Kanister auf eine siebenjährige Reise zurück zur Erde geschickt werden.

Ein Faktor ist von der Erde aus jedoch nicht zu kalkulieren: die Zeit. „Die Bedingungen für Leben sind auf dem Enceladus derzeit gut, doch wir wissen nicht, wie lange das schon so ist“, erläutert McKay. „Sie könnten erst in jüngster Zeit entstanden sein oder bereits seit Urzeiten bestehen. Doch nur dann könnte sich Leben entwickelt haben. Derzeit haben wir keine Ahnung, wie lange diese Bedingungen schon herrschen. Die Geologen, mit denen ich gesprochen habe, gehen davon aus, dass das Wasser und die organischen Stoffe bereits geraume Zeit vorhanden sind. Der einzige Weg, das herauszufinden, ist hinzufahren.“

Vor der Entdeckung der Geysire auf Enceladus dominierten der Mars und die Eismonde des Jupiter die Jagd nach außerirdischem Leben. Der Mars hat den Vorteil, dass er am schnellsten zu erreichen ist. Am 6. August ist dort der 2,5 Milliarden US-Dollar teure Roboter-Rover Curiosity gelandet. Er wird in den kommenden zwei Jahren die Jagd nach Leben auf dem Roten Planeten fortsetzen. Leben kann sich nur dort entwickeln, wo es flüssiges Wasser gibt. Auf dem Mars gab es Vorkommen, doch es ist umstritten, ob sie noch immer vorhanden sind. „Das Wasser, das aus Enceladus austritt“, so Cockell, „ist hingegen eindeutig zu sehen“. Viele Wissenschaftler sind überzeugt, dass tief unter der Marsoberfläche Wasser existiert und bakterienartige Lebensformen möglich macht. Doch diese Reservoires liegen unter Umständen viele Meter, wenn nicht Kilometer unter der Marsoberfläche, und es könnte Jahrzehnte dauern, sie zu finden. Auch die Ozeane unter dem Eis, das Europa und zwei andere Jupitermonde – Ganymed und Kallisto – bedeckt, könnten Leben ermöglichen. Für eine Roboter-Raumsonde ist es jedoch extrem schwierig, sich durch die kilometerdicken Eisdecken zu bohren.

Verglichen mit dem Mars und den Jupitermonden ist Enceladus da ein einfaches Ziel, doch die Entfernung bleibt ein Problem. „Egal, in welche Richtung wir schauen: Es wird wohl zwei bis drei Jahrzehnte dauern, bevor wir Antworten auf unsere Fragen nach extraterrestrischem Leben in unserem Sonnensystem erhalten“, schätzt Cockell. „Unterdessen werden Teleskope vielleicht schon andere Lebenszeichen auf anderen Planeten in der Galaxie entdeckt haben. Unsere Studien über Planeten außerhalb unseres Sonnensystems schreiten immer weiter fort, und eines Tages entdecken wir in unseren spektografischen Studien dieser fernen Welten womöglich Wasser und Sauerstoff – was eindeutige Anzeichen für die Existenz von Lebewesen wären.

Allerdings können teleskopische Studien extrasolarer Planeten keinen Aufschluss über die Natur dieser Lebensformen geben. Nur wenn es gelingt, Proben von den Planeten in unserem Sonnensystem zu nehmen und sie auf die Erde zu bringen und dort im Labor zu untersuchen, werden wir ihre genaue Beschaffenheit und ihre Replikationsmechanismen enthüllen können – vorausgesetzt, dass sie überhaupt existieren. Die kleine Welt des Enceladus könnte uns dann so einiges lehren.

Robin McKie ist Wissensredakteur des Observer

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Robin McKie | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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