Am 26. März schickte Lucetta Scaraffia einen Brief an Papst Franziskus. Zu diesem Zeitpunkt war sie gerade Chefredakteurin des vatikanischen Hochglanz-Frauenmagazins Donne Chiesa Monde (dt. Frauen, Kirche, Welt). Ein Titel, der seit seiner Gründung vor sieben Jahren die Misogynie der katholischen Kirche ins Fadenkreuz nahm. Das Magazin deckte auch die schockierenden Fälle des sexuellem Missbrauchs von Nonnen mitsamt den heimlichen Abtreibungen auf, die Priester bezahlten, um die Beweise loszuwerden.
„Wir werfen das Handtuch“, teilte sie dem Papst mit, „weil wir uns einer Atmosphäre aus Misstrauen und andauernder Delegitimierung ausgesetzt fühlen.“ Mit „wir“ ist ein elfköpfiges Redaktionsteam gemeint, von dem bis auf zwei Kolleginnen alle am selben Tag kündigten. Ich treffe die 70-jährige Geschichtsprofessorin Scaraffia in ihrer Wohnung im vornehmen Pariolo-Bezirk von Rom. Sie drückt sich vorsichtig, aber entschlossen aus. Und sie bleibt dabei, dass es richtig war, das Magazin zu verlassen. „Wir waren vorher frei und sind mit unserer Arbeit ohne Druck zurechtgekommen. Am Ende ließen sie uns keinen Raum mehr für Selbstbestimmung.“
„Ich rebellierte gegen alles“
Ein religiöses Magazin, das sich mit Frauenthemen beschäftigt, war von Anfang an Scaraffias Idee. 2007 wurde sie die erste weibliche Mitarbeiterin bei der vatikanischen Tageszeitung L’Osservatore Romano. L’Osservatore deckt primär die Arbeit des Papstes und der römisch-katholischen Kirche ab, aber Scaraffia sah Bedarf für eine Frauenbeilage. Nachdem die Idee Papst Benedikt XVI. vorgestellt worden war, erteilte dieser seine Zustimmung. „Es gibt so viel mehr Frauen als Männer, die in der Kirche arbeiten. Die machen interessante und intelligente Sachen, aber keiner weiß etwas davon“, sagt Scaraffia.
Scaraffias Chefredaktion war mutig. Je furchtloser sie wurde, desto mehr verärgerte sie. Etwa ein Jahr nach Gründung des Magazins fing sie an, Frauenfeindlichkeit in der Kirche zu benennen. Dann erschien im März 2018 ein Artikel, der anprangerte, dass Frauen zu einem Hungerlohn für Kleriker kochen und putzen.
„Das rief große Beschämung und Anfeindungen in der katholischen Hierarchie hervor. Weil die Priester glaubten, sie hätten ein Recht auf eine unbezahlte Nonne, die ihnen dient. Das ist ein Irrglaube, aber er ist sehr stark verankert in der Kirche“, sagt Scaraffia. „Frauen werden Nonne, weil es ihre Berufung ist und weil sie den Schwachen und den Leidenden helfen wollen – nicht um den Priestern zu dienen.“ Im Februar dieses Jahres ging Scaraffia noch einen Schritt weiter: mit einem vernichtenden Bericht über die zahlreichen Fälle, in denen Nonnen von Priestern oder Bischöfen vergewaltigt und zu Abtreibung oder Kirchenaustritt gezwungen wurden, wenn aus der Vergewaltigung eine Schwangerschaft folgte. Wenige Tage nach der Veröffentlichung erkannte Papst Franziskus das Problem des weitverbreiteten Missbrauchs erstmalig an.
In Scaraffias Wohnzimmer ist beinahe jeder Zentimeter Wand mit Büchern bedeckt. Sie wurde katholisch erzogen, hörte mit Beginn ihres Studiums aber auf, zur Kirche zu gehen. Bis zur Geburt ihrer Tochter mit Mitte 30 fand sie nicht zur Religion zurück. „Ich war jung und rebellierte gegen alles Mögliche“, sagt sie. „Zu dieser Zeit wusste ich nicht viel über das Christentum und die Kirche. Als Professorin studierte ich dann die Kirchengeschichte und die Heiligen. Das hat mich der Sache wieder nähergebracht.“ Ihre Studienjahre fielen mit der wachsenden feministischen Bewegung der 60er Jahre in Italien zusammen. Sie wurde eine aktive Vorkämpferin. Scaraffia, die sich selbst als „Feminismuskritikerin“ bezeichnet, ist nicht widerspruchsfrei. Sie zählte zu den Aktivistinnen, die für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in Italien in den späten 70er Jahren kämpften. Trotzdem ist sie gegen Abtreibungen. „Ich bin dagegen, weil ich glaube, dass sie schlecht sind. Aber ich finde, Frauen sollten dafür nicht kriminalisiert werden“, sagt sie. „Einige feministische Bewegungen – nicht alle – machen einen Fehler, wenn sie denken, dass es ein Recht auf Abtreibung geben sollte. Abtreibungen sind schmerzhaft für Frauen. Es ist eine große Bürde, die sie tragen müssen. Ich bin nicht die einzige Feministin, die so denkt.“ Neben den Abtreibungen hat Scaraffia auch Einwände gegen die Pille danach, von der sie sagt, sie sei „kein Erfolg“. Wenn es um Verhütung gehe, laste „alles auf den Schultern der Frauen“, meint sie. „Es stimmt nicht, dass Frauen auf dem Feld der Sexualität so sein wollen wie Männer, also promisk. Stattdessen werden sie dazu gedrängt, Verhütungsmittel oder die Pille danach zu nehmen.“
Ein moralischer Irrgarten
Am kontroversesten dürfte jedoch ihre Ansicht sein, dass feministische Bemühungen um Parität am Arbeitsplatz und Lohngleichheit die „Mutterschaft negieren“. „Es gibt viele feministische Bewegungen, nicht nur eine. Ich stimme mit jenen überein, die der Mutterschaft große Bedeutung beimessen.“ Dabei erinnert ihr Mut, sich gegen den Missbrauch von Nonnen in der Kirche auszusprechen, in vielerlei Hinsicht an die #MeToo-Bewegung. Ihre Reaktion darauf ist wiederum kontrovers: „In bestimmten Aspekten ist die #MeToo-Bewegung gut gewesen, zum Beispiel indem sie Personen entlarvt hat“, meint sie. „Aber da ist auch die Frage der falschen Beschuldigungen. Das ist ein Problem, das anerkannt werden muss. Nicht alles, was Menschen sagen, ist wahr.“
Mit Scaraffia zu reden fühlt sich oft so an, als würde man durch einen moralischen Irrgarten navigieren. Im einem Moment glaubt man, mit einer klassischen Frauenrechtleriin zu sprechen. Einer, die den Status quo einer Institution, die Frauen von Priesterämtern ausschließt, radikal herausfordert. Im nächsten Moment verdammt sie #MeToo. Ihre übergreifende Prämisse lautet, dass es im Feminismus darum geht, Frauen den Männern gleichzustellen, nicht dass Frauen wie Männer sein sollen. Für sie ist die größte feministische Errungenschaft Bildung. „Frauen sind heute viel gebildeter – wenn sie da siegen, siegen sie überall.“
Etwas, das für sie ebenfalls feststeht, ist, dass Frauen nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Sie behauptet, dass der Versuch, die redaktionelle Freiheit der Donne Chiesa Monde zu beschneiden, mit der Einstellung von Andrea Monda als Chefredakteur des Osservatore einherging. Monda wurde berufen, nachdem Papst Franziskus den bisherigen Redakteur nach elfjähriger Mitarbeit gefeuert hatte. Monda soll indirekt Druck ausgeübt haben, indem er Mitarbeiterinnen einstellte, die Scaraffia als „unterwürfig“ und „mit einer redaktionellen Linie, die unserer widerspricht“, beschrieb. Er wies die Vorwürfe zurück.
Scaraffia ist spürbar enttäuscht, dass es so endete. Ihre Zeit bei der Donne Chiesa Monde mag vorüber sein, aber sie will ihre Arbeit entschlossen fortsetzen. Regelmäßig trifft sie sich mit ehemaligen Kolleginnen vom Magazin. Sie wollen einen Masterstudiengang speziell für Frauen, die in der Kirche arbeiten, entwerfen. „Der Plan ist, das Wissen weiterzugeben, was wir angehäuft haben.“ Es scheint, als würde es viel brauchen, um Scarrafia zum Schweigen zu bringen.
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