Zeitgleich mit dem widerwilligen Rücktritt Hosni Mubaraks am 11. Februar erreichte in Pakistan eine weitere Revolte ihren Zenit. Vier Tage lang hatten die Angestellten der nationalen Fluglinie Pakistan International Airlines (PIA) bereits gestreikt. Um die 25.000 Fluggäste (darunter auch ich) saßen an den Flughäfen des Landes fest. Ich steckte in Quetta, einer Stadt nahe der afghanischen Grenze, in der eine angespannt paranoide Atmosphäre herrscht. Die Sicherheitskräfte liefern sich mit nationalistischen Rebellen ein schonungsloses Katz-und-Maus-Spiel. Zudem soll der einäugige Taliban-Führer Mullah Omar in der Stadt residieren.
Gäste aus meinem Hotel entflohen Quetta per Auto durch die ausgedehnte Wüste oder wagten die abenteuerliche 22-stündige Zugfahrt nach Karachi. Im Fernsehen wechselten sich Bilder ekstatischer Menschenmengen auf dem Tahrir-Platz in Kairo mit denen pakistanischer Bereitschaftspolizisten ab, die am Flughafen von Karachi PIA-Angestellte mit Schlagstöcken angriffen. Anlass des Streikes waren geplante Reformen. Die PIA ist ein aufgeblasener Elefant. Sie beschäftigt 400 Mitarbeiter pro Flugzeug – dreimal mehr als international üblich – und bat die Regierung 2010 um 1,7 Milliarden Dollar zur Begleichung ihrer Schulden. Doch die Gewerkschaften haben Pläne zur Rationalisierung innerhalb der Belegschaft abgelehnt und den Rücktritt des Geschäftsführers Aijaz Haroon verlangt. Der ging schlussendlich auch, am Abend des 11. Februar, in etwa zur gleichen Zeit wie Mubarak in Ägypten.
Reif für den Wechsel
Während sich die Bildschirme mit jubelnden Demonstranten füllten, die den Tahrir-Platz überströmten, war bei pakistanischen Twitterern ein Anflug von Neid zu vernehmen. Mancher fragte sich, ob die ruhmreiche Revolution Ägyptens auch auf Pakistan überspringen könne. „Ich wünschte, wünschte, wünschte, Pakistan könnte als nächstes dran sein“, schrieb die Autorin Fatima Bhutto.
Auf jeden Fall scheint dieser Staat reif für eine Revolution – es tanzt nach wie vor auf dem Vulkan. Extremisten zetteln Verschwörungen an und jagen Bomben in die Luft, hochrangige Politiker werden ermordet, in der Gesellschaft gärt Unmut. Eine kleine Oberschicht lebt in einer Blase aus Wohlstand und Privilegien. Klatschblätter berichten über Partys, die von den Kleinkindern der Elite gefeiert werden, während die Armen von rasant steigenden Lebensmittelpreisen und zwölfstündigen Stromausfällen geplagt werden. Regionale Spannungen drohen den Staat zu zerreißen. Die Einwohner Quettas froren in ihren Heimen, weil Rebellen die Gaspipelines zuletzt vier Mal in Brand gesetzt hatten.
„Es läuft schlecht hier“, klagt ein Anwalt, bevor ich gehe, und wirft einen Blick über seine Schultern, um festzustellen, ob Geheimdienstler mithören.
Metropole der Gangs
Einige Analysten vergleichen die Stimmung mit der im Iran 1979, als eine erboste Mittelschicht den von Amerika gestützten Schah stürzte und der Herrschaft theokratischer Islamisten Tür und Tor öffnete. Und doch ist es nur ein schwacher Hauch von Revolution, der in Pakistan zu spüren ist. Zum einen ist das Land zu zersplittert. Karachi etwa, eine riesige Metropole, die mit 16 Millionen Einwohnern ungefähr so groß ist wie Kairo, ist aufgeteilt unter einer bunt zusammen gewürfelten Schar politischer, konfessioneller und krimineller Gangs. Sie alle sind schwer bewaffnet. Vor vier Jahren gerieten während der Proteste gegen Präsident Musharraf rivalisierende Banden aneinander geraten und haben für ein Blutbad gesorgt.
Das vielleicht größere Hindernis für einen Umbruch: Es gibt keinen Diktator, der zu stürzen wäre. Man verfügt bereits über Demokratie, Wahlen und eine lebhafte Presse. Unter den Gebildeten wollen nur wenige sich mit dem politischen System einlassen, da sie es für schmutzig und korrupt halten. Und so fokussiert sich die Frustration auf den Präsidenten Asif Ali Zardari, der extrem unbeliebt ist. Zardari, der ohne Kontakt zur Bevölkerung in einem schwer bewachten Palast in Islamabad lebt, wird von ihm feindlich gesonnenen Medien als abgehoben und korrupt beschrieben, als Intrigant und Rechtsverdreher. Nicht wenige sind bereit, den wildesten Geschichten über ihn Glauben zu schenken. So soll er die Ermordung seiner Frau Benazir Bhutto vor vier Jahren auf dem Gewissen habe. Hass auf Zardari ist in manchen Kreisen buchstäblich zur Obsession geworden.
Unberechtigt ist die Unzufriedenheit nicht – die Regierung Zadari hat kürzlich beim Skandal um das Blasphemie-Gesetz versagt und tut sich schwer mit dem Fall Raymond Davis, einem US-Staatsbediensteten, der in Lahore auf offener Straße zwei Menschen erschossen hat. Dennoch sind die dramatischsten Geschichten übertrieben. Die harte Wahrheit ist, dass ein Großteil der Macht in Pakistan in den strahlenden Hallen der Armeehauptquartiere zu Hause ist, wo livrierte Generäle die Schlüssel zu den Atomwaffen des Landes – von denen es aktuell mehr als 1.000 gibt – in den Händen halten und die Politik gegenüber Indien, Afghanistan und Amerika kontrollieren. Von einer echten Revolution könnte man daher in Pakistan nur sprechen, würde der Armee die Macht genommen. Was aber nicht einfach sein dürfte, weil die Streitkräfte ja offiziell gar keine Macht haben.
Wenn die Blase platzt
Die wirkliche Gefahr hingegen versteckt sich ohnehin in den dunklen Wolken, die sich über der Wirtschaft auftürmen. Unternehmen wie die PIA saugen die Staatskasse aus. Und was die Einnahmen des Staates betrifft, weigern sich die Reichen, Steuern zu zahlen. Die Steuerquote ist mit neun Prozent katastrophal niedrig, viele Politiker zahlen nur wenige hundert Euro im Jahr. Um dieses Loch zu stopfen, hat sich die Regierung aufs Gelddrucken verlegt und zwar in beunruhigenden Mengen. Keine Frage, dass das wenig nachhaltig ist. Beim Tee in seinem Büro erklärt mir ein hochrangiger westlicher Diplomat, die Wirtschaft sei seine „höchste Priorität.“
Ökonomen zufolge könnte die Blase innerhalb weniger Monate platzen – in die Höhe schnellende Inflation, eine zu Boden krachende Währung, Kapitalflucht wären die Folgen. Sollte dies passieren, könnte sich Ärger auf den Straßen zusammenbrauen. Ähnlich klar wie in Ägypten wären die Fronten dabei zwar kaum, die Auswirkungen aber könnten nicht weniger unkalkulierbar sein.
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